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Verbale Eskalation

23. März 2008

China ist offenbar bereit, den tibetischen Protest mit allen Mitteln niederzuschlagen: Die "Dalai-Clique" müsse "vernichtet werden", schreibt ein Parteiblatt. Der internationale Druck auf das Regime wächst.

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Demonstranten in Lhasa(17.3.2008, Quelle: DPA)
Demonstrierende Mönche in LhasaBild: AP

China hat am Samstag (22.3.2008) eine "entschlossene Niederschlagung" der Proteste angekündigt. Die kommunistische Parteizeitung "Renmin Ribao" schrieb in einem Leitartikel: "Wir müssen die üblen Absichten der sezessionistischen Kräfte durchschauen, das Banner der sozialen Stabilität hochhalten und die Verschwörung der 'tibetischen Unabhängigkeitskräfte' entschlossen niederschlagen."

Mönch am Potala Palace in Lhasa (Quelle: AP)
Die Lage in Lhasa hat sich offenbar beruhigtBild: AP

Die Pekinger Behörden setzten ein weiteres Mal ihre Angaben zu den Todesopfern der Unruhen vom 14. März in der tibetischen Hauptstadt Lhasa herauf. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete, dass fünf weitere Bewohner und ein Polizist ihren Verletzungen erlegen seien. Dadurch sei die Zahl der Toten auf 22 gestiegen. Nach Angaben der tibetischen Exilregierung kamen bei den Unruhen 99 Tibeter in Lhasa und 19 in der Provinz Gansu ums Leben.

Lage in Lhasa beruhigt sich

Die Lage im vom Militär schwer bewachten Lhasa scheint sich unterdessen entspannt zu haben. Die Läden öffneten wieder, berichteten Bewohner telefonisch. "Die Volkspolizei patrouilliert rund um die Uhr in den Straßen", sagte eine Hotelangestellte, die aus Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen nicht namentlich genannt werden wollte. Der Potala-Palast und der Jokang-Tempel - bei Touristen, Gläubigen und Pilgern beliebte Ziele - waren vom Militär weiterhin abgeriegelt.

Die chinesische Regierung hat auf die größte Herausforderung seiner Kontrolle in Tibet seit dem Aufstand von 1959 mit einer massiven Truppenverstärkung in Tibet und den Nachbarprovinzen

reagiert. Der Sprecher des Außenministeriums, Qin Gang, verurteilte jede Unterstützung für die "Dalai-Clique" - damit bediente sich das Ministerium erneut des Sprachgebrauchs der blutigen Epoche der Kulturrevolution.

Europäisches Parlament erwägt Spiele-Boykott

Der Aufstand in Tibet wird immer mehr zum weltweiten Politikum. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, drohte mit einem Boykott der Olympischen Spiele in China. Laut "Bild am Sonntag" forderte er die chinesische Führung dazu auf, unverzüglich Gespräche mit dem Dalai Lama aufzunehmen. "Bleiben Signale der Verständigung aus, halte ich Boykottmaßnahmen für gerechtfertigt", sagte Pöttering. Erfolgreiche Spiele dürften nicht zum Preis des "kulturellen Völkermords an den Tibetern" erkauft werden. Am Mittwoch werde das Europäische Parlament über die Lage in Tibet beraten, kündigte Pöttering an.

EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (Archiv, Quelle: AP)
Erwägt Olympia-Boykott: Hans-Gert PötteringBild: AP

"Ich fordere die EU-Länder auf, bei der Verteidigung der Menschenrechte in Tibet mit einer Stimme zu sprechen." Der Parlamentspräsident stellte auch die Entwicklungszusammenarbeit mit Peking in Frage: "China ist für Europa ein wichtiger Partner, zum Beispiel beim Klimaschutz. Dialog und Zusammenarbeit sind im gegenseitigen Interesse. Aber das tibetische Volk darf dafür nicht geopfert werden. Wir würden unsere Selbstachtung verlieren."

Sportler gegen Boykott

In den Reihen der Vertreter des Sportes wird ein Boykott der Spiele weiter abgelehnt: So sprach sich der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper, gegen einen Boykott aus. Ein solcher Schritt würde weder den Menschen in Tibet noch den chinesischen Menschenrechtsaktivisten helfen, sagte Vesper der "Rheinpfalz am Sonntag". Er würde vor allem die Athleten treffen, die sich oftmals ein Jahrzehnt auf ein solches Ereignis vorbereiteten.

Der designierte republikanische Präsidentschaftsbewerber John McCain forderte bei einem Besuch in Paris "Respekt für die Menschenrechte" in Tibet und bezeichnete die Haltung Pekings als inakzeptabel. In Tokio und dem Sitz der tibetischen Exilregierung im nordindischen Dharamsala kamen am Samstag erneut Hunderte zusammen, um gegen Chinas Politik zu demonstrieren.

China will Live-Übertragungen verbieten

Das chinesische Organisationskomitee der Olympischen Spiele hat offenbar beschlossen, während der Sportveranstaltungen im August keine Live-Übertragungen vom symbolträchtigen Platz des himmlischen Friedens zuzulassen. Das berichteten Mitglieder der Fernsehgruppe des Komitees, die nicht namentlich genannt werden wollten. Die Entscheidung, die eine herbe Enttäuschung für die Fernsehsender bedeuten würde, sei aber noch nicht endgültig. Auf dem riesigen Platz im Herzen Pekings wurde 1989 die Demokratiebewegung blutig niedergeschlagen. (mg)