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"Es geht um das größte Stück vom Kuchen"

24. September 2021

Die FIFA macht Druck, die UEFA droht mit Boykott. Die Debatte um Fußball-Weltmeisterschaften im Zwei- statt im Vierjahresrhythmus gerät zum Machtspiel, sagt Sportwissenschaftler Harald Lange im DW-Interview.

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Schweiz | Fußball | FIFA Museum Zürich
Das Objekt der Begierde: Wird der WM-Pokal bald alle zwei Jahre vergeben?Bild: Pressebildagentur ULMER/picture alliance

DW: Könnte der Weltfußball durch die FIFA-Pläne, die WM alle zwei Jahre auszutragen, gespalten werden?

Harald Lange: Der Weltfußball ist schon seit längerem in mehrere Teile gespalten. Die Protagonisten wollen möglichst viel Geld aus dem Fußball rausquetschen und passen natürlich auf, dass andere sich nicht die größeren Stücke vom Kuchen wegnehmen. Da gibt es einen Kampf zwischen UEFA und FIFA. Aber auch innerhalb der UEFA gibt es Unstimmigkeiten, insbesondere mit Blick auf die Idee, eine Super League zu gründen. Bei all diesen Streitigkeiten geht es definitiv nicht um das Wohl des Fußballs oder der Spieler, sondern schlichtweg um das Interesse, möglichst große Stücke von diesem Finanzkuchen Fußball zu ergattern.

Für wie realistisch halten Sie die Boykottdrohung der UEFA, sollte die WM alle zwei Jahre kommen?

Die Drohung steht jetzt im Raum, so deutlich wie noch niemals zuvor. Damit ist die Büchse der Pandora geöffnet, denn mit einem Boykott zieht man quasi das letzte Register. Es ist das schärfste Mittel, das man im Sport einsetzen kann. Bisher kannten wir den politisch motivierten Boykott bei Olympischen Spielen. Im Sport war es eher verpönt. Jetzt wird die Boykottdrohung als Druckmittel in einer wirtschaftlichen Debatte eingeführt. Das spricht dafür, dass der Kampf ganz offen ausgetragen wird. So wie die Debatte geführt wird, halte ich es durchaus für realistisch, dass die UEFA dafür sorgen wird, dass ihre Mannschaften nicht bei Weltmeisterschaften im Zweijahresrhythmus mitspielen.

Italy v England - UEFA Euro 2020 Final - Wembley Stadium
Nicht auf einer Linie - FIFA-Präsident Gianni Infantino (r.) und UEFA-Chef Aleksander CeferinBild: Mike Egerton/empics/picture alliance

Liegt es vielleicht auch daran, dass die UEFA aufgrund der Machtverhältnisse innerhalb der FIFA damit rechnen muss, dass dieser Plan durchkommt?

Ja, ganz genau. Da kann sie auch aus eigener Erfahrung sprechen. Die UEFA bedient sich letztlich des gleichen Machtprinzips wie die FIFA: Man versammelt möglichst viele Verbände unter einem Dach, pocht dann auf Solidarität, macht den kleineren Verbänden Zuwendungen und verspricht ihnen, dass die Geld-Produktion weiter angekurbelt wird, wenn es häufiger Turniere gibt. Und schon hat man sie auf seiner Seite. Auf diese Weise hat die UEFA bei der vorletzten EM in Frankreich die Endrunde aufgeblasen und jetzt sogar ein pan-europäisches Turnier austragen lassen. Und sie hat auch weiter vor, das Ganze aufzublasen. Aus meiner Sicht steht die UEFA argumentativ vollends im Abseits, wenn sie bei der FIFA das Machtprinzip kritisiert, das sie selbst anwendet. Das ist ein riesengroßer Widerspruch. Aber es geht eben nur um wirtschaftliche Interessen, und da kann man solche Widersprüche schon mal hinten anstellen.

Sowohl FIFA-Chef Gianni Infantino als auch FIFA-Legende Arsène Wenger, der dieses Konzept mitentwickelt hat, führen als Argument an, dass die Regionen außerhalb Europas und Südamerikas unterrepräsentiert seien. Ist es aus Ihrer Sicht wirklich so, dass der Fußball zu sehr auf diese beiden traditionell starken Kontinente zentriert ist?

Letztlich wird in allen Erdteilen Fußball gespielt, und praktisch jedes Land ist auch in der FIFA vertreten. Insofern ist der Fußball weltweit exzellent vernetzt. Aber der Fußball wird auf den verschiedenen Kontinenten auf unterschiedlichem Niveau gespielt, weil er eine andere Tradition, eine unterschiedliche kulturelle und auch gesellschaftliche Bedeutung hat. Das lässt sich nicht dadurch aufweichen oder kompensieren, indem man alle zwei Jahre ein Turnier spielt.

Fussball l Fanforscher Professor Harald Lange von der Universität Würzburg
Harald Lange: "Die Besten müssen mitspielen"Bild: privat

Das Qualifikationssystem macht aus sportlicher Sicht nur dann Sinn, wenn bei einer WM die besten Mannschaften der Welt dort mitspielen. Und wenn die besten Teams aus Europa und Südamerika kommen, haben sie dort auch gefälligst mitzuspielen. Alles andere würde das Prinzip des sportlichen Wettkampfs auf den Kopf stellen.

Wenn man Turniere nach dem Prinzip der Gleichverteilung austragen würden, wären sie sportlich weniger wertvoll. Es ist also ein extrem schwaches Argument in sportlicher Hinsicht, aber ein sehr starkes in wirtschaftlicher Hinsicht. Wenn man die kleineren Verbände als Stimmvolk im FIFA-Zirkus für sich gewinnen kann, indem man auf sie zugeht, kann man die sportlich erfolgreichen Europäer und Südamerikaner unter Druck setzen.

Glauben Sie, dass die WM alle zwei Jahre kommen wird?

Nein, ich glaube nicht. Es wird ähnlich laufen wie in der Auseinandersetzung um die Super League. Es wird viel Säbelrasseln geben, Machtspiele. Und dann wird wahrscheinlich erstmal alles beim Alten bleiben. Man wird Kompromisse finden, vielleicht kommen auch andere Vorschläge ins Spiel wie die Ausweitung der Klub-WM unter der Schirmherrschaft der FIFA.

Wenn die wirtschaftliche Situation allerdings so enorm drückt, dass man jetzt schon einen Boykott in den Raum stellt, könnte es mittelfristig vielleicht doch zu einer Spaltung des Fußballs führen. Vielleicht gibt es dann ein neues Turnierformat, eine WM für alle anderen außer Europäern und Südamerikanern. Ich glaube, da werden wir in den nächsten Jahren noch ganz viel Bewegung sehen. Letztlich wird es dazu führen, dass der Fußball in der bewährten Organisation und Struktur hart auf die Probe gestellt wird.

Professor Harald Lange (Jahrgang 1968) hat seit 2009 den Lehrstuhl für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg inne. Lange gründete Anfang 2012 das bundesweit erste Institut für Fankultur. Seit dem Frühjahr 2020 läuft dort das Projekt "Welchen Fußball wollen wir?" (vierzunull.de), das ein Forum für alle Protagonisten des Fußballs bieten soll.

Das Interview führte Stefan Nestler.

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter