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Streit ums Sparen

Ralf Bosen24. April 2013

Angesichts der schlechten Wirtschaftsdaten ist die Diskussion um die EU-Sparpolitik neu entbrannt. Führende EU-Politiker fordern mehr wachstumsfördernde Maßnahmen. Kanzlerin Merkel gerät unter Druck.

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geld in einmachglas mit hand © PA #16432012
Bild: Fotolia/PA

Wenn es um Mittel im Kampf gegen die Finanzkrise ging, hieß es in vergangenen Jahren immer: sparen, sparen und nochmals sparen. Die Reduzierung der Ausgaben galt als Patentrezept, um die Wackelkandidaten der Krise zu stabilisieren. Alle Staaten, die bei der Europäischen Union um Finanzhilfe baten, wurden als Gegenleistung verpflichtet, eisern auf jeden Euro zu schauen. Vor allem Deutschland pochte auf Haushaltsdisziplin und setzte sich gegen Gegner dieser Politik in den südlichen EU-Ländern durch, die ein Mehr an Investitionen forderten, um damit das Wachstum wieder anzukurbeln.

Arbeitslosigkeit weiter auf Rekordhoch

Jetzt deutet sich ein Richtungswechsel an. Immer mehr Politiker reden zunehmend offener über eine Abkehr von den reinen Sparmaßnahmen. Es sind nicht nur die vielen hunderttausend Menschen, die in den Hauptstädten der europäischen Krisenländer wutentbrannt gegen Kürzungen und Stellenstreichungen demonstrieren, die ein solches Umdenken in der Krisenbewältigung verursachen, sondern auch die schlechten Wirtschaftsdaten.

Eine Gruppe von Demonstranten (Foto: dpa)
Proteste in Spanien gegen den SparkursBild: picture-alliance/dpa

So ist die Arbeitslosigkeit in der Eurozone auf ein Rekordhoch von 12 Prozent gestiegen, das Wachstum kommt nicht auf die Beine und Investoren meiden die Krisenländer. Bis Ende 2012 ist die Wirtschaft fünf Quartale in Folge geschrumpft. Die Mehrzahl der Ökonomen geht für das erste Quartal dieses Jahres von einem abermaligen Rückgang der Wirtschaftsleistung aus. Der Internationale Währungsfond (IWF) sieht ebenfalls keine Besserung und rechnet mit einem Abschwung für das Gesamtjahr 2013.

Barroso will Wachstumspolitik

Das alles lässt die EU-Spitzen nicht unbeeindruckt. Vor wenigen Tagen sorgte EU-Kommissionspräsident Manuel Jose Barroso für Schlagzeilen, als er auf einer Konferenz in Brüssel Wachstumsmaßnahmen, die mit einer gewissen Ausgabenpolitik verbunden sind, in den Vordergrund stellte. "Was wir brauchen ist ein nachhaltiges Wachstum, das auf einer stärkeren Wettbewerbsfähigkeit Europas beruht." In diesem Zusammenhang lobte er die Anstrengungen von Griechenland, Portugal und Spanien beim Schuldenabbau. Diese seien notwendig, müssten aber nun ergänzt werden durch mehr Maßnahmen, die Wachstum schaffen, und zwar auch kurzfristig.

Der Präsident unterstrich, dass die Politik der EU-Kommission nicht nur auf die Korrektur der Defizite abzielen würde, sondern die Ungleichgewichte in den öffentlichen Finanzen korrigieren solle. Nur so könne man Vertrauen schaffen. Ohne Vertrauen gäbe es keine Investitionen und damit auch kein Wachstum. "Unsere Antwort auf die Krise, unsere politischen Vorschläge, waren schon immer eine umfassende Antwort." Im Grunde hatte Barroso nichts Neues verkündet. Er sprach sich für mehr Wachstum aus, ohne Details aufzuzeigen und ohne sich direkt vom Sparkurs zu verabschieden. Dass der EU-Kommissionspräsident aber derart nachhaltig über wachstumsfördernde Maßnahmen sprach, wurde von einigen Beobachtern als leiser Abgesang auf das Spardiktat oder zumindest als Stimmungstest für eine mögliche Trendwende gewertet.

Barroso und Rompuy hinter einem Tisch sitzend. (Foto: REUTERS/Eric Vidal)
Barroso und Van Rompuy bei einem EU-Gipfel zur KriseBild: Reuters

Westerwelle warnt vor Schuldenrückfall

Zumal Barroso dann auch noch Rückendeckung vom EU-Ratspräsidenten Hermann Van Rompuy bekam. Dieser zog auf der gleichen Konferenz in Brüssel zunächst eine düstere Zwischenbilanz: "Zu Anfang der Krise hatten wir uns Zeit zum Atmen gesichert - für Griechenland, für Irland, für Portugal." Man habe gewusst, dass es hart werden würde, aber dass es die Länder schaffen würden. Einige Jahre später gebe es aber das Gefühl, dass die Situation immer noch nicht ausreichend verbessert worden sei. Dann schwenkte Van Rompuy auf die Barroso-Linie ein. "Das bedeutet, wir brauchen mehr Sofortmaßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Ankurbelung der Wirtschaft." Auch beim EU-Ratspräsidenten war die Sparpolitik in den Hintergrund gerückt.

Entsprechend heftig fielen die Reaktionen aus - vor allem von deutscher Seite. Bundesaußenminister Guido Westerwelle warnte am Rande eines NATO-Außenministertreffens in Brüssel vor einem Rückfall "in die alte Politik des Schuldenmachens". Damit würde Massenarbeitslosigkeit auf viele Jahre in Europa zementiert werden. "Wachstum kann nicht durch neue Schulden gekauft werden", sondern Wachstum und Konsolidierungspolitik seien zwei Seiten der selben Medaille.

Europa darf sich keine Illusionen machen

Auch deutsche Wirtschaftswissenschaftler mahnen vor einem verfrühten Abschied vom Sparkurs. "Ich glaube, dass Herr Barroso auch gut beraten wäre, die Zwänge, unter denen die Finanzminister in Europa operieren, nicht zu vergessen", sagte Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Europa hat keine Chance wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu kommen, wenn es sich Illusionen hingibt, dass es ohne Sparen eine stabile wirtschaftliche Entwicklung geben würde."

Eine Porträtaufnahme von Heribert Dieter (Foto: Stiftung Wissenschaft und Politik)
Heribert Dieter glaubt an den deutschen WegBild: H. Dieter

Die alternden europäischen Gesellschaften seien anders als die aufstrebenden Volkswirtschaften in Asien darauf angewiesen, ihre Haushalte zu konsolidieren "und von diesem Pfad sollte man nicht abweichen", betonte der Wirtschaftsexperte Dieter.

Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, sieht für Deutschland keine Notwendigkeit einer Änderung des finanzpolitischen Kurses. Auch weil von der deutschen Wirtschaft wichtige Impulse für die übrigen EU-Staaten ausgehen würden. Man könne den EU-Krisenländern aber zumindest bei der Konsolidierung mehr Zeit geben, sagte der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft in einem Deutschlandfunk-Interview.

Druck auf Kanzlerin Merkel wächst

Es ist aber offensichtlich, dass der weltweite Ruf nach einer Änderung der europäischen Krisenmaßnahmen immer lauter wird. Erst vergangene Woche empfahl der IWF zum wiederholten Male, die Sparauflagen zu lockern. Ähnliche Aussagen sind fast ständig auch von Regierungen außerhalb der EU zu hören. Sie fürchten, dass die Selbstbeschränkung der Europäer letztlich die Erholung der Weltwirtschaft verzögert und schlimmstenfalls in eine Abwärtsspirale mündet. Fast immer sind damit mahnende Worte an Deutschland verbunden, sich nicht als Spar-Bollwerk zu gebärden.

Könnte Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Isolation geraten, wenn ihr aus Brüssel und anderen Hauptstädten zunehmend Gegenwind entgegen bläst? "Ich glaube nicht, dass sie in diese Situation geraten wird", prognostiziert Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik, denn es gebe nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen allerdings vorwiegend nordeuropäischen Ländern das Verständnis in breiten Kreisen der Bevölkerung, dass an der Konsolidierung der Staatshaushalte kein Weg vorbeiführe. "Wenn man das aufschiebt, dann läuft man Gefahr, dem Vorbild Japans zu folgen. Ein Land, das die Konsolidierung immer wieder aufgeschoben hat und das jetzt auf einer fiskalischen Zeitbombe sitzt." Insofern sei der Kurs Deutschlands richtig.

Finanzminister Schäuble und Kanzlerin Merkel im Bundestag (Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch)
Finanzminister Schäuble und Kanzlerin Merkel bei der Abstimmung zum Zypern-Hilfspaket im BundestagBild: Reuters

Spanien will mehr Geld ausgeben

Vor allem die Krisenländer der Eurozone sehen das anders, beispielsweise Spanien. Dort schwindet die Bereitschaft zur wirtschaftlichen Selbstkasteiung. Spaniens Finanzminister Luis de Guindos erklärte in Madrid, die Haushaltspläne, die sein Land in dieser Woche vorlegen werde, würden den Akzent mehr auf wirtschaftliches Wachstum und weniger auf weitere Einsparungen legen. "Was wir jetzt vorhaben, ist eine bessere Balance zwischen der Senkung des Haushaltsdefizits und wirtschaftlichem Wachstum", sagte de Guindos. So könnten das auch Barroso und Van Rompuy gesagt haben.

De Gruindos in einem Gespräch (Foto: PETER MUHLY/AFP/Getty Images)
Der spanische Finanzminister Luis De GuindosBild: Peter Muhly/AFP/Getty Images