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Reaktionen der Kulturszene nach den Wahlen

2. September 2019

Die Wahlergebnisse in Sachsen und Brandenburg werden das Kulturklima verändern. Künstler, Museums- und Theaterleute sehen aber auch Chancen im AfD-Erfolg: Politik beschäftige die Menschen aktuell mehr denn je.

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Demonstration für ein "Europa der Vielen"
Bild: picture-alliance/dpa/A. Riedl

Die Landtagswahlen in den beiden ostdeutschen Bundesländern Sachsen und Brandenburg wurden weltweit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Nach Auszählung aller Stimmen konnten die beiden großen Parteien SPD und CDU in ihren jeweiligen Bundesländern ihre Position als stärkste politische Partei behaupten. Die rechtspopulistische Partei AfD stieg in beiden Ländern zur zweitstärksten Kraft auf. 

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Unsere DW-Reporterinnen, Meike Krüger und Andrea Kasiske, waren am Wahlabend in Potsdam (Brandenburg) und in Dresden (Sachsen) vor Ort und haben erste Reaktionen auf das Wahlergebnis von Kulturmanagern, Theaterleuten und Künstlern gesammelt.

Bereits im Vorfeld der Wahl hatten sich einige Kulturverantwortliche von Museen, Schauspielhäusern und Kunstinstitutionen in Sachsen und Brandenburg geschockt, aber trotzdem kämpferisch zu den möglichen Wahlerfolgen der AfD geäußert. Die rechte Partei hatte in der Vergangenheit mehrfach versucht, politisch gegen unliebsame Theater und Kulturinstitutionen vorzugehen, deren gesellschaftskritische Ausrichtung ihnen ein Dorn im Auge war. 

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Kulturpolitische Bedrohung

Martina König, die künstlerische Leiterin des Theaterschiffs in Potsdam, sieht deshalb nach wie vor eine kulturpolitische Bedrohung, die von der AfD ausgehe. "Das fängt damit an, dass Förderungen nicht mehr erlaubt werden, dass dieses kleine Theater hier gar nicht mehr wirken könnte, weil die Fördergelder nicht mehr finanziert würden", sagte sie unmittelbar nach der Wahl im DW-Interview.

"Die Gefahr geht auch weiter dahin, dass es wieder Zensur gibt. Zensur in der Interpretation von Stücken und der Inhalte. Also dass die Freiheit der Kunst, der Kultur absolut in Gefahr geraten würde. Und damit die Möglichkeit, Spiegel der Gesellschaft zu sein. Diese Gefahr finde ich schon erheblich."

"Wir alle werden wieder politischer"

Einen positiven Effekt aber hätten die deutlichen Wahlerfolge der rechtspopulistischen Partei, meinte Theaterfrau Martina König. "Gerade im privaten Bereich ist noch nie so viel über Politik geredet worden, wie in der letzten Zeit. Und so viel nach Positionen gesucht worden. Wenn das jetzt vielleicht so bleibt", fügte sie hinzu, "wenn der einzelne Bürger dabei bleibt, seine Möglichkeiten ernst zu nehmen, in den politischen Prozess einzugreifen und für eine gerechtere Gesellschaft anzutreten, dann haben wir insgesamt eine ganz, ganz große Chance."

Für Bettina Jahnke war allein der Gedanke schockierend, dass eine rechtspopulistische Partei mehr als 20 Prozent der Stimmen in einem Bundesland in Deutschland bekommen könnte. "Ich komme aus dem Osten und habe fast die Hälfte meines Lebens in der DDR verbracht. Und mich persönlich erschüttert, dass man sich 30 Jahre nach der Wende wieder mit Fragen nach Diktatur, Meinungsfreiheit und Angst vor offenen Grenzen beschäftigen muss", sagte sie im DW-Interview. "Dass diese Themen wieder aufploppen, und politisch auch Gewicht haben, erschüttert mich. Es sind ja nicht einige wenige, sondern es sind viele, die plötzlich die Zeit wieder zurückdrehen wollen."

Bettina Jahnke
Setzt auf Dialog mit dem Publikum: die Intendantin des Hans-Otto-Theaters, Bettina JahnkeBild: picture-alliance/dpa/B. Settnik

Trotzdem sieht auch sie in dieser politischen Entwicklung im Osten Deutschlands einen positiven Impuls: "Ich habe das Gefühl, dass wir alle wieder politischer werden. Das ist im Freundeskreis so, in den Kultureinrichtungen und auch in der Öffentlichkeit. Das ist ein sehr gutes Signal."

Sie setzt als Regisseurin an ihrem Theater in Potsdam stark auf Dialog - auch und gerade mit AfD-Wählern: "Dass wir am Theater wieder gezwungen werden, konkreter, direkter und noch viel expliziter auf die Themen dieser Zeit hinzuweisen und auf beide Seiten zu gucken, ist gut. Ich fühle mich dafür verantwortlich, als Theaterfrau auch die Geschichten dieser Abgehängten, Ausgegrenzten zu erzählen - und Verständnis für sie zu entwickeln."

Politischer Impuls durch Initiative "Die Vielen"

Die Theaterintendantin Jahnke hat die politische Mobilisierung der Kulturszene in Brandenburg auch beglückt. Sie hat federführend die Brandenburger Initiative "Die Vielen" mit auf den Weg gebracht, die offen und lautstark gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland auftritt. "'Die Vielen' hatten jetzt in Dresden eine Demonstration organisiert, da waren 40.000 Leute auf der Straße", berichtete sie im DW-Interview.

"Das war beglückend, weil ich spüre, dass viele Menschen, die vorher die Demokratie und unser Land und wie wir leben als selbstverständlich hingenommen haben, sich engagieren. Plötzlich ist man gezwungen, ganz persönlich wieder ein Zeichen zu setzen und sich zu beteiligen, zu Demonstrationen zu gehen, Aufrufe zu unterschreiben, bei Kundgebungen dabei zu sein, Veranstaltungen zu organisieren. Da passiert gerade unheimlich viel."

Ihre Kollegin vom Theaterschiff in Potsdam, Martina König, sieht in so einer Form der Solidarisierung großes Potential. "Also 'Die Vielen' fand ich eine tolle Initiative. Jede Form von vernünftiger Solidarität finde ich persönlich großartig. Und dass sich die Theater des Landes Brandenburg zusammengeschlossen haben, um zu sagen: 'Wir unterstützen uns gegenseitig', das fand ich richtig toll."

Joachim Klement
Verbittet sich jede Form der Einflussnahme: Joachim Klement, Intendant des Staatsschauspiels DresdenBild: picture- alliance/dpa/A.Burgi

Klare Kante gegenüber jeder Art der Einflussnahme

Der Intendant des Dresdner Staatsschauspiels, Joachim Klement, kündigte für die Zukunft klare Kante gegenüber jeder Form der politischen Einflussnahme auf die Kultur an. "Unser Auftrag ist ja, uns künstlerisch frei zu entfalten", sagte er am Wahlabend im DW-Interview. "Deshalb werden wir auch öffentlich finanziert, damit wir nicht abhängig sind und die künstlerischen Räume, die uns zur Verfügung stehen, auch nutzen."

Jörg Bochow, der Chefdramaturg am Staatsschauspiel in Dresden, schließt sich Klement in Bezug auf die Zeit nach der Wahl an. "Wir wissen, wie stark die Auseinandersetzungen sind, wie polarisierend das ist in Sachsen. Das wird auch weitergehen. Aber dem stellen wir uns. Das ist auch als Aufgabe für alle, die Kultur schaffen, zu sehen: Wie können wir uns in einer Stadt wie Dresden, und im gesamten Land Sachsen, dieser politischen Konfrontation stellen und welche Antworten können wir als Kultur geben?"