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Robotik-Philanthrop mit Visionen

28. Juli 2018

Sankais Exoskelette lassen Gelähmte wieder laufen und unterstützen bei Schwerstarbeit. Anderes als in Japan sehen viele Westler Roboter aber eher als Bedrohung. Über die Gründe sprach der Robotik-Star mit der DW.

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Deutschland | Merck-Wissenschafts-Konferenz Curious Future Insight | Professor Yoshiyuki Sankai
Bild: DW/A. Freund

In Japan kennt fast jeder Professor Yoshiyuki Sankai, den etwas exaltierten Erfinder der "Roboteranzüge". Regelmäßig präsentiert der großgewachsene Wissenschaftler mit wallender Mähne seine futuristischen Exoskelette in TV-Shows.

Wenn Japan seine Innovationskraft zeigen will, wie etwa beim G-7-Gipfel der führenden Industrienationen oder beim Besuch eines Regierungschefs wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, dann präsentierte es gerne Sankais HAL-Roboterhosen, durch die Querschnittgelähmte, Schlaganfall-Patienten oder gehbehinderte Senioren auf einmal wieder laufen können.

Merck-Wissenschafts-Konferenz "Curious Future Insight" in Darmstadt
Roboter-Hüftgurte helfen in Japan bei SchwerstarbeitBild: DW/A. Freund

Neben den Geh-Hilfen hat der Kybernetik-Pionier inzwischen auch eine Hüftapparatur erfunden, die etwa in der Altenpflege, bei Ernteeinsätzen oder bei Bauarbeiten das Heben erleichtert. Mit HAL 5, dem Ganzkörper-Exoskelett für Arme, Beine und Torso, kann der Träger sogar fünfmal soviel Gewicht heben wie ohne Anzug.

Genutzt wurden die mechanischen Hilfen auch bei den Aufräumarbeiten rund um das verstrahlte Atomkraftwerk Fukushima oder bei der jüngsten Flutkatastrohe in Sankais Heimatregion Okayama. Das war Professor Sankai offenkundig ein Herzensanliegen, ein stolzes Lächeln huscht ihm über das Gesicht.  

In Japan werden Roboter als Helfer angesehen

Längst werden die Roboterhosen HAL (Hybrid Assistive Limb: hybride unterstützende Gliedmaße) in zahlreichen Krankenhäusern eingesetzt - Sankais Firma Cyberdyne vermietet sie für rund 700 Euro monatlich.

Bei Demenzkranken werden Kommunikationsroboter genutzt. Denn in der überalterten japanischen Gesellschaft werden bis Mitte des Jahrhunderts rund 40 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre sein. Anders als zum Beispiel in Deutschland setzt Japan aber nicht auf die Zuwanderung von ausländischem Pflegepersonal, es will diese demografische Herausforderung dank der Roboter technisch meistern.

Reporter - Gelähmte lernen Laufen mit Exoskelett

In Europa werden Exoskelette bislang nur vergleichsweise selten eingesetzt, etwa beim Bewegungstraining in Rehabilitationszentren.

Das Bochumer Universitätsklinikum Bergmannsheil zum Beispiel arbeitet seit Oktober 2012 mit den HAL Roboterhosen. Aber es gebe noch viel Potential, meint der umtriebige Forscher im edlen Zwirn und pinkfarbenem Einstecktuch. Entsprechend reist der Robotik-Star permanent um den Globus und erklärt seine Forschungsergebnisse, so wie jüngst wieder bei der neu gegründeten Merck Wissenschaftsmesse "Curious2018". 

Lebenslanges Tüfteln

"Ja, das Interesse ist groß, die Vorhalte aber leider auch", sagt Yoshiyuki Sankai im DW-Interview. Er habe sich auch schon oft gefragt, warum Japaner Robotern gegenüber so viel aufgeschlossener sind. Er sei Anfang der 1960er Jahre als Drittklässler auf das Buch "I, Robot" von Issac Asimow gestoßen und wusste sofort, dass er Wissenschaftler werden und Roboter bauen wollte.

"Ich wollte immer den Menschen helfen. Wollte etwas erfinden, was hilfreich ist. Denn ich liebe Menschen. Das ist wohl meine Motivation", sagte Yoshiyuki Sankai und nickt bestätigend. "Wenn Sie erleben, wie ein Schlaganfallpatient oder ein querschnittsgelähmtes Kind auf einmal wieder gehen kann, das ist für mich noch immer ein unbeschreibliches Glücksgefühl!"

Deutschland | Merck-Wissenschafts-Konferenz Curious Future Insight | Professor Yoshiyuki Sankai
Wissen teilen - Ängste nehmenBild: DW/A. Freund

Als  Grundschüler tüftelte Sankai mit Elektrobauteilen herum, montierte erste Apparate und versetzte Fröschen Stromschläge, um deren Nervenreaktion zu studieren. Seine Passion machte er zum Beruf, wurde nach dem Studium an der renommierten Uni Tsukuba am Stadtrand von Tokyo Ingenieur und gründete seine Roboterfirma Cyberdyne.

Vor genau zwanzig Jahren dann, 1998, präsentierte er sein erstes Exoskelet. Der erste HAL-Prototyp war zunächst noch an einen Computer angeschlossen und fürchterlich schwer. Aber im Laufe der Jahre entwickelte sich daraus ein stylisches hochmodernes Hüftgestell mit weißen Kunststoff-Schienen, die mit Klettverschlüssen an den Ober- und Unterschenkeln befestigt werden.

Sendet das Gehirn Nervensignale über die Bewegungsneuronen zu den Muskeln, dann registrieren Sensoren auf der Haut diese Signale, übermitteln sie an die Roboterhose und das jeweilige Gelenk bewegt sich. Für umgerechnet rund €115 können Neugierige den Anzug im Cyberdyne-Showroom mal eine Viertelstunde lang ausprobieren.

Gute Taten, satte Gewinne

Natürlich ist Professor Sankai nicht nur Menschenfreund, seine Erfindungen haben den Tüftler auch längst zu einem der reichsten Japaner überhaupt gemacht. Die Aktien seiner Firma Cyberdyne zählen nach wie vor zu den erfolgversprechendsten Wertpapieren überhaupt. Aber der selbstbewusste Milliardär will sich längst nicht zur Ruhe setzen, der 60-Jährige sieht für die Zukunft nicht nur große Absatzchancen, er sieht auch noch so viele technische Möglichkeiten, wie Exoskelette den Menschen helfen könnten. 

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Roboter werden im Westen eher als Bedrohung gesehenBild: picture alliance/Everett Collection

Denkbar ist einiges, aber ein flächendeckender Einsatz von Robotern ist für viele Westler kaum vorstellbar, das weiß auch Sankai. In Japan werden Roboter als Helfer und nicht in erster Linie als Bedrohung angesehen. Viele Westler beschleicht aber ein ungutes Gefühl, wenn Roboter zu weit in die Menschenwelt vordringt.

Solange Maschinen in Fabriken arbeiten oder sich aufs Rasenmähen oder Staubsaugen beschränken, halten sich die Vorbehalte in Grenzen. Nehmen die Roboter aber eine menschliche Gestalt an oder beginnen sie dank künstlicher Intelligenz gar eigenständig zu denken, dann lösen sie dank der Filmindustrie bei vielen Menschen große Ängste aus: Roboter können nicht nur Arbeitsplätze vernichten, im schlimmsten Fall könnten sie auch völlig emotionslos töten.

Kulturelle Prägung

Die unterschiedliche Wahrnehmung von Robotern in Ost und West liegt nach Yoshiyuki Sankai möglicherweise an der kulturgeschichtlichen Prägung: Seit jeher löst die Vorstellung, der Mensch könne gottgleich sein künstliches Ebenbild erschaffen, bei den Einen eine große Faszination und bei den Anderen großen Schrecken aus: Schon in der westlichen Antike gab es die Geschichte des Bildhauers Pygmalion, der aus Elfenbein eine Frau schafft, sich in diese verliebt und Glück hat, dass die Gottheit Venus die Figur zum Leben erweckt. Es gibt den Blechmann beim Zauberer von Oz, der ein Herz sucht. Oder Fritz Langs rebellische Roboterfrau Maria in seinem Film Metropolis.

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Frankensteins künstliche KreaturBild: Universal Studios

Prägend sei nach Professor Sankai vor allem aber der 1816 erschienene Gruselroman "Frankenstein oder der moderne Prometheus". Die englische Schriftstellerin Mary Shelley lässt den jungen Victor Frankenstein in Ingolstadt studieren und seine künstliche Kreatur erschaffen, ein "Experimentiergebäude" für Naturwissenschaftler und Mediziner hatte die bayrische Kleinstadt überregional berühmt gemacht.

Inspiriert wurde der wissenschaftlich angehauchte Gruselroman auch von den wissenschaftlichen Entdeckungen jener Jahre: Anfang des 19. Jahrhunderts hatte der Arzt Luigi Galvani festgestellt, dass sich Froschschenkel durch Stromstöße zusammenziehen. Und auch im englischen Glasgow hatten Wissenschaftler einem hingerichteten Verbrecher Strom durch die Muskeln gejagt; die breite Öffentlichkeit schauderte, als der Leichnam zu zucken begann.

Solche Gruselgeschichten kennen und lieben natürlich auch die Japaner. Aber mit Robotern verbinden sie in erster Linie etwas Positives, nichts Bedrohliches. Japaner seien einfach große Science-Fiction-Fans, lacht der Forscher. Auch ihn haben diese Film-Visionen nachhaltig geprägt: Seine Roboterhose hat er nach dem eigensinnigen Bordcomputer HAL in Stanley Kubricks "2001 – Odyssee im Weltraum" benannt. Und seine Firma Cyberdyne heißt genauso wie der Roboterhersteller aus den Terminator-Filmen.

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Astro Boy ist das Maskottchen der japanischen Roboter-ForscherBild: Collection of Mike & Jeanne Glad

Vielleicht habe die japanische Aufgeschlossenheit gegenüber Robotern tatsächlich etwas mit dem Animismus zu tun, demzufolge Objekten wie Pflanzen, Steinen oder Quellen eine Seele oder ein Geist innewohnt. Für ihn aber seien auf jeden Fall die freundlichen Roboter-Figuren seiner Kindheit prägender gewesen, etwa der stets hilfsbereite blaue Doraemon mit seinem katzenähnlichen Aussehen. Und natürlich Astro Boy, der kleine Roboter-Junge mit Atom-Antrieb, der in Japan für den technologischen Fortschrittsglauben schlechthin steht. Geschaffen wurde der hilfsbereite Astro-Boy bereits 1951.

Der Zweite Weltkrieg hatte die japanische Unterlegenheit in Wissenschaft und Technologie offenkundig gemacht und den damit verbundene Minderwertigkeitskomplex versuchte der Manga-Zeichner Tezuka Osamu mit dem moralisch und technologisch überlegenen Astro Boy zu kompensieren. Die japanische Jugend sollte sich wieder für Wissenschaft und Technologie begeistern. Die Idee hatte Erfolg, denn fast jeder japanische Robotik-Forscher schwärmt für dieses Maskottchen der Robotik.

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Angst vor emotionslosen Killer-RoboternBild: Hankook Mirae Technology

Helfer statt Killer

Das seien gute Vorbilder, so Yoshiyuki Sankai, denn sie helfen den Menschen. Das sei entscheidend, betont er nachdenklich. Denn natürlich interessiert sich auch das Militär schon lange auch für seine Exoskelette, die einfache Soldaten zu Kampfmaschinen machen könnten. Roboter-Anzüge oder "Killer-Roboter", die ihre Ziele selbständig orten, dank Gesichtserkennungssoftware identifizieren und vollautomatisch eliminieren, sind längst im Einsatz. Noch haben die Vereinten Nationen nicht entschieden, ob sie diese autonom tötenden Waffensysteme (LAWS) reglementieren oder sogar verbieten wollen. 

Solche Schreckensszenarien bereiten auch Professor Sankai große Sorgen. Schon vor Jahren standen Männer in Uniformen vor seiner Tür, denen er seine Exoskelette erklären sollte. An einer Zusammenarbeit hatte der umtriebige Forscher aber keinerlei Interesse. "Verwundeten oder verstümmelten Soldaten helfe ich natürlich gerne", beteuert Yoshiyuki Sankai mit nachdrücklichem Nicken, "aber meine Erfindungen sollen doch Menschen helfen, und nicht Anderen Schaden zufügen!" 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund