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Die Not der Roma

Christian Stefanescu6. Dezember 2012

Viele Roma aus Rumänien und Bulgarien suchen in Deutschland Zuflucht vor der Armut und Diskriminierung in ihren Heimatländern. Dabei müssen sie auch hier häufig unter unwürdigen Verhältnissen leben.

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Eine Frau mit Kopftuch sucht in der Mülltonne eines Imbissnach etwas Essbarem (Foto: Wolfram Steinberg)
Das Leben am Rande der GesellschaftBild: picture alliance/Wolfram Steinberg

Sie sind nicht schwer auszumachen in der Menschenmenge, die geschäftig durch die Hauptstraße von Duisburg-Marxloh unterwegs ist. Mit ihren riesigen Plastiktüten auf dem Rücken, darin Plastikflaschen und anderer verwertbarer Müll, fallen sie auf in dem multikulturellen Gewusel. Sie eilen vorbei an Geschäften mit türkischen Namen und verschwinden in Häusern mit kaputten Türen. Es sind Menschen aus Rumänien und Bulgarien, überwiegend Roma.

Der Duisburger Stadtteil Marxloh (Foto: Markus C. Hurek +++(c) dpa)
Tausende Roma sind nach Duisburg-Marxloh gezogenBild: picture-alliance/dpa

In den sechs Jahren seit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens (2007) sind rund 10.000 Bürger dieser Länder nach Duisburg gezogen. Hier, im Stadtteil Marxloh, hausen sie oft unter unmenschlichen Bedingungen. Die Türen sind größtenteils eingedrückt, statt Fensterscheiben baumeln oft nur Teppiche oder Decken in den Rahmen. Bis zu zehn Erwachsene und Kinder wohnen hier in kleinen 2-Zimmer-Wohnungen. Die Plastikflaschen aus dem Müll, für die man im Supermarkt Pfand zurück bekommt, sind oft ihre einzige Geldquelle. Für ihre Kinder, erzählen sie, bekommen sie auch Geld - von der Stadt nämlich, wenn die Mädchen und Jungen artig in einen Kindergarten oder in die Integrationsschule gehen. Unbekümmert geben sie zu, dass viele von ihnen gezwungen sind, zu stehlen, um zu überleben - weil sie nicht arbeiten dürfen.

Ein Wohnhaus in Duisburg Hier wohnen Roma aus Rumänien und Bulgarien wohnen (Foto: DW/C. Stefanescu)
Hier wohnen überwiegend Roma aus Rumänien und BulgarienBild: DW/C. Stefanescu

"Ich soll tot umfallen, wenn ich noch einmal klaue", sagt eine Frau und schlägt ein Kreuz. Sie verkauft die Obdachlosen-Zeitung und verdient sich damit ein Zubrot. Eine Bewährungsstrafe hat sie aufgebrummt bekommen, weil sie erwischt wurde, als sie aus einem Drogerie-Laden Rasierklingen mitgehen ließ. Auf keinen Fall will sie wegen eines 70-Cent-Artikels erneut riskieren, bestraft zu werden.

Aus Frankreich ausgewiesen, aus Italien geflüchtet

Die meisten dieser Menschen sind über Umwege nach Duisburg gekommen. Einige Zeit waren sie in Frankreich, aber der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy hat sie ausweisen lassen. Aus Italien und Spanien haben sie die Auswirkungen der Finanzkrise dort vertrieben. Jetzt sind sie in Duisburg und führen ein Leben, um das sie niemand beneidet. Sie wohnen in überteuerten Unterkünften, in denen niemand anders mehr leben möchte. Mit dem Geld, das sie Monat für Monat zusammenkratzen, können sie gerade noch die Miete bezahlen. Für viele andere Dinge haben sie kein Geld. Auch nicht für die Übersetzung ihrer dringend benötigten Papiere und Akten.

Roma-Lager in Saint-Priest wird geräumt (Foto: REUTERS/Robert Pratta)
Roma-Lager im französischen Saint-Priest wird geräumtBild: Reuters

Seit gut zwei Jahren kümmert sich der Verein Zukunftsorientierte Förderung (ZOF e.V.) um die Probleme dieser Menschen mit einem gezielten Projekt: "EU-Zuwanderung aus Osteuropa“. Die Initiative wurde ins Leben gerufen, nachdem in den vergangenen Jahren der Zuzug bulgarischer und rumänischer EU-Bürger stetig angestiegen war und viele Probleme und Konfliktsituationen zur Folge hatte.

Sozialarbeiter, die rumänisch oder bulgarisch sprechen, begleiten die neuen Einwohner auf allen Behördengängen. Es fällt den Menschen schwer, die unzähligen Fragen der Beamten zu beantworten. Eine junge Frau regt sich auf: "Warum wollen die denn wissen, wer der Vater meines Kindes ist? Ich weiß es doch selbst nicht! Die sind doch alle Rassisten!“ Ein Nachbar ist zu einer Strafe von 1000 Euro verurteilt worden, weil er beim Diebstahl in einem Schuhgeschäft erwischt wurde. Hätte er so viel Geld, er wäre nie zum Dieb geworden, erzählt er erbittert. Der ZOF e.V. versucht zu vermitteln und zu helfen. Vielleicht gibt es eine Strafmilderung.

Ein junger Roma aus Rumänien in seinem Kindergarten in Duisburg Marxloh (Foto:DW/Christian Stefanescu)
Roma-Kind: Wo ist sein zuhause?Bild: DW/C. Stefanescu

Und auch Dieter Hubert hilft, ein evangelischer Pfarrer aus Rumänien. Er ist Pastor in Duisburg-Rheinhausen und betreut hier zusammen mit seinem Kollegen Heiner Augustin die neuen Zuwanderer. Aber nicht nur sie - auch die Einheimischen brauchen Hilfe, denn deren einst idyllisches Leben wurde jäh durch die neuen Bewohner eines Sozialbaus durcheinandergewirbelt. Der Besitzer des Wohnblocks kommt aus Ex-Jugoslawien, er hat die dürftigen Wohnungen mit Gewinn an die Menschen aus Rumänien und Bulgarien weiter vermietet. Über ihn erzählen die Einheimischen, er betreibe auch ein Bordell und sei ein wichtiges Mitglied in der berüchtigten Bande "Los Bandidos".

Rechtsradikale nutzen die Ängste aus

Der Frust der Einheimischen wird von der fremdenfeindlichen Organisation Pro NRW missbraucht, die in Duisburg eine Anti-Roma-Kampagne gestartet hat. "Nehmt ihnen die Kinder weg!“, lautet das Motto einer ihrer Aktionen. "Werft alle raus!“, ein anderes. Dabei ist eine Ausweisung schon aus juristischen Gründen gar nicht möglich: Die neuen Nachbarn sind EU-Bürger. Sie haben das Recht auf freie Ortswahl in der Europäischen Union. Nach einer gewissen Zeit bekommen sie das Bleiberecht. Dann dürfen sie auch arbeiten, ganz legal.

Mauer um Roma-Wohnblocks in Baia Mare (Foto: EPA/ZSOLT CZEGLEDI(c) dpa - Bildfunk)
In Rumänien werden Roma diskriminiert - Mauer um Roma-Wohnblocks in Baia MareBild: picture-alliance/dpa

Bis dahin aber versuchen sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Drei Euro pro Stunde - etwa ein Drittel des vorgeschriebenen Mindestlohns - bekommen sie auf einer Baustelle. Doch es ist nicht leicht, an die begehrten Jobs zu kommen, die Konkurrenz ist groß. Und trotz aller Not ist für diese Menschen am Rande der Gesellschaft eines klar: Zurück in ihre alte Heimat wollen sie nicht - aus Angst vor der Diskriminierung dort und vor noch größerer Armut.