Festung gegen den Kommerz
8. Februar 2014Sie ist übersäht mit Graffitis und Plakaten, der gelbe Anstrich blättert ab. Oben auf der Treppe zu dem wind- und regengeschützten Portal liegen alte Matratzen, jede Menge Müll. Hier haben Obdachlose ihr Lager. Passanten laufen vorbei. Manche schauen etwas irritiert, doch die meisten sind dieses Bild offenbar gewohnt. Denn die "Rote Flora" gehört zum Hamburger Schanzenviertel, so wie sie ist.
"Das würde wohl fast jeder sagen, der hier lebt oder arbeitet", sagt Nina Baronsky. Die Anwohnerin tritt gerade aus einem Blumenladen heraus, der nur ein paar Meter von der "Roten Flora" entfernt liegt. Sie blickt auf das alte Gebäude, in dem sie schon so manches Konzert besucht hat.
Die "Rote Flora" bilde hier so etwas wie ein Zentrum, meint auch die Blumenverkäuferin in dem Laden. "Ob man da nun ein und aus geht oder die gleichen Interessen und Ansichten hat, da scheiden sich natürlich die Geister", sagt die Floristin.
Zentrum für linksautonome Politik und Kultur
Denn die "Rote Flora" ist ein besetztes Haus und ein Zentrum für sogenannte linksautonome Politik und Kultur, um das immer wieder heftige Straßenschlachten toben. So auch vergangenen Dezember, als erneut die Räumung des Gebäudes zur Diskussion stand. Hunderte Aktivisten auf der einen Seite, Polizisten auf der anderen und Krawallmacher dazwischen wurden verletzt.
Klickt man sich auf der Internetseite der "Roten Flora" durch den Veranstaltungskalender, finden sich neben diversen Konzerten und Partys auch politische Diskussionsrunden wie etwa die "Antinationale Trilogie". Dass der Staat nicht gerade der Freund der Aktivisten von der "Roten Flora" ist, zeigt sich auch im Innern des Gebäudes: "Fuck Nations" steht da in großen weißen Lettern auf einem Eisenträger.
Einer, der sich - wie er selber sagt - schon lange dieser linksradikalen Szene zugewandt fühlt, ist Klaus Waltke. Der 35-Jährige heißt nicht wirklich so, sondern hat sich diesen Alias für die Presse ausgedacht. Der etwa 1,85 Meter große Mann trägt Jeans und Parker, beides in schwarz. Während Waltke erzählt, setzt er die ebenfalls schwarze Mütze ab und wuschelt sich durch die platt gedrückten braunen Haare. Er sitzt auf einem alten Holzstuhl im Büro der "Roten Flora". Der kleine, aber hohe Raum ist recht kühl, ein paar leere Limonadenflaschen stehen herum.
Haus mit über hundertjähriger Historie
Wie viele "Flora"-Aktivisten es gibt, kann Waltke nicht sagen. Einige Hundert dürften es aber sein. "Als wir neulich eine neue Tür bekommen haben, wurden 150 Schlüssel ausgegeben, wovon allerdings auch viele von Gruppen genutzt werden", sagt der 35-Jährige. Neben Veranstaltungen gibt es in der "Roten Flora" auch Probenräume für Bands. In einem als Sportraum genutzten Zimmer hängen zwei Boxsäcke an einem Dachbalken, auf dem Boden liegen alte Matten. Auch eine Sieb- oder Kunstwerkstatt gab es mal, doch der Raum sieht ziemlich verwaist aus.
Das Café im Erdgeschoss wird gerade umgebaut, in Eigenarbeit. Die Aktivisten halten das Gebäude selbst in Schuss. "Bei uns gibt es auch Handwerker", sagt Waltke. Überhaupt sei hier ein Querschnitt der Bevölkerung vertreten. "Wir haben hier Kindergärtner, aber auch Ingenieure, Leute mit einem akademischen Background. Aber genauso gibt es hier Leute, die keinerlei Abschluss vorweisen können." Die "Rote Flora" sei wie ein leeres Gefäß, das gefüllt werde.
Seit mehr als einem Jahrhundert wird dieses "Gefäß", das ursprünglich "Flora-Theater" hieß, nun schon befüllt - auf sehr unterschiedliche Weise. 1888 wurde das Gebäude als Konzerthaus gebaut. Seinen Namen bekam es in Anlehnung an die Bark "Flora", ein altes Walfänger-Schiff, das als Tanzlokal diente. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Gebäude als Kino genutzt, was bis in die 1970er Jahre so blieb, dann zog ein Warenhaus ein. Fast genau hundert Jahre nach seiner Errichtung, im Jahr 1987, sollte das Gebäude in ein Musical-Theater umgebaut werden.
Doch gegen die Pläne der Stadt regte sich heftiger Widerstand im Viertel. Und es kam auch damals - wie in den vergangenen Wochen - zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Schließlich suchte die Stadt Hamburg einen anderen Musicalspielort und die "Flora" sollte ein alternatives Stadteilzentrum werden. Im Herbst 1989 wird die Flora von Autonomen besetzt und damit zum Zentrum ihrer Kultur und Politik.
Rote Flora inmitten des Wandels: Stadtteil wird Szeneviertel
Andreas Beuth wohnte damals bereits im Schanzenviertel und hat sich politisch für den Erhalt der nun "Roten Flora" eingesetzt. Der Rechtsanwalt sympathisiert mit der linken Szene und vertritt sie inzwischen in juristischen Angelegenheiten. Auch als die Stadt im Jahr 2001 den Aktivisten anbietet, das Projekt zu legalisieren. Doch die Aktivisten lehnen jede Art von Verträgen ab. "Man wollte damals alles so lassen, wie es war", sagt Beuth. "Nämlich selbstbestimmt, selbstverwaltet, keiner soll reinreden." Daher verkauft die Stadt das Gelände an den Immobilienkaufmann Klausmartin Kretschmer, der sich jedoch im Kaufvertrag verpflichtet, an der Nutzung der "Roten Flora" nichts zu ändern. Die Stadt behält sich ein Rückkaufrecht vor.
Das Kulturzentrum bleibt bestehen, doch rundherum verändert sich das Viertel. Aus dem einstigen Arme-Leute-Stadtteil wird ein Szenetreff. Immer mehr Cafés sowie Restaurants und teure Klamottenläden siedeln sich an. "Man muss in diesem Prozess auch eine andere Position klar machen", sagt Aktivist Waltke. Auf der anderen Straßenseite sehe man ja, wie aus jedem Quadratmeter Profit gezogen wird. "Wir stehen für eine andere Idee, dass man auch mal Leerstellen lassen kann und den Leuten Raum geben kann, sich auszuprobieren", so Waltke. Für ihn, wie wohl für viele andere Aktivisten, ist die "Rote Flora" eine Lebenseinstellung. Anstatt sich etwa ein neues Fahrrad zu kaufen, schraubt er sich lieber in der Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt im Keller der "Roten Flora" ein "wunderbar funktionierendes Rennrad" zusammen.
Waltke steht hinter der politischen Idee der "Rote Flora". "Wir sind gegen die Eigentumsordnung in diesem Staat, dass alles immer irgendwem gehören muss, man für alles Verträge braucht und wir wollen klar machen, dass man auch anders leben kann." Angesichts steigender Mieten in der Hansestadt finden die Parolen der Linksautonomen auch außerhalb der Szene gehört, selbst bei Geschäftsleuten.
"Es gibt hier schon genug Geschäfte, es soll nicht so kommerziell werden, sondern ein bisschen Kult bleiben", sagt ein Cafébesitzer, der seit 17 Jahren im Schanzenviertel ist. Von seinem Café aus erscheint die "Rote Flora" auf der anderen Straßenseite wie eine Trutzburg gegen den Kommerz. "Wenn es der 'Flora' an den Kragen geht, dann kommen alle, auch die, die seit 20 Jahren nichts mehr mit Politik am Hut haben", sagt Rechtanwalt Andreas Beuth. Er ist daher zuversichtlich, dass die "Rote Flora" bleiben wird, so wie sie ist.