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DRK Suche nach Verschollenen

Christian Ignatzi7. April 2014

Das Rote Kreuz digitalisiert seine Suche nach Vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Erfahrungen helfen auch heute noch bei Familienzusammenführungen. Doch noch immer werden mehr als eine Million Soldaten vermisst.

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Deutschland Geschichte Rotes Kreuz Suchdienst in München
Bild: picture-alliance/dpa

Was ist mit meinem Großvater passiert? Hat er den Krieg überlebt? Kam er in Gefangenschaft? Liegt er anonym in einem Massengrab, irgendwo in Osteuropa? Solche Fragen interessieren fast 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch immer viele: "Zwischen 15.000 und 18.000 Menschen wenden sich jedes Jahr an uns, um nach Datensätzen von Vermissten zu suchen", sagte Roland Reimann der DW. Er arbeitet in der Suchdienst-Leitstelle des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Berlin.

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Das Rote Kreuz im Einsatz während des Zweiten WeltkriegsBild: picture-alliance/dpa

Rund 50 Millionen Karteikarten mit Datensätzen lagerten bis zum Freitag (04.04.2014) im DRK-Archiv in München. Nun ziehen die Karteikästen, die aneinandergereiht eine Länge von rund zwölfeinhalb Kilometern haben, in ein gesichertes Archiv in Hamburg. Die Suchanfragen bearbeitet das Rote Kreuz in Zukunft digital. "Wir wollten diesen unglaublichen Datenschatz sichern, denn das Papier zerfällt irgendwann", erklärt Reimann.

50 Millionen Karteikarten in digitaler Form

Fast 70 Jahre nach dem Krieg: Kommt die Digitalisierung da nicht ein wenig spät? Nein, versichert Ronald Reimann: "Das Projekt der Digitalisierung brauchte eben einige Zeit. Wir haben schon vor zehn Jahren damit begonnen." Außerdem, sagt er, würden die vielen Anfragen, die nach wie vor jährlich einträfen, davon profitieren. Und nicht zuletzt die Mitarbeiter des Archivs in München: "Ihre Arbeit wird beschleunigt. Statt im riesigen Archiv nach Karteikarten suchen zu müssen, bekommen sie Daten praktisch auf Knopfdruck."

ARCHIV Internationaler Suchdienst des Roten Kreuzes in Bad Arolsen (Foto: dpa)
Akten über Akten: das Archiv des DRKBild: picture-alliance/dpa

Das Archiv wuchs in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter, bis auf 50 Millionen Karteikarten. Direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann das Rote Kreuz mit der Suche nach Vermissten. Jeder vierte Deutsche war damals entweder Suchender oder Gesuchter, sagt Reimann. Die Möglichkeiten jemanden zu finden, waren begrenzt: "Früher gab es natürlich keine Computer, aber auch Papier war selten." Die ersten Angehörigen vermisster Soldaten schrieben ihre Personalien und die der Gesuchten deshalb auf Pappstücke. Zurückkehrende Soldaten füllten ebenfalls Karteikarten aus und hofften auf die Hilfe des Roten Kreuzes. Das sogenannte Kartei-Begegnungsverfahren führte im Lauf der Jahre dazu, dass mehr als 16 Millionen Menschen ihre Liebsten wiederfanden.

Sucherfahrung hilft auch heute noch

Nun ist der Suchdienst des DRK also im digitalen Zeitalter angekommen. Das Kartei-Begegnungsverfahren kommt in Sachen Zweiter Weltkrieg nicht mehr zum Einsatz. Ausgedient hat es dennoch nicht. "Heute versuchen wir im Rahmen der Restoring Family Links, familiäre Kontakte wieder herzustellen", sagt Reimann. Dieser Dienst soll vor allem Flüchtlingen helfen, die aus Konfliktgebieten wie Syrien geflohen sind, und ihre Familie verloren haben. "Oft haben wir es auch mit Flüchtlingen aus Afrika zu tun, die auf dem Weg nach Europa andere Schiffsrouten benutzen mussten als ihre Angehörigen."

Syrien Flüchtlinge (Foto: Reuters)
Syrische Flüchtlingskinder in einem türkischen Lager: Oft werden Familien auseinandergerissenBild: Reuters

Für viele Familien heißt das, dass sie in unterschiedlichen Ländern ankommen. Um ihnen zu helfen, beteiligt sich das Deutsche Rote Kreuz seit dem vergangenen Herbst an einem Pilotprojekt, das das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) gemeinsam mit 18 europäischen Rotkreuz-Suchdiensten gestartet hat: die Onlineplattform Familylinks. "Sie ermöglicht es den Flüchtlingen, ihre Angehörigen mit Hilfe von Fotos zu finden", sagt Reimann. Das sei eine erhebliche Verbesserung, da in öffentlichen Registern oft Namen mit falschen Schreibweisen zu finden seien. Durch die Vernetzung der 18 Suchdienste entstünde zusätzlich ein weitläufiges Suchnetzwerk.

Per Bild zurück zur Familie

Auf der Plattform können Flüchtlinge entweder Suchanfragen starten oder selbst Informationen und Bilder über sich einstellen lassen. "Die Flüchtlinge suchen mittlerweile gezielt nach uns und bitten uns um Hilfe", sagt Reimann. Mit einer Auswahl der Fotos gestaltet das Rote Kreuz monatlich ein Plakat und hängt es an Orten auf, die bekannt dafür sind, dass sich dort Flüchtlinge und Migranten aufhalten. Um die Vermittlung der Kontakte kümmern sich dann die Mitarbeiter der Suchdienste. In Deutschland sind das 80 Hauptamtliche. Zusätzlich kommt in jedem DRK-Landesverband ein Koordinator hinzu.

Die Suche nach Vermissten läuft heutzutage weltweit. "Wir betrachten das als Teil des Auftrags, den uns die Genfer Konvention gibt", sagt Reimann. Auch kleinere Organisationen würden bei der Suche helfen. "Regional können das etwa Kirchen sein." Trotzdem: Vor allem von den Soldaten des Zweiten Weltkriegs bleiben viele verschollen. Rund 800.000 der noch immer 1,3 Millionen Kriegsvermissten, so sagen Schätzungen, werden wohl nie wieder gefunden werden. Aufhören wird die Suche allerdings nie: "Je teurer uns ein Mensch gewesen ist, umso tiefer würden wir ihn verleugnen, wenn wir uns weigerten, an der letzten und gewaltigsten Erschütterung seines Daseins, so sie wirklich war, teilzunehmen", steht an einer Wand in der DRK-Suchdienst-Zentrale in München.