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Ein Leben nach dem Genozid

Anne Le Touzé4. April 2014

Am 7. April 1994 begann in Ruanda der Völkermord an Tutsi und gemäßigten Hutu. 20 Jahre danach haben die Ruander einen langen Weg der Versöhnung hinter sich. Sie setzen auf wirtschaftlichen Fortschritt.

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Genozid-Gedenkstätte Gisozi Foto: Wolfgang Kumm/DPA
Bild: picture-alliance/dpa

"Ich habe Menschen gesehen, die Häuser in Brand setzten und die töteten. Es ist sehr schwer, diese Bilder zu vergessen." D'Artagnan Habintwali war nur fünf Jahre alt, als die Morde in seiner Heimatstadt Butare, im Süden Ruandas, begannen. Was er damals gesehen hat, wird der Student nicht los. Drei Monate lang, zwischen April und Juli 1994, war das Land der Tausenden Hügel Schauplatz von Massakern.

D’Artagnan Habintwali, Überlebender Foto: Anne Le Touzé, DW
Was D’Artagnan Habintwali erlebt hat, wird er nie vergessenBild: DW/A. Le Touzé

Die Regierung hatte sich die Vernichtung der Tutsi-Minderheit vorgenommen und stiftete die Hutu-Mehrheit an, mit den "Inyenzi", den "Kakerlaken", fertig zu werden. Das Gemetzel fand vor den Augen einer gelähmten Weltgemeinschaft statt. Die Vereinten Nationen schätzen, dass etwa 800.000 Menschen dabei ihr Leben verloren.

Alle sind Ruander

In den letzten Jahrzehnten haben die Ruander einen mühsamen Weg der Versöhnung zurückgelegt. Eine der ersten Maßnahmen der neuen Regierung: sie strich die Angabe zur ethnischen Zugehörigkeit aus den Ausweispapieren. Von da an waren alle Einwohner des Landes "Ruander". Die Wiedereinführung von regelmäßigen Gemeinschaftsarbeiten, den so genannten "Umuganda", sollte auch der Förderung des Gemeinschaftsgefühls dienen. Alle Ruander sind ein Mal im Monat aufgerufen, ein Haus für Bedürftige zu bauen, eine Straße zu bauen, einen Platz zu fegen.

Die juristische Aufarbeitung des Genozids war eine der größten Hürden. Unmittelbar 1994 wurde ein internationaler Strafgerichtshof (ICTR) mit Sitz in Arusha im benachbarten Tansania geschaffen, um die Hauptverantwortlichen des Völkermords zu verfolgen. Insgesamt wurden 65 Menschen vor den ICTR gestellt, 38 Angeklagte zu langen Haftstrafen verurteilt.

Die Niederlassung des internationalen Straftgerichtshofs für Ruanda ICTR in Kigali. Foto: Anne Le Touzé, DW
Der ICTR hat 2013 seine letzten Urteile in erster Instanz gesprochen. Bis 2015 beschäftigt er sich noch mit Berufungsprozessen.Bild: DW/A. Le Touzé

Auf nationaler Ebene wurden die traditionellen "Gacaca"-Gerichte 2001 wieder ins Leben gerufen. Zwischen 2005 und 2012 wurden fast 2 Millionen Menschen landesweit angehört, mehr als die Hälfte davon zu Gefängnisstrafen oder gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Internationale Menschenrechtsorganisationen bemängelten dabei viele Justizirrtümer. "Gacacas waren dafür da, dass die Leute die Wahrheit sagen. Aber auch, um ihnen Zeit und Raum zu geben, miteinander zu reden", sagt Jean Damascène Gasanabo, hochrangiger Mitarbeiter der Nationalkommission für den Kampf gegen den Genozid (CNLG). "Man kann seinen Nachbarn nicht einfach auffordern, sich zu versöhnen, aber wir mussten diesen Prozess einleiten."

Ein Dorf versöhnt sich

In Simbi, einem Dorf im Süden unweit der burundischen Grenze, sind dem Genozid mehr als 5.000 Menschen zum Opfer gefallen. Heute lebt die Gemeinde wieder friedlich miteinander. Eine lokale NGO namens "Association Modeste et Innocent", kurz AMI - Freund, hat die Versöhnung unterstützt.

Mitglieder der Kooperative Duharanire Ubumwe N’Ubwiyunge in Simbi. Foto: Anne Le Touzé, DW
Mitglieder der Landwirtschaftskooperative von SimbiBild: DW/A. Le Touzé

Jean-Pierre Karenzi war damals ein Mittäter des Völkermords. Er hat für seine Verbrechen mehrere Jahre im Gefängnis verbracht. Seit seiner Entlassung 2005 arbeitet er für die Gemeinde in Simbi. Heute blickt er beschämt auf seine Vergangenheit zurück: "Ich habe am Genozid teilgenommen, weil die damalige Regierung uns dazu angestiftet hat". Auch in Simbi lebt Jean-Baptiste Kanobayire. Der 70-jährige Überlebende war einer der ersten, der an den Schulungen der Organisation AMI teilnahm. Er habe sehr gelitten, sagt er. "Aber nach und nach habe ich entschieden, dass das Leben weitergeht. Wir sind zueinander gegangen, um zusammen für Fortschritt und Eintracht zu arbeiten."

Seit einigen Jahren sind die Gemeindemitglieder Simbis in einer Landwirtschaftskooperative organisiert. Ihr Name: Duharanire Ubumwe N'Ubwiyunge - Arbeit für Einheit und Versöhnung. Zusammen wollen die Genossenschaftsmitglieder die landwirtschaftliche Produktion ausbauen. Für sie ein Zeichen von Entwicklung.

Wirtschaftliche Fortschritte

Auch die Regierung in Kigali setzt auf den wirtschaftlichen Fortschritt, um das Land dauerhaft zu versöhnen. Ein Programm zur Reduzierung der Armut, mit Maßnahmen wie der Einrichtung einer Krankenversicherung für alle, der gezielten Verbesserung der Bildungschancen sowie der Förderung der Privatwirtschaft, habe bereits Erfolge verzeichnet, bestätigt Daniela Beckmann, Leiterin der KFW-Förderbank in Kigali. Ruanda habe seine Armutsquote um 12 Prozentpunkte innerhalb von 5 Jahren auf 45 Prozent senken können, sagt Beckmann. "Das ist im afrikanischen Vergleich übermäßig gut." Es bedeute allerdings nicht, dass es keine Herausforderungen gäbe, so Beckmann. Immerhin bestreitet Ruanda knapp die Hälfte seines Haushaltes mit ausländischer Hilfe.

Als einer der wenigen Vertreter einer innerpolitischen Opposition kritisiert Frank Habineza, Präsident der Democratic Green Party Ruanda (DGPR), sein Land habe die größte Einkommensschere Ostafrikas. "Wir glauben, dass soziale Gerechtigkeit möglich ist. Das verlangt aber mehr politischen Raum und eine Verankerung der Demokratie, damit ausländische Investoren Vertrauen haben und ihr Geld in Ruanda investieren."

Frank Habineza, Vorsitzender der Democratic Green Party Rwanda. Foto: Anne Le Touzé, DW
Frank Habineza, Vorsitzender der Democratic Green Party RwandaBild: DW/A. Le Touzé

Bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2017 will die junge grüne Partei einen Kandidaten stellen, um der Bevölkerung eine Alternative zu Paul Kagame anzubieten. Denn seit Ende des Völkermords regiert die Ruandische Patriotische Front (RPF) des ehemaligen Rebellenführers Kagame beinahe in Alleinherrschaft. Auch die letzten Parlamentswahlen im September 2013 gewann die RPF mit über Dreiviertel der Stimmen.

Vertrauen in die Zukunft

Neues Rathaus von Kigali im Bau. Foto: Anne Le Touzé, DW
Modernisierung der Hauptstadt: Kigali bekommt ein neues RathausBild: DW/A. Le Touzé

Die Hauptstadt Kigali zählt 1,2 Millionen Einwohner. Sie gilt als Symbol des ruandischen Fortschritts. Im Zentrum entsteht ein Gewerbehochhaus nach dem anderen. Bürgermeister Fidèle Ndayisiba ist sicher: "Geht die Entwicklung so weiter, wird Kigali in 10 Jahren eine moderne, blühende Stadt sein."

Auch wenn abseits des Zentrums die Menschen auf die Moderne noch warten müssen - die Ruander sind geduldig und schauen zuversichtlich in die Zukunft. D'Artagnan Habintwali, der traumatisierte Junge aus Butare, ist heute 25 Jahre alt. Er hat sein Studium fast abgeschlossen und möchte Schriftsteller werden. "Es wird eine Zeit geben, wo alles gut ist."