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Oscar-Kandidat "Kollektiv": Warum Korruption tötet

Dana Alexandra Scherle Text | Robert Schwartz Video
23. April 2021

Der Dokumentarfilm des deutsch-rumänischen Regisseurs Alexander Nanau geht am Sonntag in zwei Kategorien ins Oscar-Rennen. In der Corona-Pandemie ist "Kollektiv" erschreckend aktuell - nicht nur in Rumänien.

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Eine Überlebende des Brands im Club Colectiv, die im Dokumentarfilm zu Wort kommt
Eine Überlebende des Brands im Club Colectiv, die im Dokumentarfilm zu Wort kommtBild: MDR/Alexander Nanau

"Die Geschichte ist in der Corona-Krise noch relevanter"

Korruption tötet - im wörtlichen Sinne. 27 Menschen starben noch am selben Abend, als im Herbst 2015 ein verheerender Brand während eines Metal-Konzerts im Bukarester Club Colectiv ausbrach. In den Wochen nach dem Brand starben weitere 37 Menschen - auch viele, deren Brandverletzungen eigentlich nicht so schwer waren, die sich aber mit Krankenhauskeimen infiziert hatten. Alexander Nanaus Dokumentarfilm "Kollektiv - Korruption tötet" (Englischer Titel: Collective) begleitet den rumänischen Investigativ-Journalisten Catalin Tolontan und sein Team bei den Recherchen rund um diese Tragödie sowie Whistleblower, trauernde Angehörige der Opfer und einen jungen Interims-Gesundheitsminister, der das marode System reformieren wollte.

Verdünnte Desinfektionsmittel, tödliche Krankenhauskeime

Im Film ist zu sehen, wie Tolontan und seine Kollegen einen erschütternden Korruptionsskandal aufdecken: Desinfektionsmittel der Firma Hexipharma waren so stark verdünnt worden, dass sie nicht mehr richtig wirkten. Aus Profitgier. Mehrere Behörden, Politiker und sogar Ärzte in Rumänien hatten davon gewusst und es zugelassen.

"Journalismus kann die Gesellschaft verändern"

"Populistische Politiker, korrupte und inkompetente Leute im Gesundheitswesen haben eine Gesundheitskrise ausgenutzt, um sich zu bereichern", sagt Alexander Nanau im DW-Interview. Der Regisseur, Produzent und Kameramann des Dokumentarfilms "Kollektiv" ist in Bukarest geboren und als Elfjähriger mit seiner Familie, die zur deutschen Minderheit in Rumänien gehört, vor 30 Jahren nach Deutschland gezogen. In Berlin besuchte er die Filmhochschule, im Theater arbeitete er jahrelang an der Seite des berühmten deutschen Regisseurs Peter Zadek.

Korruptionsfälle auch in der Corona-Krise in Deutschland

"Kollektiv" ist der erste rumänische Film, der für den Oscar nominiert ist - und der zweite Dokumentarfilm in der Geschichte der Academy Awards, der in zwei Kategorien nominiert wurde: als "Bester Dokumentarfilm" und als "Bester Internationaler Film". Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) ist ein wichtiger Produktionspartner, sagt Alexander Nanau im DW-Interview, und fügt hinzu: "Natürlich ist es auch ein relativ deutscher Film durch meine Präsenz als deutscher Regisseur, aber ich denke, dass diese Geschichte heute insgesamt noch relevanter geworden ist in der Corona-Krise. Wir sehen, wie Bundestagsabgeordnete erwischt werden, wie sie genauso korrupt waren und Millionen an Schmiergeldern erhalten haben, um einen Hersteller von Masken zu präferieren. Korruption ist überall, es ist erst die Spitze des Eisbergs, die freigelegt wird."

Im Film sei zu sehen, "wie investigativer Journalismus die Gesellschaft verändern kann". Das habe er am Anfang der Dreharbeiten noch nicht erwartet, weil es sich um einen beobachtenden Dokumentarfilm handelt, der dem Geschehen folgt - ohne ein im Vorfeld festgelegtes Skript. "Im Film sieht man, wie Journalisten und Whistleblower dem Druck der mächtigen Politiker standhalten. Das müssen wir sehen, um zu verstehen, dass es möglich ist."

"Die Menschen haben Angst vor Populismus"

Als er mit seinem Film durch die Welt reiste - die Premiere fand im September 2019 bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig statt - beobachtete Alexander Nanau, wie groß das Identifikationspotenzial von "Kollektiv" für Menschen aus anderen Ländern ist: "Sie haben Angst, dass die Politiker sie im Grunde genommen nicht mehr vertreten, Angst vor Populismus. Hinter dieser Angst steckt die Unsicherheit, ob der Gesellschaftsvertrag morgen noch funktioniert."

In Rumänien lief "Kollektiv" im vergangenen Jahr nur zwei Wochen lang in den Kinos, bis diese wegen der Corona-Pandemie im Frühling 2020 geschlossen wurden. Doch die Resonanz war gewaltig: "Im Publikum waren hauptsächlich junge Menschen zwischen 16 und 30, die uns auch jetzt noch ständig schreiben."

Seit 2015, als er mit den Dreharbeiten für "Kollektiv" begann, verbringt Alexander Nanau besonders viel Zeit in seinem Geburtsland Rumänien. Eine hohe Auszeichnung des rumänischen Staates lehnte er im Januar ab - aus Protest gegen die fehlende staatliche Hilfe für die von der Corona-Krise schwer beschädigte Kulturszene.

Tragische Unfälle in rumänischen Krankenhäusern während der Corona-Pandemie

Besonders frustriert sei er über die tragischen Unfälle in rumänischen Krankenhäusern – zum Beispiel den Tod von drei Corona-Patienten in Bukarest in diesem Frühling, wegen einer technischen Panne bei der Sauerstoffversorgung. Im Herbst 2020 waren bereits mehrere Corona-Patienten bei einem Brand in einem Krankenhaus in einer Kleinstadt im Nordosten Rumäniens gestorben. Vlad Voiculescu, eine der Hauptfiguren des Films - damals als Interims-Gesundheitsminister - ist im Dezember 2020 Gesundheitsminister in der neuen rumänischen Regierung geworden, mit einer ehrgeizigen Reformagenda. Doch vergangene Woche hat ihn der rumänische Premier entlassen. Im Großen und Ganzen würden heute, in der Corona-Pandemie, immer noch dieselben Leute die rumänische Politik dominieren wie in der Zeit nach dem Colectiv-Brand, beklagt Alexander Nanau.

Was sich aber verändert hat, seit der Film "Kollektiv" Anfang 2020 in Rumänien gezeigt wurde: Viel mehr Whistleblower richten sich dort an Journalisten als vorher - mit Informationen zu Korruptionsfällen.

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Dana Alexandra Scherle Redakteur und Autor der DW Programs for Europe