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Schuldzuweisungen nach Absturz

19. Januar 2011

Russland und Polen schieben sich gegenseitig die Schuld am Absturz von Smolensk zu. Warschau hält den russischen Fluglotsen Fehler bei der Instruktion der Piloten vor. Moskau sagt, diese hätten Warnungen missachtet.

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Menschen legen Blumen neben die Absturzstelle der polnischen Präsidentenmaschine (Foto: AP)
Der Absturz erschütterte Russen und Polen gleichermaßenBild: AP

Die russischen Behörden veröffentlichten am 19.01.2011 Abschriften von Gesprächen zwischen der Bodenkontrolle des Flughafens von Smolensk und den Piloten der polnischen Präsidentenmaschine, die kurz vor deren Absturz am 10.04.2010 geführt wurden. Daraus geht hervor, dass die russische Flugsicherung die Piloten ausdrücklich vor einem Landungsversuch gewarnt hatte. Bei dem Absturz der Tupolev TU-154 in dichtem Nebel waren Präsident Lech Kaczynski und 95 andere hochrangige Vertreter aus Gesellschaft, Politik und Militär ums Leben gekommen.

Wer war Schuld?

Fernsehaufnahmen vom Tag des Absturzes (Foto: AP)
Wer traf Landeentscheidung?Bild: AP

Die Veröffentlichung der Abschriften ist der bislang jüngste Schritt einer Eskalation von gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen russischen und polnischen Behörden über die Verantwortung für das Unglück.

Eine Woche zuvor hatte das russische interstaatliche Luftfahrtkommittee (MAK) einen Abschlußbericht veröffentlicht, in dem der Besatzung der polnischen Präsidentenmaschine schwere Fehler unterstellt worden waren. Insbesondere hätten sich die Piloten trotz des schlechten Wetters und entgegen dem Rat der Fluglotsen entschlossen in Smolensk zu landen.

Hat Kaczynski die Piloten genötigt?

Hochrangige Staatsvertreter an Bord hätten Druck ausgeübt. So erklärt ein russischer Fluglotse in einem Teil des Mitschnitts, dass die Entscheidung, ob das Flugzeug lande nicht mehr in der Hand der russischen Flugsicherung liege. Die Entscheidung würde vielmehr von "Nummer Eins" getroffen, der selbst an Bord sei. Unklar ist, ob sich diese Aussage auf Präsident Kaczynski bezieht, oder den Luftwaffenchef, der auch in der Unglücksmaschine war.

Der MAK-Bericht zeigt auch, dass die Flugsicherung in Smolensk anfangs verwirrt über die Absichten der polnischen Piloten gewesen sei. So hätten diese der Bodenkontrolle zuletzt nur mitgeteilt, dass sie einen Landeversuch unternehmen wollten und nur Abdrehen würden, falls das Wetter zu schlecht sei. Daraufhin hätten die Fluglotsen den Piloten angewiesen abzudrehen. Kurz vor dem Absturz teilte der Pilot dem Tower mit, er habe jetzt die Positionslichter eingeschaltet. Danach dokumentiert der Mitschnitt eine Flut von Flüchen der Fluglotsen.

Hat die Flugsicherung die Piloten falsch geleitet?

Polen bestritt diese Version der Ereignisse, und warf den russischen Fluglotsen vor, sie hätten die Piloten nicht darüber informiert, dass das Flugzeug in diesem Moment bereits weit ab von seinem vorgesehenen Kurs und deutlich zu tief geflogen sei. Auf einer Pressekonferenz spielten die polnischen Ermittler am 18.01.2011 daraufhin ihren eigenen Mitschnitt der Gespräche.

Präsident Lech Kaczynski vor der Präsidentenmaschine 2008 (Foto: AP)
Machte der Präsident Druck?Bild: AP

Luftwaffenhauptmann Miroslaw Grochnikow erklärte, die russischen Behörden hätten den Flughafen nicht formal geschlossen. Auch verfüge der Flughafen über unzureichende Navigationsausrüstungen. Regierungsvertreter erklärten, es sei "schwierig zu akzeptieren, dass diese Informationen in dem Russischen Bericht fehlen" und bezeichneten ihn als "einseitig."

Annäherung gefährdet

Der Streit über den Abschlußbericht könnte die russisch-polnische Aussöhnung zurückwerfen. Nach dem Absturz hatten sich der polnische Premierminister Donald Tusk und Russlands Präsident Dmitri Medwedew und Premier Vladimir Putin um eine politische Annäherung beider Länder bemüht. Insbesondere die Bereitschaft von Russland, das Massaker von Katyn, bei dem der sowjetische Geheimdienstes NKWD im Frühjahr 1940 mehrere Tausend polnische Offiziere ermordet hatte, anzuerkennen, hatte zum politischen Tauwetter beigetragen.

Russlands und Polens Premierminister Vladimir Putin und Donald Tusk legen einen Kranz für die Opfer nieder (Foto: RIA/Novosti)
Annäherung: Tusk und PutinBild: picture alliance/dpa

Zudem öffnete Russland polnischen Historikern Zugang zu Akten über Katyn. Dieser Schritt von Russland hatte starke Symbolkraft, da die verunglückte Präsidentenmaschine auf dem Weg zu einer Trauerfeier aus Anlass des 70. Jahrestages des Massakers war. Unklar bleibt, ob Polen in der Frage der Bewertung des Absturzes um internationale Vermittlung bitten werde, und ob Russland einem solchen Vorhaben zustimmen würde.

Auswirkungen auf die Wahlen

In Polen hat der Streit um die Absturzursache auch innenpolitische Folgen. Im Herbst muss sich Tusk Neuwahlen stellen. Die konservative Opposition warf ihm im Laufe der Ermittlungen immer wieder vor, die russischen Ermittlungen nicht mit genug Nachdruck verfolgt zu haben. Sie forderte jetzt auch den Rücktritt von Verteidigungsminister Bogdan Kilich und leitete ein Misstrauensvotum in die Wege.

Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski im Präsidentschaftswahlkampf im Juni 2010 (Foto: AP)
Jaroslaw Kaczynski wirft Tusk Versagen vorBild: ap

Zudem hatte der Absturz innerhalb Polens die Polarisierung zwischen der politischen Linken und den Nationalkonservativen forciert. Der Bruder des verstorbenen Präsidenten Jaroslaw Kaczynski erklärte, die Abschriften zeigten, dass "Moskau direkt verantwortlich für den Absturz" sei. In einer polnischen Meinungsumfrage hatte etwa die Hälfte der Befragten erklärt, sie glaubten dem Bericht der russische interstaatliche Luftfahrtkommittee (MAK) nicht. Nur 23 Prozent hielten die Ergebnisse für glaubwürdig.

Autor: Fabian Schmidt (afp, rtr)
Redaktion: Gero Rueter