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Zwielichtige Dienste

Angela Göpfert1. Dezember 2006

Seit dem Tod Litwinenkos schießen Spekulationen über die Rolle der russischen Geheimdienste ins Kraut. Experten meinen: Diese seien so mächtig wie lange nicht - und nicht gewillt, ihren Einfluss wieder herzugeben.

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Das FSB-Hauptquartier in Moskau
Das heutige FSB-Hauptquartier in Moskau beherbergte früher den mächtigen KGBBild: AP

Das Foto des glatzköpfigen, hohlwangigen Alexander Litwinenko schien zunächst wie ein Symbol für die Gnadenlosigkeit, mit der das Regime von Wladimir Putin seine Gegner gemeinhin zur Strecke bringt. Schließlich galt der Ex-Agent, der in seinem Londoner Exil an einer Polonium-Vergiftung starb, als Vaterlandsverräter: In seinem Buch "Der FSB sprengt Russland in die Luft" klagte er den Inlandsgeheimdienst an, die Explosionen in Moskauer Wohnhäusern 1999 - die damals unverzüglich tschetschenischen Terroristen zugeschoben wurden - selbst ausgelöst zu haben. Putin selbst war von 1998 bis 1999 Direktor des FSB.

Wladimir Putin mit Sonnenbrille
James Bond? Nein ... Ex-Agent Wladimir PutinBild: AP

Aber für einen Mordauftrag des Kremls gibt es immer weniger Anhaltspunkte, Scotland Yard hält dies inzwischen sogar für ausgeschlossen. Auch Gerhard Mangott, Russland-Experte am Österreichischen Institut für Internationale Politik (ÖIIP) betont im Gespräch mit DW-WORLD.DE: "Würde der Kreml dahinter stecken, hätte man Litwinenko, wie andere Abtrünnige auch, einfach erschossen. Nein, hier hatte jemand großes Interesse daran, dass dieser Todeskampf möglichst lange andauert und öffentliches Interesse hervorruft."

Geheimdienst-Patron Putin?

Doch wer profitierte vom medienwirksamen Dahinsiechen Litwinenkos? Russland-Experte Mangott vermutet eine "außer Kontrolle geratene Zelle, ein abtrünniges Lager innerhalb der russischen Geheimdienste" hinter dem Anschlag. Tatsächlich konzentrieren sich die Ermittler bei ihrer Spurensuche britischen Medienberichten zufolge inzwischen auf eine Gruppe ehemaliger und jetziger Mitarbeiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB.

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Denn diese Nachfolgeorganisation des Komitees für Staatssicherheit (KGB) hätte durchaus allen Grund, um ihre Macht zu fürchten, die sie unter dem einstigen FSB-Chef Putin gewonnen hat. 2008 endet Putins Amtszeit, und bislang lehnt er es vehement ab, sich per Referendum oder Verfassungsänderung eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Dabei steht laut aktuellen Umfragen die Mehrheit der russischen Wahlbevölkerung hinter Putin. "Der FSB hat ein großes Interesse daran, dass Putin eine dritte Amtszeit übernimmt und weiterhin als Patron die Geheimdienste beschützt. Oder aber er soll einen Nachfolger, einen Kronprinzen, aus dem Lager der Sicherheitsdienste benennen", ist Mangott überzeugt.

Der Fall der Geheimdienste unter Jelzin

Dabei galten die russischen Geheimdienste vor nicht allzu langer Zeit noch als deutlich geschwächt. Als Boris Jelzin den KGB Anfang der 1990er Jahre feinsäuberlich in viele kleine Organisationen filetierte, blieb von dem Geheimdienst-Giganten zunächst nicht viel übrig: Der einstige Monolith wurde zerschlagen in den Inlandsgeheimdienst FSB, den Auslandsgeheimdienst SWR, die Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information FAPSI sowie den Föderalen Dienst für Grenzschutz FPS.

Der Aufstieg der Geheimdienste unter Putin

Alexander Litwinenko mit einem maskierten FSB-Agenten
Alexander Litwinenko mit einem maskierten FSB-Agenten bei einer Pressekonferenz 1998Bild: picture-alliance/ dpa

Allerdings fand unter Putin eine Rekonsolidierung des Geheimdienstapparates statt: FPS und FAPSI wurden in den FSB integriert, die finanziellen Mittel für die Geheimdienste aufgestockt, und ihre parlamentarische Kontrolle wurde erschwert. Zudem platzierte Putin zahlreiche Ex-Kollegen auf strategisch wichtigen Posten. "Heute sind die Geheimdienste ein regelrechter Veto-Player in Politik und Wirtschaft", sagt ÖIIP-Mann Mangott.

Tatsächlich kontrollieren FSB- und SWR-Leute die Kommandohöhen der russischen Wirtschaft: Metall, Luftfahrt, Gas- und Ölindustrie. Und auch die Politik ist von Ex-Geheimdienstlern nur so infiltriert: Sowohl Verteidigungs- und Außenministerium, als auch Innen-, Justiz-, Atomenergie- und Wirtschaftsministerium werden laut einer Liste der Heinrich-Böll-Stiftung von einstigen KGB-, FSB- oder SWR-Männern geleitet.

Zauberlehrling Putin

Allerdings scheint es fast so, als ob Putin die Geister, die er rief, nicht mehr loswird: Die Ex-Geheimdienstmänner, die Putin selbst einst eingesetzt hatte, seien ihm nicht mehr loyal ergeben, sondern wollten ihren Einfluss über 2008 hinweg erhalten, sagt Russland-Experte Mangott und entwirft ein erschreckendes Szenario: "Die Welt muss sich deshalb in naher Zukunft auf eine wesentlich instabileres Russland einstellen, solange Putins Nachfolge nicht geklärt ist und die Geheimdienste um den Verlust ihrer Macht fürchten müssen."