Russische Marine im Sudan: Geopolitik und Gold
1. Dezember 2020Wenn es nach Wladimir Putin geht, könnte Russland zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen neuen Marinestützpunkt im Ausland aufbauen. Der Präsident beauftragte Mitte November sein Verteidigungsministerium, mit Sudan ein entsprechendes Abkommen zu unterzeichnen. Nach Tartus in Syrien wäre das nicht nur die zweite russische Marinebasis in der für Moskau zunehmend wichtigen Region Nahost und Nordafrika, sondern weltweit, abgesehen von der annektierten Krim.
Was sich groß anhört, fängt klein an. Der von Russland veröffentlichte Vertragsentwurf sieht im Grunde einen Logistik- und Reparaturstützpunkt am Roten Meer vor. Dort würde die russische Marine bis zu 300 Militärs stationieren dürfen, die bis zu vier Kriegsschiffe gleichzeitig versorgen könnten, darunter solche mit Atomantrieb. Gemeint sind wohl eher Atom-U-Boote, denn die russische Flotte verfügt über nur einen einsatzbereiten nuklear angetriebenen Kreuzer "Pjotr Weliki" (Peter der Große). Ein zweites wird gerade modernisiert.
Darum strebt Russland eine Marinebasis in Sudan an
Doch wozu braucht Russland einen Stützpunkt am Rotem Meer und warum ausgerechnet im Sudan? Die Sowjetunion hatte einst Stützpunkte in Äthiopien und Somalia und reagierte damit unter anderem auf eine US-Marinebasis im Indischen Ozean. Für das heutige Russland scheint das Rote Meer als Region und Zugang zum afrikanischen Kontinent wichtig. Pensionierte Admiräle wie der einstige Stabschef der russischen Marine Viktor Krawtschenko begründen in russischen Medien die Notwendigkeit eines Stützpunkts im Sudan mit dem Einsatz gegen Piraten am Horn von Afrika. "Es ist eine angespannte Region", so Krawtschenko in einem Interview mit der Nachrichtenagentur "Interfax". "Die russische Marine-Präsenz dort ist notwendig." Später könne sich daraus eine vollwertige Basis entwickeln.
Auch Imagepflege als Weltmacht spiele eine Rolle, so Experten gegenüber der DW. "Russland definiert sich als Akteur, der in dieser wichtigen Weltregion vor Ort ist", sagt der frühere deutsche Botschafter in Sudan Rolf Welberts, der einst auch das NATO-Informationszentrum in Moskau leitete. Marinestützpunkte in Dschibuti am Roten Meer haben unter anderem die USA, Frankreich und China. Auch Russland zeigte laut Medien Interesse, doch es hat nicht geklappt.
Der russische Militärpublizist Alexander Golz nennt neben Prestige für Russland auch Rohstoffförderung im Sudan und die Fähigkeit, im "Falle eines Konflikts mit dem Westen, Handelswege kappen zu können" als weitere denkbare Gründe für Moskaus Pläne. Rolf Welberts ist beim letzten Punkt zurückhaltend. Russland könne die Handelswege im Roten Meer nicht "einfach so" unterbrechen, auch wegen der westlichen Präsenz dort, so der Ex-Diplomat. Es gebe aus russischer Sicht außer einem eventuellen Konflikt mit dem Westen auch regionale Krisenszenarien, die eine Präsenz plausibel machen könnten.
Sudan als "Russlands Schlüssel zu Afrika"?
"Das Rote Meer hat sich zu einem geopolitischen Hotspot entwickelt", sagt Annette Weber von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Als Ausgangspunkt dafür nennt die Expertin den Krieg in Jemen, an dem sich mehrere Länder der Region beteiligen, auch Sudan. "Für Russland ist es ein fantastischer Deal, weil es stärkeren Einfluss bekommt", so Weber. Die Expertin beschreibt Sudan als "enorm wichtig", zum einen wegen der Handelswege, aber auch aufgrund der Schmuggel- und Fluchtrouten, die durch das Land führen.
Bis vor wenigen Jahren haben Russland und Sudan nicht besonders eng zusammengearbeitet. Eine sichtbare Annäherung begann erst 2017, als der damalige autoritäre Präsident Omar al-Baschir von Putin in Sotschi empfangen wurde.
"Das war schon ein starkes Signal von al-Baschir und der russischen Regierung, dass sie mit Sudan zusammenarbeiten wollen, während andere Länder es nicht tun würden", sagt Kholood Khair von Insight Strategy Partners (ISP), einem Think-and-do-Tank in Sudans Hauptstadt Khartum. Hintergrund sei die Tatsache, dass Sudan auf der US-Liste staatlicher Terrorismus-Unterstützer steht und al-Baschir vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) wegen Kriegsverbrechen in Darfur angeklagt wurde. Derzeit bemüht sich Sudan, von der Liste gestrichen zu werden und die jahrelange Isolation zu beenden.
Beim Treffen mit Putin 2017 wetterte Al-Baschir gegen die USA, beschrieb den Sudan als "Russlands Schlüssel zu Afrika" und brachte eine Marinebasis ins Gespräch, offenbar als Schutz gegen Washington. Danach gab es Berichte über russische Firmen, die im Sudan Gold fördern, und über Söldner einer dubiosen Privatarmee, genannt "Wagner-Gruppe". Als Ende 2018 ein Aufstand gegen al-Baschir begann, sollen diese Söldner seine Sicherheitskräfte beraten haben, berichtete etwa die britische Times. Moskau bestätigte zwar die Präsenz seiner Militärs im Sudan, dementierte jedoch Spekulationen über eine Beteiligung an der Niederschlagung der Proteste.
Goldminen als gemeinsames Interesse
Seit dem Sturz al-Baschirs im April 2019 wird der Sudan von einem "Souveränen Rat" aus Zivilisten und Militärs regiert. Die Militärs seien stärker, sagt Khair. Russland habe seine Kontakte in Khartum dank General Mohamed Hamdan Dagalo behalten, der in Sudan "Hemeti" genannt wird. Hemeti ist stellvertretender Vorsitzende des "Souveränen Rats" und laut Khair "der einflussreichste Mann im Land".
"Russland hat seine ganze Energie eingesetzt, früher hinter al-Baschir, jetzt mit Hemeti, unter anderem weil es sich an den am meisten profitablen Rohstoffen Sudans beteiligt: Gold", sagt Khair. "Es gibt sehr zuverlässige Quellen, wonach russische Soldaten und russische private Sicherheitsfirmen die Goldminen im Norden bewachen, die mit Hemeti verbunden sein sollen". Gold ist eine der zentralen Einkommensquellen für die von Sanktionen, Korruption und Inflation gebeutelte sudanesische Wirtschaft.
Noch ist unklar, ob Russland den Sudan als Sprungbrett in der Region sieht. Fakt ist, dass russische Militärberater und Söldner in mindestens zwei Nachbarländern Sudans gesehen worden sind: in Libyen und in der Zentralafrikanischen Republik. Das scheint Teil von Moskaus Strategie zu sein, die seit Sowjetzeiten existierenden Verbindungen wiederzubeleben und neue zu knüpfen – wie im Fall des Sudan. Ein Schritt in diese Richtung war der erste Russland-Afrika-Gipfel in Sotschi im Herbst 2019, bei dem auch die neue sudanesische Führung dabei war.