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Politik

Russland macht die NATO nervös

14. September 2017

Allen russischen Beschwichtigungsversuchen zum Trotz: vor allem die östlichen NATO-Länder machen sich große Sorgen. Sie fürchten, dass Russland einen Angriff auf sie übt.

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Weißrussland Militär Manöver Sapad | Russland und Weißrussland (Reuters/Vayar military information agency/Belarussian Defence Ministry)
Bild: Reuters/Belarussian Defence Ministry

"Sapad" heißt übersetzt schlicht "Westen". Ist der Westen, also die NATO, also auch der imaginäre Gegner der russisch-weißrussischen Militärübung? Das russische Verteidigungsministerium bestreitet das. Das Manöver sei "rein defensiver Natur und nicht gegen irgendeinen Staat oder eine Ländergruppe gerichtet". Und Oleg Woinow, ein Berater des weißrussischen Verteidigungsministers, fügte sicherheitshalber hinzu: "Wir haben Militärstützpunkte ausgewählt, die weit von den Grenzen zur Ukraine, Polen, Litauen und Lettland entfernt liegen."

Die beiden Armeen arbeiten mit fiktiven Feinden, denen sie sogar Namen gegeben haben: Weischoria, Lubenia und Wesbaria. Doch die Balten und Polen befürchten, man könne hier ebenso gut die Namen ihrer Länder einsetzen. Sie erinnern sich noch gut an das letzte russische Manöver namens "Sapad" im Jahre 2013. Wenige Monate später besetzte Russland die ukrainische Halbinsel Krim, und dabei ist es bekanntlich geblieben.

Autonome Republik Krim Feier zum 3. Jahrestag der Krim in Sevastopol
Am 18.3. 2017 feiern Menschen in Sewastopol den 3. Jahrestag der "Heimholung" der KrimBild: Reuters/P. Rebrov

Kein Vertauen in Informationen aus Russland

Das Misstrauen auf NATO-Seite fängt schon bei der genannten Truppenstärke an. Nach Moskauer Angaben nehmen rund 12.700 Soldaten an dem Manöver teil. Westliche Sicherheitsexperten glauben, die Zahl bleibe nicht zufällig unter der Grenze von 13.000 Soldaten, ab der sich Russland und die NATO verpflichtet haben, sich gegenseitig umfassend zu informieren und Beobachter der Gegenseite einzuladen. Zudem glauben sie, dass die Zahl stark untertrieben ist. Das in London ansässige militärwissenschaftliche Institut Jane's geht von einer Gesamtzahl von "80.000 bis 100.000" Soldaten aus.

Der CDU-Sicherheitspolitiker und frühere Generalstabsoffizier Roderich Kiesewetter erklärte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, die offiziell angegebene Zahl beziehe sich allein auf die Soldaten in Weißrussland und sei "nur ein Baustein von ganz vielen anderen Übungen", die gleichzeitig zwischen dem Schwarzen Meer und der Halbinsel Kola am Eismeer stattfänden. Der Bundeswehr-General a.D. Karl-Heinz Lather gab, ebenfalls im Deutschlandfunk, zwar an: "Wir sind im NATO-Russland-Rat informiert worden", allerdings sei im Rat das "Vertrauen beschädigt", und man sei nicht sicher, ob die Informationen der Wahrheit entsprächen.

Erinnerungen an die Krim-Besetzung

Litauen Nato-Manöver «Iron Wolf 2017»
Juni 2017: NATO-Generalsekretär Stoltenberg und Litauens Präsidentin Grybauskaite bei einem NATO-Manöver in LitauenBild: picture-alliance/ZUMAPRESS/A. Pliadis

In den östlichen NATO-Ländern geht die Angst um. Pawel Soloch, Leiter des nationalen Sicherheitsbüros Polens, sagte dem privaten Hörfunksender Radio Zet, die Manöver seien eine Demonstration "der Fähigkeiten des russischen Staates zu einer umfänglichen Kriegsaktion", außerdem sei der "Grad der Mobilisierung wirklich beeindruckend". Auch Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Politiker und Vizepräsident des Europaparlaments, sagte: "Das russische Großmanöver gibt Anlass zur Sorge."

General Lather gab sich zwar skeptisch, dass hier der Überfall auf Polen und das Baltikums simuliert werde. Dennoch halte er die Beunruhigung die Balten für "natürlich", dass Russland "Ähnliches" tun könne wie in Georgien, auf der Krim und in der Ostukraine. Auch Roderich Kiesewetter nennt einen Angriff auf ein NATO-Land "unwahrscheinlich". Und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte der russischen Nachrichtenagentur Ria-Nowosti, das Manöver stelle zwar keine "unmittelbare Bedrohung für einen Verbündeten" dar, Moskau solle aber dennoch durch Transparenz "Spannungen abbauen und Missverständnisse verhindern".

Wenn Russland wollte ...

Doch genau das - darin sind sich praktisch alle westlichen Verteidigungspolitiker einig - will Russland eben nicht. Der CDU-Politiker Kiesewetter deutet die Strategie so, dass Russland "permanent ein Zeichen der Unsicherheit und mangelnden Berechenbarkeit sendet", um die NATO-Staaten zu beunruhigen. Außerdem wolle Präsident Putin gerade jetzt im deutschen Wahlkampf einen Keil zwischen die östlichen NATO-Staaten mit ihren Bedrohungsängsten und die deutsche Gesellschaft treiben, "die gar nicht mehr weiß, was es heißt, von einem hochgerüsteten Staat bedroht zu werden".

Karte Suwalki Lücke Deutsch
Die "Lücke von Suwalki", Achillesferse der NATO bei einer Verteidigung des BaltikumsBild: DW

Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite weist unterdessen darauf hin, dass die östlichen NATO-Länder heute nicht mehr so verwundbar seien wie früher: : "Wir selbst sind jetzt besser vorbereitet", sagt sie. Zudem haben die USA Ende August sieben Kampfflugzeuge in Litauen stationiert, US-Militärfahrzeuge wurden nach Polen verlegt.

Doch wie wenig die NATO-Mitgliedschaft und einige amerikanische Abfangjäger im Zweifelsfall wert wären, haben westliche Militärs vor gut einem Jahr in einer Untersuchung der US-Denkfabrik RAND eingeräumt. Sie weisen darin auf die Achillesferse für die Verteidigung des Baltikums hin, auf die sogenannte "Lücke von Suwalki". Falls Russland das Baltikum angriffe, so die Studie, müsste es nur diese schmale Landverbindung zwischen Polen und Litauen, flankiert von Weißrussland im Osten und der russischen Exklave Kaliningrad im Westen, besetzen und könnte damit den NATO-Nachschub Richtung Norden abschneiden.

Die Studie, an der der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark und der frühere NATO-Kommandeur Egon Ramms mitgewirkt haben, kommt zu dem Ergebnis, die Infanterie der NATO "wäre nicht einmal imstande, sich zurückzuziehen. Sie würde an Ort und Stelle zerstört werden." Es bliebe nur der Versuch einer Rückeroberung des Baltikums. Doch das würde "im Desaster" enden. Für die Balten sind das keine beruhigenden Ergebnisse.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik