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Russland und das Völkerrecht

Christian Ignatzi8. März 2014

Bewaffnete Truppen kontrollieren die Krim. Das verstößt westlichen Experten und Politikern zufolge gegen das Völkerrecht. Russland zeigt sich überzeugt, im rechtlichen Rahmen zu handeln. Aber die Argumente sind brüchig.

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Ukraine Russland Krim-Krise 06.03.2014 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Was die russische Führung auf der Krim unternommen hat, verstößt eindeutig gegen geltendes Völkerrecht", sagt der frühere luxemburgische Premierminister und aktuelle Spitzenkandidat der Konservativen für die Europawahl, Jean-Claude Juncker. "Das entspricht nicht dem Einhalten der Verpflichtungen, die die russische Führung in den 90er-Jahren in Sachen Ukraine und Krim eingegangen ist", meinte er im Interview mit dem Deutschlandfunk. Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht das offenbar ähnlich. Sie warf Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Telefonat eine "unakzeptable russische Intervention auf der Krim" vor, wie der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter bestätigte.

Professor Stefan Talmon
Talmon: "Was gerade auf der Krim passiert ist nicht völkerrechtskonform"Bild: Privat

Die Charta der Vereinten Nationen - die Grundlage des Völkerrechts - verbietet Staaten Angriffskriege. Russland zeigt sich dagegen davon überzeugt, dass das militärische Eingreifen völkerrechtlich gerechtfertigt ist. Putin begründet das damit, dass das Leben russischer Staatsbürger in Gefahr sei. Stefan Talmon, Professor für Völkerrechtskunde an der Universität Bonn, hält diese Begründung für falsch: "Das Völkerrecht kennt keine Erlaubnis, bewaffnete Truppen in einen anderen Staat zu entsenden, um dort Bevölkerungsgruppen zu beschützen."

Kein Eingriff ohne Erlaubnis des Sicherheitsrats

Die territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit eines Landes sei demnach höher angesehen als der Schutz der Bevölkerung. Selbst bei schwersten Völkerrechtsverletzungen und völkermordähnlichen Zuständen ist ein Eingriff in einem anderen Land ohne die Erlaubnis des UN-Sicherheitsrats nicht erlaubt. "Wenn schon die humanitäre Intervention nicht allgemein anerkannt ist, dann ist das, was gerade auf der Krim passiert schon gleich gar nicht völkerrechtskonform", sagte Talmon der DW.

Angela Merkel (Foto: dpa)
Merkel: "eine unakzeptable Intervention"Bild: picture-alliance/dpa

Eine Truppenentsendung wäre nur dann mit der Charta der Vereinten Nationen vereinbar, wenn die ukrainische Regierung Russland um Hilfe bitten würde: "Auch eine Exilregierung kann solch eine Einladung - wie man sagt - aussprechen, und Ex-Präsident Janukowitsch weilt derzeit in Russland", sagt Talmon. Legitim wäre diese Variante aber nur dann, wenn die neue Regierung durch einen Putsch an die Macht gekommen wäre. Stattdessen setzte das ukrainische Parlament Janukowitsch ab. Trotzdem rechtfertigte der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin die militärische Intervention vor dem UN-Sicherheitsrat damit, dass Janukowitsch um eine "Wiederherstellung von Recht und Ordnung" gebeten habe. Andere Stimmen der russischen Regierung in Moskau beharren darauf, dass sie die Schutztruppen auf eigene Initiative entsandten.

Widersprüche der russischen Regierung

Merkwürdig findet Völkerrechtler Talmon, dass die russische Regierung zum einen ein militärisches Eingreifen für gerechtfertigt hält, sei es auf Bitten Janukowitschs oder auf eigene Initiative. "Andererseits erklären sie aber, es gebe keine militärische Intervention." Neben den russischen Soldaten, die gemäß eines bis 2042 geltenden Vertrags mit der Ukraine auf der Krim stationiert sind, riegeln derzeit uniformierte Truppen ohne russische Hoheitsabzeichen die Halbinsel ab. Angeblich eine Art Bürgerwehr von Krim-Bewohnern, die für den Zusammenschluss mit Russland sind.

Auch wenn die Truppen nicht von Russland entsandt wurden, ändere das nichts an der rechtlichen Situation, sagt Talmon. "Auch dann wäre das ein Völkerrechtsbruch." Das professionelle Auftreten der angeblichen "bewaffneten Zivilisten" ließe zwar nur den Schluss zu, dass es sich um russische Truppen handle. Aber "selbst wenn das nicht der Fall wäre, verbietet das Völkerrecht den Staaten auch die Ausrüstung und Unterstützung von irregulären bewaffneten Gruppen in einem anderen Staat."

Durchsetzungsschwaches Völkerrecht

Auswirkungen auf die Lage auf der Krim dürfte der Verstoß Russlands gegen die UN-Charta allerdings nicht haben, glaubt Talmon. "Das Problem ist, dass das Völkerrecht durchsetzungsschwach ist", sagt Talmon. Für zusätzlichen Zündstoff könnte sorgen, dass das für Mitte März geplante Referendum der Krim-Bewohner über eine Zukunft der Halbinsel verfassungswidrig ist, sagt der Verfassungsrechtsexperte Otto Luchtenhandt im DW-Interview. "In der ukrainischen Verfassung ist in Artikel 73 ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass Fragen des territorialen Bestandes der Ukraine ausschließlich gesamtukrainischen Referenden vorbehalten sind."

Russische Soldaten auf der Krim (Getty)
Soldaten blockieren eine Marinestation auf der KrimBild: Alexander Nemenov/AFP/Getty Images

Das wiederum, vermutet Völkerrechtler Talmon, würde dazu führen, dass eine Unabhängigkeitserklärung der Krim von der Ukraine völkerrechtlich nichtig sei. "Kaum ein Staat dürfte die Krim als Teil Russlands anerkennen", sagt er. Eine ähnliche Situation habe es bei der Unabhängigkeitserklärung Nordzyperns gegeben. Das Gebiet war während seiner Abspaltung von Zypern 1983 von türkischen Soldaten besetzt worden. Bis heute wird es aber nur von der Türkei anerkannt. Parallelen sieht Talmon auch zur Intervention der NATO im Kosovo. "Der Westen hat damals viel völkerrechtliches Porzellan zerschlagen und Russland verfährt im Moment ähnlich", sagt er. "Auch die Republik Kosovo ist sechs Jahre nach der Unabhängigkeit erst von 100 Staaten anerkannt, von 90 aber nicht." Der Unterschied zur Situation auf der Krim sei aber, dass im Falle des Kosovo zwischen dem militärischen Eingreifen der NATO und der Unabhängigkeitserklärung neun Jahre lagen, in denen das Gebiet unter Verwaltung der Vereinten Nationen stand. "Nun soll ein solcher Prozess innerhalb weniger Tage und in Anwesenheit russischer Truppen passieren."

Europapolitiker Jean-Claude Juncker jedenfalls hat eine klare Meinung zum Vorgehen Russlands: "Wir müssen dafür sorgen, dass der russischen Seite sehr deutlich gemacht wird, dass man sich so nicht benehmen kann. Dies ist Kalter Krieg mit anderen Mitteln."