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Russland verhindert Ölexporte aus Kasachstan

Mikhail Bushuev | Andrey Gurkov
8. Juli 2022

Erneut droht Russland die Ausfuhr von kasachischem Öl in die EU über den Terminal in Schwarzen Meer zu blockieren. Kasachstan ordnet demonstrativ Suche für Alternativen an.

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Arbeiter an einer Ölpipeline
Russland verknappt das globale Angebot an Öl durch mehrere Stopps der Ölexporte aus Kasachstan Bild: Yegor Aleyev/TASS/dpa/picture alliance

Ein unwahrscheinlicher Zufall: Am 4. Juli kündigte der kasachische Präsident Kassym-Jomart Tokajew in einem Telefongespräch mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, seine Bereitschaft an, die EU bei der Überwindung der derzeitigen Energieknappheit zu unterstützen. Am nächsten Tag ordnete ein Bezirksgericht in der russischen Hafenstadt Noworossijsk an, den Betrieb des Ölterminals, über den der Hauptstrom kasachischen Öls nach Europa fließt, für 30 Tage einzustellen.

Die Pipeline des Caspian Pipeline Consortium (CPC), die vom riesigen Tengis-Feld im Westen Kasachstans durch russisches Gebiet zum Schwarzen Meer führt, endet in Noworossijsk. Doch der russische Regulator Rostransnadzor stellte an den Anlagen des Konsortiums in Noworossijsk Verstöße gegen das Umweltrecht fest und forderte vor Gericht die Aussetzung der Produktionstätigkeit für 90 Tage. Keine unmittelbare Umweltverschmutzung wurde dabei festgestellt, sondern laut russischen Medien "dokumentarische Verstöße gegen den Plan zur Beseitigung von Ölunfällen in Notfällen".

Karte der Kaspischen Pieline

Zwar versuchen die kasachischen Behörden, die Situation zu deeskalieren; der russische Terminal funktioniere weiterhin "gemäß den Standards", teilte man mit (aus Russland gab es zunächst keine Angaben), aber der kasachische Präsident Tokajew ordnete am 7. Juli demonstrativ an, Alternativen für den Transitweg zu suchen.

Kreml sendet Signale an Tokajew zum Einlenken

"Ich denke, dass die Schließung des Terminals in der Nähe von Noworossijsk, über das Öl aus der CPC-Ölpipeline angeliefert wird, zu einer Reihe von Ereignissen gehört, die aus rein politischen Gründen stattfinden", sagte Michail Krutichin, ein russischer Energieexperte und Partner bei der Beratungsfirma RusEnergy, gegenüber der DW. Krutichin bewertet die Entscheidung des Gerichts als eine Reaktion auf die jüngste Erklärung des kasachischen Präsidenten. "Er äußerte den Wunsch, mit Öl und Gas aus Kasachstan zur Lösung der Probleme der Europäischen Union beizutragen, in der es aufgrund des EU-Ölembargos gegen Russland und der Reduzierung der russischen Gaslieferungen an die EU zu Engpässen kommen könnte", so Michail Krutichin.

Das Gerichtsurteil sollte nicht als direkte Antwort auf Tokajews Aussage gesehen werden, der EU mit Energieressourcen helfen zu wollen, sagte die Politikwissenschaftlerin und Osteuropa-Expertin der Universität Oxford, Leyla Alieva, in einem Gespräch mit der DW. "Vielmehr war es eine Reaktion auf die zunehmende Tendenz Kasachstans, seine Politik unabhängig von Moskau zu gestalten." In diesem Zusammenhang erinnerte sie an Tokajews Rede auf dem St. Petersburger Wirtschaftsforum im Juni. Tokajew gab dort unerwartet direkt an, dass Kasachstan die selbsternannten prorussischen Gebiete in der Ukraine auf keinen Fall anerkennen und die westlichen Sanktionen respektieren wird. Kasachstan sieht sich zunehmend von russischen Politikern bedroht: mehrere hochrangige Funktionäre gaben der kasachischen Führen zu bedenken, dass "das ukrainische Szenario" auch in Kasachstan denkbar sei.

Kassym-Jomart Tokayev am Rednerpult vor dem Logo St. Peterburg Economic Forum
Der Präsident Kasachstans Tokajew sorgte für Resonanz mit seiner klaren Absage, keine Spearatistengebiete in der Ukraine anzuerkennen Bild: Dmitri Lovetsky/AP Photo/picture alliance

Russland droht zum dritten Mal mit dem Öltransitstopp

Das russische Gerichtsurteil am 5. Juli soll bereits der dritte längere Stopp der Verschiffung von kasachischem Öl in Noworossijsk seit dem 24. Februar sein, als Russland gegen die Ukraine einen groß angelegten Krieg begann. So gab der Hafen schon am 22. März bekannt, dass zwei der drei Tankerladeeinheiten, mit denen Öl in Tanker gefüllt wird, infolge des Sturms beschädigt wurden. In der 20-jährigen Geschichte der Ölpipeline ist diese noch nie wegen eines Unwetters ausgefallen, bemerkte damals das Handelsblatt. Die Zeitung berief sich auf Daten des Deutschen Wetterdienstes, der an diesem Tag einen schweren, aber einen für diese Region typischen, keinen verheerenden, Sturm verzeichnete. Eine der beiden stillgelegten Umschlagsplattformen wurde zwar am 23. April wieder in Betrieb genommen, eine weitere wurde bis zum 1. Juli abgeschaltet.

In der Zwischenzeit begannen am 15. Juni angeblich routinemäßige Arbeiten in den Hafengewässern zur Suche nach Unterwasserminen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die CPC konnte 10 Tage lang wieder mit nur einer Tankerladeeinheit verschiffen. Die Suche nach "explosiven Objekten" wurde um weitere 10 Tage bis zum 5. Juli verlängert.

Kasachstans Alternative: eine neue Transkaspische Pipeline

Der Kreml will die Reaktion Kasachstans auf ein solches Gerichtsurteil testen, so Leyla Alieva. "Kasachstan könnte in Verhandlungen eintreten und einige Zugeständnisse machen. Ich glaube, genau darauf setzt der Kreml. Die Wirkung eines solchen Drucks ist jedoch meist das Gegenteil. Die Länder beginnen, intensiver nach alternativen Bezugsquellen, alternativen Bündnissen und Märkten zu suchen", so die Politikwissenschaftlerin.

Doch alternative Exportmöglichkeiten sind kaum vorhanden. Aus diesem Grund forderte Kassym-Jomart Tokajew in seinem Gespräch mit Charles Michel die Europäische Union offiziellen Berichten zufolge auf, "bei der Entwicklung alternativer transkontinentaler Korridore, einschließlich der transkaspischen internationalen Verkehrsroute, mitzuwirken". Insbesondere geht es um die Ausfuhr von kasachischem Öl unter Umgehung Russlands entlang des Kaspischen Meeres nach Aserbaidschan, wo eine Ölpipeline beginnt, die von Baku über Tiflis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan führt. Doch dieser Teil muss erst noch ausgebaut werden. Zwar hat Kasachstan bereits Zugang zur Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipeline, doch sind die Öllieferungen Kasachstans über diese Pipeline minimal.

Für Kasachstan wird der Stopp der Ölexporte über Noworossijsk ein "großes und dauerhaftes" Problem bleiben, sagt Michail Krutichin. Die Alternativen können den Ausfall der CPC im Moment kaum kompensieren: "Mit kleinen Tankern über das Kaspische Meer nach Aserbaidschan, von dort aus mit kleinen Ölpipelines oder mit der Bahn zu georgischen Häfen, dann mit Tankern auf dem Seeweg oder nach Machatschkala und von dort aus mit der russischen Ölpipeline zum selben Noworossijsk", erklärte Krutichin die sonst bestehenden Möglichkeiten Kasachstans.

Tankschiff mit Lotsenschiff vor Anleger
Nach dem Beginn des Ölembargos der EU gegen russisches Erdöl könnte die Bedeutung Kasachstans zunehmenBild: Peter Wüst/rtn - radio tele nord/picture alliance

Öl aus Kasachstan für die EU wird immer wichtiger

Deutschland kauft schon seit mehr als zwei Jahrzehnten kasachisches Rohöl, sein Anteil am deutschen Markt ist in den letzten Jahren rapide gestiegen. Im Jahr 2021 wurde Kasachstan erstmals nach Russland und den USA der drittgrößte Öllieferant Deutschlands. Wenn das EU-Embargo gegen russisches Öl Ende 2022 in Kraft tritt, könnte die Rolle dieses zentralasiatischen Landes bei der Versorgung nicht nur Deutschlands, sondern der gesamten Europäischen Union zunehmen. Immerhin gehörte Kasachstan im Jahr 2019, also vor der Coronavirus-Pandemie, mit einem Anteil von 7,65 Prozent bereits zu den fünf wichtigsten Öllieferanten der EU, knapp vor Saudi-Arabien und den USA.

Für den europäischen Markt erwartet Krutichin zunächst keine größeren Probleme durch erwartete Unterbrechung der Öllieferungen Kasachstans in die EU. "Dies könnte die Versorgung der Raffinerien in der EU verschlechtern, aber ich kann das Ausmaß dieser möglichen Probleme nicht einschätzen. Schließlich gibt es auf dem Weltmarkt derzeit keine Knappheit an Öl", analysiert Krutichin.