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Russland: Was passiert mit Prigoschins Trollfabriken?

Ilya Koval
12. Juli 2023

Nach dem gescheiterten Aufstand gegen den Kreml von Jewgenij Prigoschins Wagner-Söldnern will seine Mediengruppe angeblich ihre Arbeit einstellen. Doch Beobachter warnen weiter vor Fakes und Desinformation aus Russland.

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Portrait von Jewgenij Prigoschin
Chef der Wagner-Söldner, Jewgenij PrigoschinBild: Lev Borodin/TASS/dpa/picture alliance

Nach dem gescheiterten Aufstand von Jewgenij Prigoschin gegen das russische Verteidigungsministerium ist nicht nur die Zukunft seiner Wagner-Gruppe ungewiss. Ende Juni gaben die zu Prigoschins Mediengruppe "Patriot" gehörenden Publikationen bekannt, dass sie ihre Arbeit einstellen. Bedeutet dies das Ende der berüchtigten "Trollfabrik" in Russland, deren "Internet-Söldner" seit Jahren in Kommentaren und Artikeln den Kreml loben und gegen Oppositionelle hetzen?

Bekannt wurde die Trollfabrik 2013, als Journalisten die sogenannte "Agentur für Internet-Forschung" in St. Petersburg entdeckten, wo Mitarbeiter für Beiträge in sozialen Netzwerken bezahlt wurden. Die "Agentur" wurde bald mit Jewgenij Prigoschin in Verbindung gebracht, doch der Geschäftsmann bestritt, an ihr beteiligt zu sein. Erst im Februar 2023 gab er zu, dass er sie gegründet habe, "um den russischen Informationsraum zu schützen".

Der in Russland inhaftierte Oppositionelle Alexej Nawalny während einer Gerichtsverhandlung in Moskau
Der in Russland inhaftierte Oppositionelle Alexej Nawalny während einer Gerichtsverhandlung in MoskauBild: Yulia Morozova/REUTERS

Laut Jewgenij Subarew, Chef der "Föderalen Nachrichtenagentur", die zur Mediengruppe "Patriot" gehört, reicht die Arbeit der Trollfabrik sogar bis ins Jahr 2009 zurück. "Die ersten Kommentatoren arbeiteten gegen Oppositionelle wie Alexej Nawalny und andere", berichtet er. Prigoschins private "Internet-Armee" wuchs und operierte seit Mitte der 2010er Jahre schon international. Wegen Einmischung in die US-Präsidentschaftswahl 2016 erhob das amerikanische Justizministerium Anklage gegen den russischen Geschäftsmann.

Zehntausende Troll-Kommentare

Zunächst hatte Prigoschin nur ein paar Dutzend Untergebene, von denen jeder täglich etwa 100 Kommentare verfassen musste. Bis 2023 wuchs die Trollfabrik auf 400 Mitarbeiter an. Einige schrieben Artikel für Prigoschins Medien, und mindestens ein Viertel von ihnen verfasste Kommentare in sozialen Netzwerken. Technisch sei es möglich, Zehntausende Posts pro Tag zu verbreiten, so das investigative Zentrum "Dossier", dessen Website in Russland gesperrt ist. Das Projekt wurde vom ehemaligen Chef des russischen Ölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowski, gegründet. Der Kreml-Gegner lebt heute in London.

Weil Dokumente aus Prigoschins Strukturen durchgesickert waren, konnte das Zentrum "Dossier" weitere Details über die Trollfabrik veröffentlichen. Demnach verfügt Prigoschins Internet-Imperium über ein Gesamtbudget von bis zu 100 Millionen Rubel (umgerechnet rund eine Million Euro) pro Monat.

Wer kontrolliert das Medien-Imperium?

Während der Meuterei der Wagner-Gruppe am 24. Juni durchsuchten Sicherheitskräfte das Geschäftszentrum "Lachta-2" in St. Petersburg, wo Mitarbeiter von Prigoschins Medien untergebracht sind. Einige ihrer Websites wurden danach nicht mehr aktualisiert. So posteten die Twitter-Accounts "RussiaActually" und "WorldActually" nach dem 23. Juni nur zwei Tweets, und nach dem 29. Juni verstummten sie gänzlich. Früher veröffentlichten sie täglich zehn bis zwölf Tweets.

Präsident Wladimir Putin und die Ex-Turnerin Alina Kabajewa im Jahr 2004
Präsident Wladimir Putin und die Ex-Turnerin Alina Kabajewa im Jahr 2004Bild: Presidential Press Service/Itar/dpa/picture alliance

"The Bell", ein unabhängiges russisches Onlinemedium im Ausland, berichtete unterdessen, es werde ein neuer Eigentümer für Prigoschins "Internet-Fabrik" gesucht. Angeblich sollten Prigoschins Medien unter die Kontrolle von Jurij Kowaltschuks "Nationaler Mediengruppe" gestellt werden. Vorstandsvorsitzende der Gruppe ist Ex-Turnerin Alina Kabajewa, die als Partnerin von Wladimir Putin bezeichnet wird. Und der Milliardär Kowaltschuk gilt als enger Freund des russischen Präsidenten.

Später erfuhr "The Bell" aus Quellen, Prigoschin habe persönlich beschlossen, sein Medienimperium aufzulösen. Seine Redakteure habe er angewiesen, "alle Spuren der Präsenz" im Internet zu beseitigen - nicht nur Websites, sondern auch mit ihnen verbundene soziale Netzwerke. Gleichzeitig schränkte die russische Aufsichtsbehörde "Roskomnadsor" den Zugang zu Prigoschins Medien, darunter auch zur "Föderalen Nachrichtenagentur", ein.

Internet-Trolle am Ende?

Die EU sieht keinen Grund, einen Erfolg im Kampf gegen Fakes und Internet-Trolle zu feiern. "Es ist noch zu früh, um ein endgültiges Urteil über die Entwicklungen im russischen Ökosystem der Desinformation nach der angeblichen Einstellung von Prigoschins Desinformationsaktivitäten zu fällen", erklärt Peter Stano, EU-Sprecher für Außen- und Sicherheitspolitik, gegenüber der DW.

Auch Experten, die die Trolle seit langem beobachten, bezweifeln, dass sie nun am Ende sind. "Bot Blocker", der den Twitter-Account "antibot4navalny" führt, weist darauf hin, dass es neben Prigoschins Medienprojekten noch die Kommentatoren für soziale Netzwerke gibt. "Ihre Arbeit hat nach dem Aufstand nicht nennenswert nachgelassen", so "Bot Blocker" im Gespräch mit der DW, der darum bittet, seinen wahren Namen nicht preiszugeben. "Kremlfreundliche Trolle oder Kreml-Bots sind weiterhin aktiv und erstellen sogar neue Twitter-Accounts (...). In den letzten Tagen haben wir keine Unterbrechung oder wesentliche Schwächung ihrer Arbeit gesehen", betont der Gesprächspartner.

Ähnlich wird die Lage von den Machern des Projekts "Falle des Chefkochs" gesehen, die Internet-Trolle im russischen sozialen Netzwerk "VKontakte" verfolgen. "Viele Medien schreiben, die bekannte Trollfabrik sei seit dem 24. Juni geschlossen, aber nach unseren Daten geht ihre Arbeit weiter", heißt es auf der Website des Projekts, dessen Bezeichnung auf Prigoschins Spitznamen "Putins Koch" zurückgeht. Prigoschin ist durch die Patronage von Wladimir Putin mit seinem Gastronomieunternehmen "Konkord" reich geworden.

Wem gehorchen die Trolle? 

Doch unter wessen Kommando stehen die Trolle? Da sind sich die Beobachter uneinig. Seitens des Projekts "Falle des Chefkochs" heißt es, dass seit Mai, als der Konflikt zwischen der Wagner-Gruppe und dem russischen Verteidigungsministerium eskalierte, die meisten Trolle Posts gegen Prigoschin geschrieben hätten. Inzwischen haben von 15.000 Trollen etwa 13.000 aufgehört, ihren rebellischen Boss zu unterstützen. Möglicherweise habe man, so das Projekt "Falle des Chefkochs", Prigoschin seine Trollfabrik weggenommen.

"Bot Blocker" hingegen meint: "Das Verhalten und die Rhetorik der Trolle folgt weiterhin, wie während unserer ganzen Beobachtungen, den Interessen des Kremls. Die Änderung der 'Haltung' gegenüber Prigoschin ist höchstwahrscheinlich auf eine Änderung der Berichterstattung über ihn in den Nachrichten zurückzuführen, und nicht auf die Übergabe der Fabrik an einen anderen nominellen 'Eigentümer'."

Auch die Europäische Union rechnet nicht mit einem Rückgang der russischen Desinformation. "Es ist offensichtlich, dass Desinformationsaktivitäten nicht nur mit Prigoschins Unternehmen beginnen und enden. Der Kreml wird weiterhin versuchen, Desinformation und Informationsmanipulation mit all den verschiedenen Taktiken und durch verschiedene Akteure und Mittel einzusetzen, wie er es schon seit Jahren tut", so EU-Sprecher Peter Stano.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk