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Russland: Was wir über den Tod von Alexej Nawalny wissen

20. Februar 2024

Knapp eine Woche ist Alexej Nawalny tot. Die Umstände, unter denen der prominenteste Kritiker von Präsident Wladimir Putin gestorben ist, sind weiter unklar. Zeugenaussagen nähren Zweifel an den offiziellen Angaben.

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Ein Wachhaus an einem Gittertor, dahinter ein größeres Gebäude. Der Weg zum Tor ist mit zwei metallenen Panzersperren blockiert, die gesamte Szene ist verschneit
Der Eingang zum Straflager Nummer drei, in dem Alexej Nawalny seine 19-jährige Haftstrafe absaß, als er starbBild: AP/dpa/picture alliance/

Die Gründe für den Tod von Alexej Nawalny würden derzeit untersucht, heißt von offizieller Stelle aus Russland. Zunächst hatte es geheißen, der russische Oppositionsführer sei am Freitag gegen 14 Uhr Ortszeit in einem sibirischen Straflager nach einem Spaziergang auf dem Hof zusammengebrochen und kurz darauf gestorben. Wiederbelebungsversuche seien fehlgeschlagen.

Die Darstellung sei aus verschiedenen Gründen unplausibel, berichten unabhängige russische Medien. Auch Zeugenaussagen widersprechen ihr.

Wann genau ist Alexej Nawalny gestorben?

Die Gefängnisbehörde gibt 14.17 Uhr als Todeszeitpunkt an. Dass die staatlichen Nachrichtenagenturen "Tass" und "RIA Novosti" bereits um 14.20 Uhr darüber berichtet haben, ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Da es sich jeweils um die Ortszeiten - von Charp in Nordwest-Sibirien und Moskau - handelt, liegen tatsächlich gut zwei Stunden zwischen Tod und Meldung, in denen die Berichterstattung hätte anlaufen können.

Alexej Nawalny: Russland verliert mutigen Kritiker

Dies passt nicht zu früheren Berichten Nawalnys, denen zufolge er immer nur morgens um 6.30 Uhr auf den Hof hinausdurfte. Unabhängige russische Medien berichten zudem, dass andere Insassen der Strafkolonie Nummer drei "Polarwolf" schon um zehn Uhr Ortszeit vom Tod des wohl prominentesten Häftling Russlands erfahren hätten.

Bereits seit dem Vorabend habe ungewöhnliche Hektik geherrscht, zitiert die als glaubwürdig geltenden "Nowaja Gaseta" eine anonyme Quelle. Dabei seien die übrigen Gefangenen auf unübliche Weise kontrolliert und in ihre Baracken gesperrt worden. Die Quelle gehe daher davon aus, dass Nawalny bereits am Vortag gestorben sei.

Wie kam Nawalny ums Leben?

Der russische Staatssender RT zitierte zunächst eine anonyme Quelle mit der Behauptung, Nawalny sei an einem Blutgerinnsel im Gehirn gestorben. Die staatlichen Behörden geben das "Plötzlicher-Tod-Syndrom" als Todesursache an, das aber keine medizinische Bedeutung hat. Derzeit werde die Leiche obduziert und unter anderem "chemischen Untersuchungen" unterzogen. Deshalb werde der Leichnam auch frühestens in zwei Wochen den Angehörigen übergeben.

Nawalnys Vertraute hingegen gehen fest davon aus, dass der Oppositionsführer getötet wurde. Zwar hatten Nawalny und seine Vertrauten seit langem die Haftbedingungen mit Einzelhaft und schlechter Gesundheitsversorgung beklagt. Doch noch am Mittwoch habe ihn einer seiner Anwälte ohne Anzeichen auf akute Leiden angetroffen.

Auch in einem im Internet kursierenden Video, das Nawalny noch am Donnerstagnachmittag, also weniger als 24 Stunden vor dem offiziellen Todeszeitpunkt, zeigen soll, wirkt er sehr lebhaft. Der Clip zeigt eine Videoschalte mit einem Gericht: Nawalny scherzt mit dem Richter, er soll ihm etwas von seinem Geld überweisen, da seine eigenen Ersparnisse zur Neige gingen.

Abweichende Augenzeugenberichte über Nawalnys Tod sind bisher nicht bekannt geworden. Nawalnys Mitstreiter vermuten, dass er wie schon einmal mit Nowitschok vergiftet worden sein könnte; dies sei nach zwei Wochen dann nicht mehr nachweisbar. Wer den Giftanschlag im August 2020 verübt hatte, ist bis heute nicht aufgeklärt; das Nawalny-Lager macht auch dafür den Kreml verantwortlich, der dies zurückweist.

Wer ist schuld an Nawalnys Tod?

Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja beschuldigte unmittelbar nach Eintreffen der Nachricht Russlands Präsident Wladimir Putin persönlich, den "Mord" an ihrem Mann veranlasst zu haben. Am Montag bekräftigte sie in einer Videobotschaft: "Putin hat meinen Mann umgebracht." Der Name desjenigen, der Putins Auftrag ausgeführt habe, werde schon bald veröffentlicht.

Julia Nawalny mit dunkelblauem Oberteil in einem spärlich beleuchteten, aber komfortabel wirkenden Raum spricht geradeaus in die Kamera
Julia Nawalnaja, Ehefrau von Alexej Nawalny, hat Wladimir Putin als "Mörder meines Mannes" bezeichnet Bild: Navalny Team/AP/dpa/picture alliance

Auch zahlreiche westliche Politiker machen die russische Regierung verantwortlich, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz, US-Präsident Joe Biden und EU-Ratspräsident Charles Michel. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bezeichnete solche Einlassungen als "absolut überdrehte und absolut inakzeptable Aussagen", da die Todesumstände noch überhaupt nicht untersucht seien.

Selbst wenn Nawalny nicht gezielt getötet wurde, ist es wahrscheinlich, dass die Haftbedingungen erheblich zu seinem frühen Tod mit 47 Jahren beigetragen haben. Amnesty International zufolge wurde er als Häftling "ständig Schikanen durch die Strafvollzugsbehörden ausgesetzt, darunter verlängerte Einzelhaft und andere Misshandlungen". Immer wieder hatten seine Anwälte beklagt, ihr Mandant werde bei auftretenden Krankheiten medizinisch völlig unzureichend versorgt. Der deutsche Finanzminister Christian Lindner sagte der DW, Nawalny sei "von Putin zu Tode gequält" worden.

Christian Lindner: "Nawalny wurde von Putin zu Tode gequält"

War Nawalnys Tod eine "Botschaft für die Konferenz in München"?

Die Nachricht vom Tode des russischen Oppositionsführers kam mitten am ersten Tag der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Unter anderem die georgische Präsidentin Salome Surabischwili wollte dies als "Botschaft für die Konferenz in München" verstanden wissen. Das Gleiche deuteten Gyde Jensen, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei FDP, in einem X-Post an: "Es ist kein Zufall, dass Putin die Nachricht vom Mord an #Nawalny zum Start der #MSC24 verkünden ließ."

Der Politikberater und ehemalige deutsche Botschafter in Moskau Rüdiger von Fritsch glaubt das nicht. Im "Podcast für Deutschland" der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte er: "Diese - wie manche glauben - Punktlandung zur Münchner Sicherheitskonferenz ist ja gar nicht unbedingt in Wladimir Putins Interesse." Schließlich sei Nawalnys Tod geeignet, die Geschlossenheit seiner in München versammelten außenpolitischen Gegner zu erhöhen. Von Fritsch geht davon aus, dass dem russischen Justizapparat "wirklich eine Panne unterlaufen" sei.

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.