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Andruchowytsch bekommt Preis

Anastassia Boutsko.5. Dezember 2014

Jury Andruchowytsch bekommt mit zwei Mitgliedern der Gruppe Pussy Riot den Hannah-Arendt-Preis 2014. Im Interview mit der DW spricht der Ukrainer über den Krieg in seiner Heimat und das Verhältnis zu Russland.

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Der Ukrainer Jury Andruchowytsch gehört zu den bekanntesten Autoren seines Landes.
Bild: picture alliance/APA/picturedesk.com

Deutsche Welle: Herr Andruchowytsch, Sie haben den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken bekommen. Wie wichtig ist das geistige Erbe der Philosophin Arendt heute für uns?

Jury Andruchowytsch: Sehr wichtig. Wir befinden uns gerade in einem Abschnitt der Geschichte, wo ihre Texte, aber auch ihre gesellschaftliche Haltung, eine besondere Aktualität gewinnen. Etwa lässt sich Arendts These über die "Banalität des Bösen" perfekt auf die heutige Situation übertragen.

In einem Interview mit russischen Medien haben Sie neulich wortwörtlich gesagt: "Unser Ziel, eine moderne, europäische Ukraine ist mit Donbass nicht zu erreichen“. Was soll das im Klartext heißen? Ist die Ukraine gut beraten, auf die Territorien im Osten zu verzichten, um ihren Weg souverän weiter zu gehen?

Meine Meinung dazu schwankt. Glücklicherweise bin ich kein Politiker und treffe keine strategischen Entscheidungen. Ich finde es auf jeden Fall wichtig, dass unsere Soldaten die Grenze der Ukraine in Donbass verteidigen, und nicht etwa kurz vor Kiew. Wie das Ganze ausgeht, ist eine offene Frage. Ich persönlich bin der Meinung: Nur die Einwohner von Donbass selbst sind in der Lage etwas für sich und ihre Region zu tun. Nur wenn sie sich gegen die sogenannten Separatisten aufbäumen und ihr Land von ihnen befreien, kann sich die Lage verändern. Aber es sieht irgendwie nicht danach aus.

Allein die ukrainische Seite verlor in vergangenen Monaten über 1000 Soldaten
Die ukrainische Seite verlor allein in vergangenen Monaten über 1000 SoldatenBild: Getty Images/AFP/Sergei Supinsky

Bedeutet das im Umkehrschluss, die ukrainische Armee soll die östliche Grenze des Landes verteidigen, aber nicht versuchen Separatisten-Gebiete um Donezk und Luhansk zurückzuerobern?

Ja, genau so ist es.

In seiner Rede "an die Nation" am 4. Dezember hat Wladimir Putin von einer besonderen kulturhistorischen Bedeutung gesprochen, die die Krim für Russland hat. Er sprach gar vom "Heiligen Land“ und zog eine Parallele zu Jerusalem. Wie ist das zu verstehen?

Die Krim ist vor allem das Land der Völker, die da seit Jahrhunderten leben. Putin redet wie ein Kolonisator und verdrängt dabei, dass das zaristische Russland die Krim gewaltsam besetzt hat. Genauso wie er selbst im Mai diesen Jahres. Er kann noch so oft über die sakrale Bedeutung der Krim für die Russen sprechen – es ändert nichts an der Tatsache: Es handelt sich um Landraub. Und die Art und Weise, wie die russische Administration zurzeit die Krim-Tataren behandelt, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Juri Andruchowytsch, das Gesicht der ukrainischen Literatur in Deutschland
Gefragter Interviewpartner: der Schriftsteller Andruchowytsch auf der Leipziger Buchmesse (2014)Bild: DW/B. Cöllen

Haben Sie da den Deutschen und den Westeuropäern allgemein etwas vorzuwerfen? In einer Rede in Wien sprachen Sie von deren Weigerung, die Ukraine verstehen zu wollen ("Wir reden von den Werten, Ihr redet von dem Preis."). Dabei sendet die deutsche Politik sehr klare Signale Richtung Moskau. Auch in den deutschen Medien spricht man längst von einem Krieg in der Ostukraine, und nicht bloß von einem Konflikt.

Ich habe ein halbes Jahr in Deutschland verbracht, von April bis einschließlich September und spreche aus eigener Erfahrung: Man weigerte sich sehr lange Klartext zu reden. Es dominiert grundsätzlich der "merkantile Ansatz": Russisches Gas, Rohstoffe - Kontakte mit der russischen Wirtschaft spielen da eine zentrale Rolle.

Außerdem ist für die Deutschen eine wunderlich unterwürfige, beinahe sklavische Haltung gegenüber Russland typisch. Manchmal sieht es aus, als ob die Deutschen das Riesenland im Osten beneiden. Oft musste ich von meinen deutschen Freunden von einer "besonderen Wahlverwandtschaft" mit den Russen und einer "seelischen Nähe" hören. Daraufhin habe ich stets zurückgefragt: Haben denn die Russen von dieser Wahlverwandtschaft schon gehört? Damit habe ich meine Gesprächspartner sehr verwirrt. Aber das ist kein ausschließlich deutsches Phänomen: während der Präsidentschaft von Wladimir Putin ist in ganz Westeuropa eine Pro-Putin-Lobby aufgebaut worden.

Eigentlich haben wir immer gedacht, dass auch zwischen Russen und Ukrainern eine besondere kulturelle Nähe existiert. Wie nachhaltig ist die Beziehung zwischen den beiden Völkern inzwischen zerstört?

Sagen wir es so: Für die Ukrainer, die ihre Söhne und Ehemänner in den Särgen von der Ostfront bekommen, ist einiges klar geworden. Russland wird sich lange dafür entschuldigen müssen, was es jetzt tut. Ich bewundere aber einige russische Intellektuelle, die gegen Putin antreten. Auch die russische Gesellschaft hat offenbar ein Gewissen.

Worin besteht für Sie die besondere ukrainische Identität?

Ich erzähle dazu gerne einen Witz vom Maidan: Was unterscheidet die Russen von den Ukrainern? Antwort: Wenn russische Demonstranten hören, eine Spezialeinheit der Polizei kommt, um sie aufzulösen, laufen sie weg. Wenn Ukrainer das Gleiche hören, bleiben sie stehen und gehen sogar in die Offensive. Der genetische Anteil des Sklavischen ist bei uns einfach geringer. Schließlich hatten wir das Leibeigentum auch erst seit dem 18. Jahrhundert und nicht schon seit dem 16. Jahrhundert wie die Russen.

Das Gespräch führte Anastassia Boutsko.