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Russland: Wo ist Alexej Nawalny?

Darko Janjevic
25. Dezember 2023

Russlands Behörden schweigen über den Verbleib des inhaftierten russischen Oppositionsführers. Seit Wochen haben seine Vertrauten keinen Kontakt mehr zu ihm. Wurde er bloß verlegt? Oder ist er gar nicht mehr am Leben?

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Nawalny hinter Gittern auf einer Videoleinwand in einem Gerichtssaal
Sei Anfang Dezember haben seine Vertrauten keinen Kontakt mehr zu Alexej NawalnyBild: EVGENIA NOVOZHENINA/REUTERS

Es ist mehrere Wochen her, dass die Anwälte von Alexej Nawalny zuletzt Kontakt zu ihrem Mandanten hatten. Selbst seine engsten Vertrauten waren überrascht über sein plötzliches Verschwinden Anfang Dezember. Der Kremlkritiker verbüßt eigentlich eine 19-jährige Haftstrafe in einer russischen Strafkolonie. Trotz jahrelanger Erfahrung mit Polizei, Gerichten und Strafvollzugsanstalten in Russland hat es Nawalnys Team nicht geschafft herauszufinden, wo er sich befindet - oder ob er überhaupt noch am Leben ist.

Iwan Schdanow, der Leiter von Nawalnys Anti-Korruptions-Organisation FBK, vermutete vergangene Woche gegenüber der DW, dass Nawalny in ein anderes Gefängnis überführt worden sein könnte. Er betonte aber auch, dass sein Team nichts über den Verbleib des Politikers wisse. Mit jedem Tag wächst die Besorgnis der Aktivisten - insbesondere, weil Nawalny auf Videoaufnahmen kurz vor seinem Verschwinden einen schwerkranken Eindruck gemacht hatte.

Nein, sie könnten sich nicht sicher sein, dass Nawalny noch am Leben ist, sagte dessen Pressesprecherin Kira Jarmysch dem öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehsender ZDF in einem Interview, das am Mittwoch ausgestrahlt wurde. "Nie war ein Gefangener so lange einfach verschwunden, schon gar nicht ein so wichtiger Gefangener."

Wer ist Alexej Nawalny?

Bekannt wurde der 47-jährige Nawalny, weil er öffentlich Korruption in der russischen Regierung anprangerte. Er ist Gründer der Anti-Korruptions-Organisation FBK. Bei den regierungskritischen Protesten 2011 bis 2013 setzte er sich an die Spitze der Opposition und bewarb sich um das Amt des Bürgermeisters von Moskau. Er nannte den russischen Präsidenten Wladimir Putin einen "Verrückten" und sagte, die Regierung seiner Partei in Russland sei voll von "Gaunern und Dieben".

Über die Jahre sah sich Nawalny einer Vielzahl von Repressalien - physischen Übergriffen, wiederholten Inhaftierungen und Strafprozessen - ausgesetzt. So wurde er 2020 mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet. Mit einer schweren Vergiftung wurde er in komatösem Zustand zur Behandlung ins Berliner Krankenhaus Charité nach Deutschland geflogen. Nach gut fünfwöchiger Behandlung konnte er die Klinik wieder verlassen, blieb jedoch mehrere Monate in Deutschland. Daraufhin beschuldigten ihn russische Behörden, gegen Bewährungsauflagen zu verstoßen, und drohten, ihn nach seiner Rückkehr zu inhaftieren.

Erneut Haftstrafe gegen Alexej Nawalny

Nichtsdestotrotz kehrte Nawalny im Januar 2021 nach Moskau zurück und wurde noch am Flughafen festgenommen. Seither sitzt der Politiker in Haft. Kurz darauf wurde er wegen Untreue und Missachtung des Gerichts zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Im August 2023 verlängerte ein Gericht seine Haftstrafe in einem weiteren Verfahren unter anderem wegen Extremismus auf 19 Jahre.

Im Oktober wurden drei Anwälte festgenommen, die Nawalny vertreten hatten. Sie befinden sich seither unter dem Vorwurf, einer extremistischen Gruppe anzugehören, in Untersuchungshaft. Nawalny und seine Verbündeten haben das als Einschüchterungsversuch verurteilt.

Was wissen wir über Nawalnys Verschwinden?

Am 6. Dezember hätte Nawalny eigentlich sein Verteidigerteam in der Strafkolonie Kowrow, etwa 260 Kilometer nordöstlich von Moskau, treffen sollen. Doch seine Anwälte wurden weder an dem noch an den beiden folgenden Tagen zu ihm gelassen. In den nächsten Tagen verpasste er auch mehrere Gerichtstermine. Zunächst behaupteten russische Behörden, Stromausfälle hätten eine Videoverbindung mit dem Gerichtssaal verhindert. Später erklärten sie, der Politiker sei in eine Strafvollzugsanstalt in einem anderen Verwaltungsdistrikt verlegt worden. Mindestens zwei gerichtliche Anhörungen wurden auf Januar verschoben.

Den Namen und den Ort der Einrichtung haben sie bisher nicht bekannt gegeben. In einem Gerichtsdokument vom 12. Dezember heißt es, Nawalnys Ankunft in dem neuen Gefängnis werde gemäß den gesetzlichen Vorgaben mitgeteilt. 

Wo könnte Nawalny sein?

Die knappe Mitteilung der russischen Strafvollzugsbehörden werten Nawalnys Anhänger als Hoffnungsschimmer. Tatsächlich könnte es sein, dass der Kremlkritiker derzeit in ein anderes Gefängnis überführt wird.

Das Urteil von August enthielt eine Passage, dass Nawalny in eine spezielle Hochsicherheits-Strafkolonie überführt werden könne. Normalerweise sind diese für besonders gefährliche Straftäter reserviert, die zu lebenslanger Haft oder zur (seit 1996 ausgesetzten) Todesstrafe verurteilt wurden. Solche Überführungen werden häufig per Zug durchgeführt und können angesichts der riesigen Ausmaße Russlands Wochen dauern.

Am Mittwoch erklärte FBK-Chef Schdanow, Nawalny werde entweder unter strikter Geheimhaltung verlegt oder in vollkommener Isolation gehalten. Es könne nur eine sehr kleine Zahl Personen wissen, wo Nawalny festgehalten wird, sonst wäre sein Aufenthaltsort bereits durchgesickert, sagte er in einem Internetvideo.

Russische Journalistin will in den Kreml einziehen

Vergangene Woche berichtete die russische Nachrichtenseite Baza, Nawalny befinde sich zu "Nachforschungen" in Moskau. Doch sein Team war bislang nicht in der Lage, dies zu verifizieren. Schdanow hat eine Belohnung für Hinweise auf Nawalnys Aufenthaltsort ausgesetzt.

Gibt es einen Zusammenhang mit der russischen Präsidentschaftswahl 2024?

Nawalny verschwand nur einen Tag, nachdem seine Mitstreiter ihre Kampagne "Russland ohne Putin" gestartet hatten, mit der sie den Plänen des Präsidenten entgegentreten, sich im März 2024 für eine fünfte Amtszeit wählen zu lassen.

Auf Anfrage hin erklärte Kremlsprecher Dmitry Peskow dagegen, die Regierung habe "weder die Absicht noch die Kapazitäten, die Schicksale von Gefängnisinsassen zu verfolgen".

Gegenüber der DW erklärte Schdanow, es gehe darum, Putins Rivalen zu isolieren. "Dass Alexej in dem Moment verschwindet, in dem wir die Kampagne starten und einen Tag bevor Putin seine Kandidatur ankündigt - das ist kein Zufall, das ist  Kreml-Strategie."