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PolitikEuropa

Russlands Krieg spaltet die G20

2. März 2023

Die wichtigsten Staaten der Erde bringen in Neu Delhi keine Verurteilung des Krieges gegen die Ukraine zustande. Russland und China blockieren. Der indische Vorsitz richtet den Blick auf andere Themen.

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G20 Gipfel Indonesien
Auf den Gängen unterwegs: Russlands Vertreter Lawrow sucht AnschlussBild: ASSOCIATED PRESS/picture alliance

Das interessanteste Treffen der G20-Außenministerrunde dauerte nur knapp zehn Minuten und fand zudem "im Gehen" irgendwo auf einem Flur im Konferenzzentrum statt. Was der amerikanische Außenminister Anthony Blinken und der russische Außenminister Sergej Lawrow sich genau an den Kopf geworfen haben, weiß man nicht. Sie hielten sich wohlweislich von Kameras und Mikrofonen fern. Ein Mitarbeiter Blinkens teilte nach der Begegnung mit, der US-Außenminister habe dem russischen Vertreter klar gemacht, dass die USA die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland so lange unterstützen würden, wie es nötig sei.

Anthony Blinken forderte Sergej Lawrow in ihrer ersten persönlichen Begegnung seit dem russischen Überfall auf die Ukraine auf, den atomaren Rüstungsbegrenzung-Vertrag New START nicht wie angekündigt auszusetzen. "Es war wichtig, diese Botschaften einmal persönlich zu übermitteln", so ein US-Diplomat in Neu Delhi. Es habe aber keine Verhandlungen oder etwas ähnliches gegeben. Was der Außenminister des russischen Regimes entgegnete, ist nicht bekannt. Sergej Lawrow erwähnte das kurze Treffen mit Blinken in seiner Pressekonferenz zum Abschluss des Treffens der Außenministerinnen und Außenminister der 19 wichtigsten Schwellen- und Industrieländer sowie der Europäischen Union nicht.

Indien Neu Delhi | G20 US-Außenminister Blinken
US-Außenminister Blinken (re.) im Sitzungssaal: Die heiklen Gespräche fanden vor der Tür stattBild: Olivier Douliery/AFP/AP/picture alliance

Russland verlangt Ende der Sanktionen

Sergej Lawrow hatte zuvor im Plenum bei der förmlichen Arbeitssitzung der G20 ausgeteilt. Er nannte die Kritik des Westens am russischen Angriffskrieg – Militäroperation in Lawrows Worten – "scheinheilig". Der Westen habe die Ukraine jahrelang mit Waffen vollgepumpt. Der Außenminister stellte Russland als Opfer dar und forderte eine Aufhebung der seiner Meinung nach illegalen Sanktionen der westlichen Welt gegen sein Land. "Jede Verletzung des internationalen freien Handels, Eingriffe in die Märkte, willkürliche Preisdeckel und andere Versuche, fremde Bodenschätze zu entwerten, müssen gestoppt werden", sagte Lawrow laut der staatlich gelenkten russischen Nachrichtenagentur TASS.

Baerbock verlangt ein Ende des Krieges

Immerhin blieb der russische Vertreter – anders als noch beim G20-Treffen 2022 im indonesischen Bali – im Raum sitzen, während die anderen Ministerinnen und Minister sprachen und Russland zum Teil scharf angriffen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock gab eine Kostprobe ihrer gestern in Berlin vor dem Abflug nach Indien erläuterten feministischen Außenpolitik. Sie sprach Sergej Lawrow ohne Umschweife direkt an: "Herr Lawrow, stoppen Sie diesen Krieg! Hören Sie auf unsere internationale Ordnung zu verletzen! Stoppen Sie die Bombardierung ukrainischer Städte und Zivilisten!" Der Angesprochene hörte ohne äußerliche Regung zu, während sie fortfuhr: "Der Weg zum Frieden ist sonnenklar: Wenn Russland seine Truppen heute zurückzieht, dann gibt es keinen Krieg mehr." Anschließend sagte Annalena Baerbock vor Reportern, die russische Seite habe wohl erkannt, dass es keine gute Strategie sei, erst "falsche Behauptungen abzulassen und dann wegzugehen." Beim Treffen in Bali hatte Sergej Lawrow das Weite gesucht, als Kritik an Russland geübt worden war.

Indien | Aussenministerin Baerbock bei G20 in Neu-Dehli
Klartext aus Deutschland: Außenministerin Baerbock knöpfte sich Russlands Lawrow vorBild: Florian Gaertner/photothek/picture alliance

Weiter reden

Einer gemeinsamen Abschlusserklärung der G20, die eine Verurteilung des Krieges gegen die Ukraine enthalten hätte, stimmten Russland und China nicht zu. So blieb das Treffen wie schon die Zusammenkunft der G20-Finanzminister vor einer Woche ohne gemeinsamen Beschluss. Sergej Lawrow ist innerhalb der G20 nicht völlig isoliert. Er traf neben dem chinesischen Außenminister auch den indischen Gastgeber und weitere Minister zu bilateralen Gesprächen. Indien, Südafrika und Brasilien plädieren dafür, den Krieg in Europa - nach ihrer Lesart nur eine "Ukraine-Krise"- nicht die Arbeit der G20 komplett blockieren zu lassen. Der indische Vorsitz wollte sich eigentlich mit der weltweiten Nahrungsversorgung, Armutsbekämpfung, Lieferketten und Klimaschutz beschäftigen. Die G20-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Claudia Schmucker, ist nicht überrascht, dass die Gruppe sich nicht auf gemeinsame Erklärungen einigen kann. "Das war im jetzigen geopolitischen Kontext zu erwarten. Meiner Meinung nach ist jede Art von Gespräch immer wichtig. Also, immer versuchen, sich zu treffen, eine Einigung zu erreichen. Je mehr Dialog möglich ist auf diesen informellen Treffen desto besser", sagte Claudia Schmucker der DW. Sie leitet das Zentrum für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie bei der DGAP.

Spaltet der Ukrainekrieg die ganze Welt?

Indien will vermitteln

Der indische Ministerpräsident Narendra Modi hatte in einer Videobotschaft an die Außenminister dazu aufgerufen, trotz Konflikten zusammenzuarbeiten. "Wir treffen uns in Zeiten tiefer globaler Spaltungen. Wir haben alle unsere Ansichten, wie die Spannungen überwunden werden können. Trotzdem haben wir als die führenden Wirtschaftsnationen auch eine Verantwortung für all diejenigen, die nicht mit im Raum sitzen", sagte Narendra Modi. Der indische Premier versuchte nicht zum ersten Mal, sich als Anführer der Schwellen- und Entwicklungsländer, des "globalen Südens", zu präsentieren. Die Weltordnung, wie sie vor acht Jahrzehnten entstanden sei, habe versagt, meinte Modi. Sie habe weder Kriege verhindert noch zu einer internationalen Zusammenarbeit bei gemeinsamen Interessen geführt.

G20 Gipfel Indien
Indien will den globalen Süden anführen: Außenminister Jaishankar sitzt der G20 vorBild: Olivier Douliery/AP/picture alliance

Der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar, der die Stitzung in Neu Delhi leitete, wurde etwas konkreter und forderte wieder einmal eine Reform der Vereinten Nationen und ihrer Organe. "Globale Entscheidungsprozesse müssen demokratisiert werden, wenn die Ordnung überleben soll", so Subrahmanyam Jaishankar. "Je länger wir damit warten, desto unglaubwürdiger wird der Multilateralismus." Der chinesische Außenminister Qin Gang hielt ein wenig dagegen und sprach sich für eine Beibehaltung des Systems der Vereinten Nationen aus. Im UN-Sicherheitsrat ist China eine von fünf Vetomächten, neben den USA, Russland, Großbritannien und Frankreich. Indien und China konkurrieren um die regionale Vormachtstellung in Asien.

Das angespannte Verhältnis zwischen den USA und China schwang bei vielen Wortmeldungen in Neu Delhi mit. Viele westliche Diplomaten sehen eine Blockbildung mit Russland und China auf der einen und den USA mit ihren westlichen Verbündeten auf der anderen Seite. Indien steht in der Mitte und versucht, sowohl gute Verbindungen mit Moskau als auch mit Washington aufrecht zu erhalten, während Peking auf Abstand gehalten werden soll.

Infografik/Karte - G20-Staaten - DE

Kein gutes Omen für den Gipfel

Der tiefe Disput beim Außenministertreffen der G20 gibt einen Vorgeschmack auf das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefinnen und -chefs, das im September ebenfalls in der indischen Hauptstadt stattfinden soll. Falls der russische Krieg gegen die Ukraine noch andauern sollte, sieht die G20-Expertin Claudia Schmucker schwarz für gemeinsame Fortschritte. Die Mitarbeiterin der Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin meint aber auch: "Wir schauen alle immer nur, ob es eine Verurteilung Russlands in der G20 gibt. Aber es gibt zahlreiche andere Themen, an denen die G20 ja auch sitzen: Nachhaltige Lieferketten, grüne Wirtschaft, grüner Umbau und Nahrungssicherheit. Da wird weiter gearbeitet ohne diese grundsätzlichen Unterschiede. Deshalb halte ich die G20 weiterhin für ein sinnvolles Format." Indien werde sich weiter bemühen, eine Vermittlerrolle einzunehmen.

Zur Gruppe der 20 gehören neben der Europäischen Union die USA, Kanada, Mexiko, Brasilien, Argentinien, Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland, Türkei, Saudi-Arabien, Indien, Russland, Indonesien, China, Japan, Südkorea, Südafrika und Australien. Die informelle Vereinigung repräsentiert rund 80 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union