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Russlands neuer Staatsetat: Alles für den Krieg?

16. November 2023

Im Jahr 2024 werden die Militärausgaben in Russland erstmals die Zuweisungen für Sozialleistungen übersteigen. Welche Prioritäten setzt der Haushaltsentwurf und welche Folgen sind für die Wirtschaft zu erwarten?

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Russische Rekruten stehen in einer Reihe in dicken Jacken und Mützen
Die Ausgaben für Russlands Militär steigen deutlichBild: Donat Sorokin/dpa/TASS/picture alliance

Am Freitag (17.11.2023) wird die Staatsduma der Russischen Föderation in dritter Lesung über den Entwurf des Staatshaushalts für 2024 beraten. Die Ausgaben sollen 36,6 Billionen Rubel betragen, die Einnahmen 35 Billionen Rubel. Das Defizit von 1,6 Billionen Rubel (0,9 Prozent des BIP) will die Regierung mit Krediten und Mitteln des Nationalen Wohlfahrtsfonds decken. Dieser wird sowohl mit Öl- und Gaseinnahmen als auch mit Einnahmen aus der Verwaltung der im Fonds bereits enthaltenen Mittel genährt.

Beobachtern zufolge wird der Haushalt für 2024 einen militärischen Schwerpunkt haben. Denn etwa 30 Prozent des Ausgabenanteils, 10,8 Billionen Rubel (sechs Prozent des BIP), werden in das Militär fließen. Weitere 3,4 Billionen Rubel sind für die nationale Sicherheit und Strafverfolgung bestimmt. Die Zuweisungen für Sozialleistungen werden steigen, von 6,5 Billionen Rubel im Jahr 2023 auf 7,7 Billionen Rubel (21 Prozent der Ausgaben) im Jahr 2024.

Ausgaben für "Sieg" und "Front"

Der russische Finanzminister Anton Siluanow sagte auf einer Sitzung des zuständigen Ausschusses der Staatsduma, "Sieg" und "Front" seien die Ziele des vorgelegten Haushaltsentwurfs. Später versicherte er jedoch, dass der Haushalt nicht als ein "militärischer" betrachtet werden dürfe, da "bei den Ausgaben soziale Fragen Vorrang" hätten.

Portrait von Russlands Finanzminister Anton Siluanow
Russlands Finanzminister Anton Siluanow verspricht mehr Geld für den Krieg gegen die UkraineBild: Grigory Sysoev/SNA/IMAGO

Das stimmt aber nur zum Teil. In absoluten Zahlen steigen die Ausgaben im sozialen Bereich um 1,4 Billionen Rubel, wenn man mehrere Posten zusammenzählt: Bildung, Gesundheitswesen, Sozialpolitik und Sport. Doch der Anteil dieser Ausgaben am gesamten Haushalt wird von 31,7 Prozent in diesem Jahr auf 29,9 Prozent im nächsten Jahr sinken.

Zurück in die 1990er Jahre?

Der Anstieg der Militärausgaben im Haushalt ist angesichts des anhaltenden Krieges gegen die Ukraine keine Überraschung, aber dass sie im Jahr 2024 um 68 Prozent im Vergleich zu 2023 so stark zunehmen, kommt für die meisten Wirtschaftsexperten dann doch unerwartet. Das betont Andrej Jakowlew, einer der Gründer der Wirtschaftshochschule Moskau, der heute am Davis Center für russische und eurasische Studien der Harvard University forscht.

Nach Ansicht des Experten ist es sehr wahrscheinlich, dass eine Abwertung des Rubels nötig sein wird, um den Haushalt zu erfüllen. Das könnte bereits im Jahr 2025 schwerwiegende makroökonomische Risiken im Zusammenhang mit einer hohen Inflation mit sich bringen. Die Situation erinnert Jakowlew an die 1990er Jahre, als der Staat die Notenpresse anwarf, um Gehälter zu zahlen, was jedoch zu einer klassischen Inflationsspirale führte. "Der Kreml macht uns mit den schrecklichen 90er Jahren Angst, aber jetzt treibt er selbst die Wirtschaft soweit", betont er gegenüber der DW.

Ferner sei zu erwarten, dass die russischen Behörden versuchen werden, die fehlenden Einnahmen aus Öl- und Gasexporten, die aufgrund von Sanktionen und weiteren Gründen zurückgehen, durch interne Quellen zu ersetzen. "Die Behörden sprechen offen über zusätzliche Steuereintreibungen. Dies gilt sowohl für Unternehmen als auch für die Bevölkerung. Auch Bußgelder, die die Bevölkerung zu erwarten hat, werden steigen", vermutet Jakowlew.

Er weist zudem darauf hin, dass Haushaltskürzungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Volkswirtschaft vorgesehen sind. "Projekte für den Bau neuer Straßen und die Entwicklung von Hypotheken-Programmen werden höchstwahrscheinlich reduziert", sagt er.

Russland droht ein Arbeitskräftemangel

Man könne den Entwurf des Staatshaushalts für 2024 durchaus als "militärisch" bezeichnen, sagt im Gespräch mit der DW Natalja Subarewitsch von der Moskauer Staatlichen Universität. Nach Ansicht der Professorin, einer Expertin für sozioökonomische Entwicklung von Regionen, kann von einer "Kriegswirtschaft" aber nur dann die Rede sein, wenn es zu einer massenweise Verstaatlichung und der Anpassung aller Sektoren an die staatlichen Rüstungsaufträge kommen würde. Das sei derzeit aber nicht der Fall.

Portrait von Natalja Subarewitsch
Natalja Subarewitsch spricht von einem "militärischen" Staatshaushalt, aber nicht von KriegswirtschaftBild: Yevgeny Kurskov/TASS/IMAGO

In diesem Jahr, so Subarewitsch, werde man den Rückgang der Einkommen der Bevölkerung im vergangenen Jahr überwinden. Dazu würden die stark gestiegenen staatlichen monatlichen Leistungen für arme Familien mit Kindern unter 17 Jahren beitragen, aber auch die Indexierung der Renten und steigende Gehälter im Rüstungsbereich. "Hunderttausende Vertragssoldaten und Mobilisierte erhalten nach russischen Maßstäben sehr hohe Zuwendungen. Im Allgemeinen wachsen die Einkommen der Bevölkerung, jedoch nicht bei allen Menschen", so die Expertin.

Ein akutes Problem in Russland ist laut Subarewitsch der wachsende Arbeitskräftemangel, auch aufgrund des Kriegseinsatzes. "Fast eine Million Männer sind aus der Realwirtschaft verschwunden, manche sind geflohen, andere kämpfen. Davon haben nach Schätzungen von Demografen 400.000 bis 600.000 der am besten ausgebildeten Vertreter der Mittelschicht das Land verlassen. Nur wenige sind später wieder zurückgekehrt. Russland verliert 'Humankapital', und das ist, was die Entwicklung am stärksten antreibt", erläutert Subarewitsch.

Nach Ansicht der Ökonomin Alexandra Osmolowskaja-Suslina behält die Sozialpolitik trotz Rekordsummen für das Militär und die Sicherheitskräfte einen hohen Stellenwert in der Gesamtstruktur der Staatsausgaben. "Eine weitere Sache ist, dass man diesen Entwurf gar nicht als einen auf Entwicklung ausgerichteten Haushalt bezeichnen kann", sagt sie der DW. Die Geldspritze für den militärisch-industriellen Komplex werde zwar zu einem BIP-Wachstum führen, aber nur ein formeller Indikator bleiben. Er könne nicht als ein zuverlässiger Beweis für eine Steigerung des Wohlstands der Bürger betrachtet werden.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk