Rutschbahn statt sicherer Hafen
28. Februar 2003Konservative Anleger investieren in den DAX, risikofreudige Anleger stecken ihr Geld in den Neuen Markt. So lautete bis vor wenigen Jahren eine Binsenweisheit deutscher Anlageberater. Die Begründung: Bei einem Investment in die Standardwerte des DAX sei das Kurspotential zwar geringer als beim kleinen Bruder Neuer Markt, dafür seien die Ausschläge nach unten aber auch deutlich niedriger.
Ratschläge dieser Art dürften den meisten Aktien-Beratern nach drei Baisse-Jahren des DAX in Folge vergangen sein. Denn der Kurs des früher als relativ schwankungsresistent und solide geltenden Leitindexes ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund 50 Prozent eingebrochen. Damit schneidet das deutsche Aktienbarometer mit weltweit bekannten Unternehmen wie DaimlerChrysler, Siemens und Adidas deutlich schlechter ab als andere internationale Indizes wie Dow Jones, Nasdaq, Nikkei oder FTSE, die alle Kursverluste zwischen 20 und 40 Prozent verbuchten.
Vier Gründe
Als Hauptgründe für das vergleichsweise schlechte Abschneiden des DAX nennen Experten im Gespräch mit DW-WORLD die Krise der deutschen Finanzunternehmen, die DAX-Zusammensetzung, die negative Verfassung der deutschen Wirtschaft sowie den starken Euro. "Der wichtigste Grund ist die hohe Gewichtung und die sehr schlechte Performance der Finanzwerte im DAX", sagt Tina Koch, Portfoliomanagerin bei der SEB AG. Das Gewicht der Finanzwerte im DAX betrage derzeit immer noch 20 Prozent, obwohl der Börsenwert dieser Aktien in der letzten Zeit schon kräftig gesunken sei. Die Ursache für die Probleme der deutschen Finanzdienstleister ist Koch zufolge eindeutig: Im internationalen Vergleich seien deutsche Banken deutlich weniger profitabel als ihre Konkurrenten.
Die Schwäche der Finanzbranche ist nach Einschätzung von Berndt Fernow, Aktienstratege bei der Landesbank Baden-Württemberg, teilweise hausgemacht: "Der Immobilienkreditsektor in Deutschland befindet sich seit Mitte der 1990er-Jahre in der Krise und davon sind speziell die Großbanken betroffen." In anderen europäischen Ländern wie Großbritannien laufen die Immobiliengeschäfte dagegen gut. Ausländische Banken können Fernow zufolge durch das Immobilienkreditgeschäft Firmenkreditausfälle ausgleichen. Deutschen Banken könnten das aufgrund der Immobilienkrise hierzulande nicht.
Keine stabilen Schwergewichte
Neben der Bankenkrise ist jedoch auch die Zusammensetzung des DAX ein Problem: "Unserem Markt fehlen starke, stabilisierende Aktien aus Branchen wie Öl, Nahrungsmittel oder Konsumgüter, die es in Großbritannien, Frankreich, Schweiz, den Niederlanden und den USA gibt", erläutert Fernow. Große, robuste Werte wie der Ölkonzern Totalfina, der Nahrungsmittelriese Nestlé oder der Einzelhandelsprimus Wal-Mart sind im DAX nicht zu finden.
Auch die anhaltende Wirtschaftsflaute in Deutschland lässt nach Einschätzung der Experten potentielle Investoren vor einem Engagement in deutsche Aktien zurückschrecken. "Besonders US-Investoren haben deshalb ihr Engagement in Deutschland eingeschränkt und legen ihr Geld in anderen Märkten an", betont Portfoliomanagerin Koch. Ihr Kollege von Ivesco Asset Management Gerald Rössel hebt hervor, dass Europa die seit Jahren bekannten Strukturprobleme nicht lösen könne. "Wenn die US-Wirtschaft in eine Rezession rutscht, dann kommt sie relativ schnell wieder heraus. In Europa dauert es sehr lange, bis wir überhaupt ein gewisses Maß an Wachstum generieren können, und darauf achten global-orientierte Anleger natürlich."
Euro bremst Export-Unternehmen
Negative Auswirkungen auf die stark exportabhängigen deutschen Unternehmen hat auch der starke Aufschwung des Euro. "Die Aktienkurse deutscher Gesellschaften leiden unter der steigenden Währung", sagt Aktienstratege Fernow. Dagegen profitieren beispielsweise exportabhängige Dow-Jones-Unternehmen wie Mc Donald´s und Coca-Cola von einem schwächeren Dollar.
Und noch einen Grund hat der Experte der Landesbank Baden-Württemberg für den vergleichsweise großen Kursrutsch des DAX ausgemacht: Die schwachen Hände der institutionellen Anleger in Deutschland. "In den USA haben viele große Pensionskassen immer bis zu 70 Prozent Aktien im Bestand, weshalb sie Baisse-Phasen wie derzeit zum Einstieg nutzen. In Deutschland nutzen viele Vermögensverwalter und Versicherungen Aktien nur als Depot-Beimischung, um ihre Performance aufzubessern." In Schwächephasen werfen sie dann ihre Anteile vollständig auf den Markt, weshalb die US-Börsen in der Baisse fast immer besser abschneiden als ihre deutschen Pendants.