Südsudan: Hungern zwischen den Fronten
17. Oktober 2017"Delkhiin Khünsnii Khötölbör" ist zwar mongolisch, aber im Flüchtlingslager von Bentiu im Südsudan verstehen den Begriff schon Kleinkinder. Übersetzt heißt er "Welternährungsprogramm" - und im Leben der Kinder hier gibt es zwei Selbstverständlichkeiten: Essen kommt vom UN-Welternährungsprogramm. Sicherheit kommt aus der Mongolei. Neben ghanaischen Soldaten sind es vor allem mongolische UN-Blauhelme, die das Lager schützen: Freundliche Männer und Frauen, die kleine Geschenke verteilen und den wissbegierigen Kindern ein paar Brocken Mongolisch beibringen.
Seit 2014 existiert diese kleine, geschützte Welt inmitten des Krieges. Damals, kurz nach Ausbruch der Kämpfe, haben die Vereinten Nationen das Lager zum Schutz von Zivilisten errichtet. Mittlerweile werden hier fast 200.000 Menschen dauerhaft versorgt. Denn aus dem bewaffneten Konflikt hat sich im Laufe der Jahre eine Hungerkrise entwickelt, die fast das gesamte Land im Griff hat. Sechs Millionen Südsudanesen sind aktuell auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen - und damit die Hälfte aller Einwohner des jungen Staates.
Bewaffnete Gruppen plündern Felder
Die Abläufe im Lager von Bentiu sind inzwischen beinahe perfekt eingespielt: Bei der monatlichen Nahrungsmittelverteilung stellen sich tausende Hungrige geordnet in Reihen auf. Es sind ausschließlich Frauen - kulturell ist das Anstehen für Nahrung keine Männeraufgabe. Trotz der vielen Menschen herrscht nirgends Gedränge. Das Vertrauen in die internationalen Helfer ist nicht nur bei den Kindern groß.
Auch Hannah Nyarure wartet geduldig mit all den anderen Frauen. Schon mehrmals hat die vierfache Mutter versucht, ohne die UN-Hilfe auszukommen. Vor einigen Monaten hat sie trotz der blutigen Kämpfe das Lager verlassen und ist mit ihren Kindern zurück in ihr Heimatdorf gezogen. "Zuhause kann ich zumindest versuchen, selbst Getreide und Gemüse anzubauen", erklärt Hannah.
Trotzdem muss sie weiterhin jeden Monat den fünfstündigen Fußmarsch zur Nahrungsmittelverteilung im Camp auf sich nehmen. Die letzten Regenzeiten waren ungewöhnlich kurz, das macht den Anbau eigener Lebensmittel schwierig. Noch viel schlimmer als der ausbleibende Regen sind für die Menschen aber die anhaltenden Kämpfe. Selbst wenn etwas auf ihren Feldern wächst, kommen früher oder später hungernde Regierungssoldaten, Rebellen oder marodierende Banden und nehmen sich gewaltsam, was sie brauchen.
Rebellen ohne Ziele
Für Hannah Nyarure sind Plünderungen und Gewalt längst Teil ihres Alltags. "Auch wenn ich meine Nahrungsrationen von hier aus zurück in mein Dorf trage, komme ich an Orten vorbei, die sehr gefährlich sind", erklärt sie. "Die Kämpfer lassen mir aber normalerweise ein wenig Nahrung übrig". Ihren Ehemann hat sie seit Monaten nicht gesehen. Er hat sich selbst einer der bewaffneten Gruppe angeschlossen, der sogenannten "IO2" oder auch "In Opposition 2". So verworren ist die Lage, so diffus die Bündnisse und Ziele der einzelnen Milizen, dass einige von ihnen keine Namen mehr bekommen, sondern einfach nur Nummern. Was 2013 als Machtkampf zwischen Präsident Salva Kiir und seinem ehemaligen Vize Rieck Machar begann, ist längst ein unübersichtlicher Kampf zahlreicher Volksgruppen und Clans geworden.
Thomas Hoerz kennt die Gefahren für Frauen wie Hannah gut. Der Mitarbeiter der Welthungerhilfe koordiniert die Nahrungsmittelausgabe in Bentiu. Die deutsche Hilfsorganisation kümmert sich im Auftrag des UN-Welternährungsprogramms um die Verteilung im Lager. Natürlich wäre es besser, noch mehr Verteilzentren in der Region aufzubauen, meint Herz. Dann hätten die Frauen, die nicht im Camp leben, nicht so weite Wege. Aber es gehe eben auch um die eigene Sicherheit. "Je kleiner und abgelegener die Siedlung, desto schwieriger ist es, Sicherheit für unsere Leute zu gewährleisten", sagt der Helfer.
Helfer in Lebensgefahr
Trotzdem haben Hoerz und seine Kollegen bereits mehrere Verteilstationen in kleineren Orten der Umgebung eröffnet. Einer davon liegt dem Helfer besonders am Herzen: Dingding, rund eine halbe Autostunde vom Camp entfernt. Hier ist der Dorfvorsteher besonders hilfsbereit - und er hat es geschafft, den Konflikt weitestgehend aus seinem Ort fernzuhalten. "Ganz einfach: Wenn wir Essen haben, teilen wir es mit den Kämpfern. Wenn wir nichts haben, lassen sie uns inzwischen in Ruhe", erklärt er sein Erfolgsrezept.
Doch selbst in Dingding kann die Stimmung plötzlich kippen. Während sich Hoerz mit dem Dorfvorsteher unterhält, haben sich vor dem Ort mindestens ein Dutzend Regierungssoldaten versammelt. Sie trinken sich Mut an für eine geplante Offensive gegen Rebellenstellungen in der Nähe, die Stimmung ist aufgeheizt. Die Deutschen seien die schlimmsten Verbrecher im Südsudan, ruft einer der Betrunkenen plötzlich seinen Kameraden zu. Es wird Zeit, den Besuch zu beenden. Wegen Situationen wie diesen sei bei der Nahrungsmittelverteilung mitunter bewaffneter Schutz der UN nötig, erklärt Thomas Hoerz später. Mindestens 79 humanitäre Helfer sind seit Beginn des Bürgerkriegs im Südsudan ums Leben gekommen.
Hungernde Soldaten
Viele der Verbrechen von bewaffneten Gruppen hätten damit zu tun, dass selbst die Regierungssoldaten oft hungerten, meint Parach Mach. Der südsudanesische Journalist hat von Anfang an intensiv über den Konflikt berichtet. Trotzdem erkläre das nicht die Vergewaltigungen und Tötungen, begangen von allen Seiten. "Ich denke, dass unser gesellschaftlicher Zusammenhalt in den vielen Jahren des Kämpfens komplett zerbrochen ist. Unschuldiger Zivilist oder bewaffneter Kämpfer - das macht für viele einfach keinen Unterschied mehr", so Mach. Und an dieser Situation werde sich nie etwas ändern, wenn die Täter nicht hart bestraft würden. "Erst dann lernen ihre Kameraden vielleicht endlich etwas."
Helfer Thomas Hoerz will trotz allem seinen Glauben an das Gute im Menschen nicht aufgeben: Neben Strafen brauche es vor allem Perspektiven. "Wir versäumen völlig, den Menschen in den Camps auch Angebote zur Berufsbildung und Trainings zu geben." Doch auch Hoerz ist nicht so naiv zu glauben, dass damit der Teufelskreis aus Gewalt und Hunger einfach so durchbrochen werden könne. Zu viele junge Männer hätten die Erfahrung gemacht, dass sie mit einer Waffe etwas zählten. "Und das werden sie als Alternative wohl im Kopf behalten."