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Saatgut - die Macht der Agrarkonzerne

9. April 2021

Nur vier Konzerne dominieren den weltweiten Saatgutmarkt. Das bedroht die genetische Vielfalt und damit unsere Ernährungssicherheit. Zudem kriminalisieren Gesetze bäuerliche Saatgut-Züchtung. Aktivisten kämpfen dagegen.

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Eine Hand nimmt Samen aus einer Schale
Mehr als die Hälfte des weltweiten Saatgutmarkts ist in der Hand von nur wenigen KonzernenBild: Frank May/dpa/picture alliance

Über Jahrtausende hinweg wurde Saatgut von Landwirten angebaut und wieder ausgesät, frei ausgetauscht und geteilt. Eine besondere Eigenschaft des Saatguts, nämlich die Fähigkeit, sich selbst zu reproduzieren, beschränkte bis vor kurzem seine Kommerzialisierung.

Doch das änderte sich in den 1990er Jahren, als Gesetze zum Schutz neuer, gentechnisch veränderter Nutzpflanzen eingeführt wurden. Heute kontrollieren gerade einmal vier Konzerne - Bayer, Corteva, ChemChina und Limagrain - mehr als 50 Prozent des weltweiten Saatguts. So sind gigantische Monopole entstanden, die die globale Nahrungsmittelversorgung dominieren.   

Einförmigkeit auf den Feldern wird zur Gefahr

"Es ist letztlich das Saatgut, was uns und die Tiere, die wir essen, ernährt", sagt Landwirtschaftssoziologe Jack Kloppenburg, Professor an der Universität von Wisconsin-Madison. "Kontrolle über das Saatgut bedeutet in vielerlei Hinsicht die Kontrolle über die Nahrungsmittelversorgung. Die Frage, wer neue Pflanzensorten produziert, ist absolut entscheidend für unser aller Zukunft."

Zum einen gibt es immer weniger Möglichkeiten, um Saatgut auszutauschen und zu verteilen. Zum anderen wird auch das Saatgut an sich immer weniger divers. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) verschwanden im vergangenen Jahrhundert 75 Prozent der weltweiten Nutzpflanzen.   

Unterschiedliche Kartoffelsorten aus Peru in verschiedenen Farben und Formen
Wenn alte Sorten verschwinden, wie diese Kartoffeln aus Peru, geht die genetische Vielfalt unserer Nahrung verlorenBild: CIP

Die große Vielfalt lokal angepasster Kulturpflanzen wird durch standardisierte Sorten ersetzt. Experten warnen vor schwerwiegenden Folgen für die Ernährungssicherheit, insbesondere im Hinblick auf die Erderwärmung.

Kontrolle über das Saatgut - Kontrolle über die Landwirtschaft

Große Hersteller von gentechnisch verändertem und biotechnologisch entwickeltem Saatgut wie Bayer und Corteva schränken die Verwendung der von ihnen verkauften Sorten streng ein. In der Regel müssen die Landwirte Verträge unterschreiben, die es ihnen verbieten, Saatgut aus den Ernten aufzubewahren, um es zu tauschen oder in der nächsten Saison wieder auszusäen.   

Die meisten Länder erlauben zwar Patente nur auf gentechnisch verändertes Saatgut. Aber auch andere Pflanzensorten können durch den sogenannten Sortenschutz, einer Gesetzgebung über geistiges Eigentum, streng kontrolliert werden. 

Die Welthandelsorganisation verlangt von ihren Mitgliedsstaaten, und damit von so gut wie allen Nationen der Welt, dass sie über irgendeine Form von Gesetzgebung zum Schutz von Pflanzensorten verfügen. Diese Anforderung erfüllen viele Staaten, indem sie dem Internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (französisch: Union internationale pour la protection des obtentions végétales - kurz UPOV) beitreten, der die Produktion, den Verkauf und den Austausch von Saatgut beschränkt. 

Ein Mann hält einen Korb und sät Samen mit der Hand
Jahrtausendelang wurde Saatgut von Bauern kultiviert, frei getauscht und geteilt - bis die Monopole kamenBild: picture-alliance/dpa/D. Schäfer

Das Argument des UPOV:  Die auferlegten Beschränkungen sollen Innovation fördern. Züchter erhielten so ein zeitlich begrenztes Monopol für das Saatgut und könnten von den neuen Pflanzensorten, die sie in dieser Zeit entwickeln, ohne Wettbewerb profitieren.   

"Das bedeutet, sie können kontrollieren, wie diese Sorten vermarktet werden und eine Rendite für ihre Investitionen erzielen - denn eine neue Sorte zu entwickeln dauert bis zu zehn oder 15 Jahre", so Peter Button, stellvertretender Generalsekretär der UPOV.

Im Würgegriff der Saatgut-Vorschriften

Um die UPOV-Kriterien zu erfüllen, muss kommerzielles Saatgut genetisch einheitlich und stabil sein. Die Sorten, die von Landwirten entwickelt und über Generationen weitergegeben wurden, sind aber genetisch vielfältig und entwickeln sich ständig weiter. Da sie damit die UPOV-Kriterien nicht erfüllen können, haben Landwirte in den Vertragsstaaten der UPOV kein geistiges Eigentumsrecht an selbstgezüchteten Pflanzensorten - mehr noch: In vielen Ländern können sie ihre Sorten gar nicht erst als Saatgut zertifizieren lassen.

Zusätzlich zum Sortenschutz verbieten Saatgutvermarktungsgesetze in vielen Ländern den Verkauf oder sogar die Weitergabe von nicht-zertifiziertem Saatgut. Damit sollen Standards gewahrt bleiben und ein hoher kommerzieller Ertrag unter industriellen Anbaubedingungen gewährleistet werden.

Junge Bauern demonstrieren gegen EU-Pläne zur Änderung bei der Saatgut-Zulassung
Der Protest gegen eine neue EU-Saatgutverordnung war erfolgreich, Anfang 2015 zog die EU-Kommission ihre Pläne zurückBild: picture-alliance/dpa

Saatgut von Agrarkonzernen zu kaufen ist somit oft die einzige legale Möglichkeit. Und das bedeutet, dass weltweit immer mehr Lebensmittel auf immer weniger genetischer Vielfalt basieren.

Klimaresilienz durch Vielfalt

Karine Peschard ist Forscherin für Biotechnologie, Ernährung und Saatgutsouveränität am Graduate Institute of International and Development Studies in Genf. Sie hält diesen Rückgang der Vielfalt vor allem angesichts der Erderwärmung für hoch problematisch. 

Durch veränderte Klimabedingungen können laut Peschard die bisherigen Agrarsysteme aus dem Gleichgewicht geraten. Jede Pflanze braucht bestimmte Bedingungen, um zu wachsen, wie spezielle Temperaturen und Wassermengen. Ändern sich die Bedingungen an einem Standort zu stark, kann die Pflanze dort nicht mehr gedeihen.

Würden dagegen viele verschiedene Nutzpflanzen angebaut, die jeweils über eine große genetische Vielfalt und damit über Änderungspotenzial verfügten, könnten sich die Pflanzen selbst anpassen, erklärt Peschard - und wenn eine Pflanze ausfalle, bedeute dies für die Landwirte dann nicht mehr unbedingt den Verlust der gesamten Ernte. "Je homogener unser Genpool ist, desto anfälliger sind wir für alle Arten von Umwelt-Stress und wir wissen, dass es mit dem Klimawandel immer mehr Umwelt-Stress geben wird", so die Wissenschaftlerin.

Neokoloniale Landwirtschaft per Handelsabkommen

Es gibt keine rechtliche Verpflichtung der UPOV beizutreten. Aber Länder wie die USA, Kanada, die Schweiz, Japan sowie die Mitgliedstaaten der Europäischen Union setzen Länder des globalen Südens wie Simbabwe oder Indien mit bilateralen und regionalen Handelsabkommen unter Druck, um einen UPOV-Beitritt zu bewirken.

Eine Frau siebt Bohnensamen in einem Korb
Im Visier der Agrarkonzerne: der Saatgutmarkt in Ländern des globalen Südens Bild: DW

Kritiker monieren, dass die Einführung einheitlicher Regeln auf globaler Ebene letztlich bedeutet, die in Europa und den USA dominierende industrielle Landwirtschaft auch solchen Regionen der Welt aufzuzwingen, wo Lebensmittel noch großenteils von kleineren, nachhaltigeren Betrieben produziert werden.

"Wir sehen das als einen Neokolonialismus, der unsere Lebensgrundlagen und unsere Umwelt zerstört", sagt Mariam Mayet, Direktorin des African Center for Biodiversity in Südafrika.  

Saatgut, Dünger, Pestizide

Eine Umstellung auf standardisiertes Saatgut verändert ganze Agrarsysteme. Denn die vier großen Agrarkonzerne Bayer, Corteva, ChemChina und Limagrain produzieren auch eigene Düngemittel und Pestizide, an die ihr Saatgut bestens angepasst ist. Ohne diese Mittel gelingt es Bauern kaum, nach der Aussaat des Konzernsaatguts genügend Erträge zu erzielen.

Ein Traktor versprüht Pflanzenschutzmittel auf einem Feld
Für gute Erträge aus dem Saatgut der Agrarkonzerne brauchen Landwirte die passenden Dünger und PestizideBild: picture-alliance/dpa/C. Ohde

Eine Umstellung auf das Saatgut der Agrarkonzerne diktiert also in der Folge, wie Felder angelegt werden, welche anderen Pflanzen noch überleben können sowie den Nährstoffhaushalt des Bodens und damit wiederum den Bedarf an passenden Düngemitteln.

Mayet fordert Ausnahmen von der Saatgutgesetzgebung, um den Bauern die Autonomie zu geben, ihre traditionelle Landwirtschaft zu bewahren, die "das Fundament ist, um die ökologische Integrität, die Nachhaltigkeit der Natur, die biologische Vielfalt, die Landschaft und die Ökosysteme zu schützen." Und sie ist nicht allein.   

Saatgutnetzwerke: Rebellion gegen die Konzernmacht

Auf der ganzen Welt gibt es Bewegungen für Ernährungssouveränität, wie die transnationale La Via Campesina, die Alliance for Sustainable and Holistic Agriculture in Indien, das Third World Network in Südostasien und Let's Liberate Diversity! in Europa. Sie setzen sich für Saatgutnetzwerke ein, die es Bauern und Kommunen ermöglichen, die Agrarriesen zu umgehen und Saatgut zu eigenen Bedingungen zu verwalten.   

Mitarbeiter und Unterstützer stehen vor der Hoima Community Seed Bank (CSB) in Uganda
In immer mehr Ländern versucht man, alte Saatgutsorten zu retten und zu nutzen - wie hier in der Hoima Community Seed Bank (CSB) in UgandaBild: Benefit-Sharing Fund BSF/FAO

Der Landwirtschaftssoziologe Jack Kloppenburg verpackt seit sechs Jahren Saatgut und verschickt es über die Open Source Seed Initiative (OSSI) an Bauern. Inspiriert wurde OSSI vom System der Open-Source-Software. Dabei werden Computercodes generiert, die von jedem frei genutzt, verbreitet und verändert werden können, solange die Nutzer anderen dieselben Freiheiten zugestehen.

Auch die Open-Source-Saatgutsorten sind frei verfügbar und werden weithin getauscht. Anstelle einer Lizenz unterliegt ihre Nutzung, wie bei den Computercodes, dem Versprechen, sie für andere verfügbar zu halten.

"Lasst den Mensch sich selbst ernähren"  

Jedes Päckchen OSSI-Saatgut liegt eine Erklärung bei: "Indem Sie diese Packung öffnen, versprechen Sie, dass Sie die Nutzung dieses Saatguts und seiner Derivate durch andere nicht durch Patente, Lizenzen oder andere Mittel einschränken werden." Nutzer müssen zudem versprechen, das Saatgut nur mit diesem Versprechen weiterzugeben und seine Herkunft zu benennen.

Eine Hand hält eine offene Bohnenschote mit getrockneten Samen
Teilen zugunsten der Gemeinschaft - das ist der Gedanke hinter der Open Source Seed InitiativeBild: DW/Angelo van Schaik

Kloppenburg gibt zu, dass das Modell nicht perfekt ist; weil das so verteilte Saatgut rechtlich nicht geschützt ist, ist es anfällig für Missbrauch durch kommerzielle Interessen. Aber er ist überzeugt, dass das Konzept "Teilen zugunsten des Gemeinswohls" funktioniert und an unterschiedliche lokale Bedürfnisse angepasst werden kann.

Die industrialisierte Landwirtschaft, die den Ertrag auf Kosten von Biodiversität und Ökologie maximiert, werde oft mit dem Argument gerechtfertigt, man müsse die Welt ernähren, sagt Kloppenburg. Für ihn ist das die falsche Betrachtungsweise. "Die Menschen müssen sich selbst ernähren können - und es muss ihnen wieder erlaubt werden, das zu tun."

Die Samenhüter von Quito

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk