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Wie Sahra Wagenknecht der AfD schaden könnte

Ben Knight
9. August 2023

Sahra Wagenknecht von der Linkspartei denkt daran, eine neue Partei zu gründen. Das sollte vor allem der AfD Sorge bereiten.

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Sahra Wagenknecht
Blick nach rechts oder links? Die Linken-Politikerin Sahra WagenknechtBild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Wie kaum eine andere deutsche Politikerin gilt Sahra Wagenknecht als Störfaktor - nicht nur ihren politischen Gegnern, sondern auch im eigenen Lager. Bei ihren Abgeordnetenkollegen im Bundestag sorgt die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linkspartei immer wieder für Ärger wegen ihrer Missachtung der Parteidisziplin und wegen der scheinbar endlosen Aufmerksamkeit, die die Medien Wagenknecht schenken.

Während die Linkspartei in Umfragen bei unter fünf Prozent liegt, ist Wagenknechts Popularität weiter gestiegen. Die Parteispitze hatte Wagenknecht zuletzt immer wieder aufgefordert, ihre Haltung zu ihrer eigenen Partei zu klären, auch von einem Ultimatum zum Parteiaustritt war die Rede.

Seit Monaten wird darüber spekuliert, dass Wagenknecht ihre eigene Partei gründen könnte, nicht zuletzt, nachdem eine Ende Juli veröffentlichte Meinungsumfrage des Forschungsinstituts Civey ergab, dass 20 Prozent der Deutschen sich "grundsätzlich vorstellen" könnten, für eine Partei unter Führung der ehemaligen Linkspolitikerin zu stimmen.

Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht stehen auf einer Bühne, im Hintergrund der Spruch "Aufstand für Frieden"
Sahra Wagenknecht (rechts) sorgte für Schlagzeilen, als sie gemeinsam mit der Feministin Alice Schwarzer Verhandlungen mit Russland über ein Ende des Ukraine-Krieges forderteBild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Wagenknecht, die regelmäßig in deutschen Polit-Talkshows auftritt, wurde im vergangenen Jahr zur Anführerin einer "Friedenskampagne", die den Westen aufforderte, die Aufrüstung der Ukraine zur Verteidigung gegen den russischen Angriff einzustellen. Zudem hatte Wagenknecht die Linken-Parteiführung dafür kritisiert, dass sie sich den sogenannten "Lifestyle-Linken" anbiedere, deren Politik der Integration von Minderheiten ihrer Meinung nach die Stammwählerschaft der Linkspartei ausgrenzt.

Das Phänomen Wagenknecht - eine Bedrohung für Rechtsaußen?

Besondere Popularität genießt Wagenknecht in Ostdeutschland. Eine Umfrage des Insa-Instituts in Thüringen vom Juli ergab, dass eine von  Wagenknecht geführte neue Partei eine Wahl in ihrem Heimat-Bundesland möglicherweise gewinnen würde - mit 25 Prozent der Stimmen, drei Prozentpunkte vor der in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) auf dem zweiten Platz. Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke - selbst kein Unbekannter in Sachen Provokation - Wagenknecht nach ihrer "Friedensdemo" im Februar aufforderte, zur AfD überzulaufen.

Für den Linkspartei-Kollegen und ehemaligen Wagenknecht-Mitarbeiter Christian Leye beweist dies, dass die AfD sie mehr fürchtet als irgendjemand anderen in der deutschen politischen Landschaft. "Sahra Wagenknecht ist eine glaubwürdige Kritikerin der Zustände, die sich traut, mit klaren Worten die Regierung zu kritisieren", sagt er der DW. "Sie könnte für all jene, die zu Recht unzufrieden sind, eine soziale und friedenspolitische Wahl werden. Und das ist aktuell bitter notwendig, gerade weil man einer Partei wie der AfD das Feld nicht überlassen darf."

Sahra Wagenknecht im roten Blazer im Bundestag, schräg hinter ihr ist unscharf die AfD-Vorsitzende Alice Weidel zu sehen.
Sahra Wagenknecht ist auch bei den Anhängern der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel (rechts) populärBild: Annegret Hilse /Sven Simon/IMAGO

Die Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner von der Universität Mannheim hat das Phänomen Wagenknecht untersucht. Wagner hat herausgefunden, dass Wagenknecht unter AfD-Anhängern in der Tat ähnlich populär ist wie die AfD-Führung. "Wir sehen, dass gerade das Migrationsthema sehr stark mit Wagenknecht assoziiert wird", so Wagner im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Nichtsdestotrotz, wenn wir uns das Potenzial der Menschen anschauen, die potenziell für Wagenknecht stimmen würden, dann sind das nicht nur Menschen, die allein migrationskritisch sind, sondern eben auch Menschen, die generell konservativ eingestellt sind. Das kann auch bedeuten, dass sie kritisch gegenüber Klimaschutz sind oder auch gegen die Rechte von LGBTQI-Communities sind."

Wagner sagt, dass ein großer Teil der derzeitigen Anhängerschaft der AfD nicht besonders stark für die Partei engagiert ist und daher von einer neuen Partei gewonnen werden könnte. "Das sind Wähler, die eher unzufrieden sind mit der Demokratie, die eher konservativ eingestellt sind. Viele fühlen sich mit der AfD nicht wohl, aber sehen keine andere Partei, für die sie stimmen können."

Konservative Werte, sozialistische Wirtschaftspläne

Einige Beobachter glauben, dass Wagenknecht eine in Deutschland ungewöhnliche Kombination anbietet: konservative soziale Werte in Verbindung mit sozialistischen Wirtschaftsplänen. "Wir können nicht genau sagen, wie viele Menschen sich an linkskonservativen Werten orientieren", sagt Wagner. "Was man aber sagen kann, ist, dass die Gruppe signifikant ist."

Ganz weit rechts – Ansichten der AfD zur Europapolitik

Eine solche Wagenknecht-Partei ließe sich auf internationaler Ebene vielleicht am ehesten mit der Sozialistischen Partei (SP) in den Niederlanden vergleichen, die gelegentlich eine härtere Linie in der Einwanderungsfrage vertritt, oder mit der Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), die gegen ein Gesetz zur Institutionalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe gestimmt hat.

Wagners Studie ergab, dass das Potenzial für eine Wagenknecht-Partei vor allem in Ostdeutschland liegt. Ansonsten, so Wagner, gebe es keine bestimmte Bevölkerungsgruppe, die sie anspreche: Wagenknechts Anhänger sind danach weder besonders jung oder alt, noch mehrheitlich männlich oder weiblich, auch gehören sie keiner bestimmten Schicht an. Wagenknecht könnte also potenziell viele Menschen erreichen.

Wird sie es wagen?

Wagenknecht hat angekündigt, dass sie bis zum Ende dieses Jahres keine Entscheidung über ihren nächsten Schritt treffen wird. Sollte sie eine neue Partei gründen, dann könnte dies die Linkspartei, der sie ihre politische Karriere verdankt, möglicherweise das politische Überleben kosten. Denn Wagenknecht würden sich sicherlich einige Abgeordnete, Mitglieder und Anhänger der Linkspartei anschließen.

Auch für Wagenknecht persönlich wäre es ein folgenschwerer Schritt. Die 1969 als Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters im thüringischen Jena geborene Politikerin hat praktisch ihr gesamtes Erwachsenenleben in der Partei verbracht, die sich heute Linkspartei nennt. Schon vor dem Zusammenbruch der DDR war sie Mitglied in der Linken-Vorgängerpartei SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, die im kommunistischen Ostdeutschland regierte.

Wenn sie sich denn zur Abspaltung entschließt, dann könnte Wagenknechts Schlachtplan so aussehen: Eine Kandidatur bei der Europawahl im nächsten Frühjahr, um das Terrain zu testen, gefolgt von einem umfassenden Landtagswahlkampf in drei ostdeutschen Bundesländern im Herbst 2024: Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Von Wagenknechts Entscheidung könnte abhängen, ob die AfD weiter wächst – und damit die politische Zukunft Deutschlands.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.