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Politik

Wagenknechts Sammlungsbewegung legt los

3. September 2018

Anfang August ging die Website "aufstehen.de" online. Dass es sich um ein Projekt der schillernden Linken-Politikerin handelt, steht dort zwar nicht, war aber schon allgemein bekannt. Nun erfolgt der offizielle Start.

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Sahra Wagenknecht - Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke
Bild: Imago/S. Minkoff

"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", dichtete einst der Literatur-Nobelpreisträger Hermann Hesse. Ob das auch für die sich linksliberal verstehende Sammlungsbewegung "aufstehen" gilt, ist letztlich wohl eine Frage des Standpunkts und der Sympathie. Auf jeden Fall aber hat die Initiative einiges dafür getan, dass viele Menschen neugierig geworden sind. Denn schon Anfang des Jahres geisterten Gerüchte durch klassische und soziale Medien, eine Gruppe um Sahra Wagenknecht schmiede Pläne für eine Sammlungsbewegung.

Die Vorsitzende der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag sorgte selbst dafür, die Spannung einigermaßen hochzuhalten. Lange hieß es, das Projekt solle im Sommer beginnen. Schließlich aber verkündete Wagenknecht den September-Termin. Fortan wurde immer wieder über mögliche Unterstützer spekuliert. Wagenknecht selbst hüllte sich in Schweigen, trotzdem tauchten einige Namen auf, die findige Journalisten gehört haben wollen.

Rätselraten über mögliche Unterstützer

Gregor Gysi, die Ikone der Linken, gehörte nicht dazu. Im Gegenteil: Er riet seiner umtriebigen Nachfolgerin als Fraktionschefin im Deutsche Welle-Interview von der Gründung einer Sammlungsbewegung ab. So etwas lasse sich nicht "von oben" organisieren, sondern es müsse von unten etwas entstehen. "Und dann kannst Du von oben dem Ganzen eine Richtung geben, eine Organisationsform geben." Wagenknecht hat sich indes für den umgekehrten Weg entschieden und ließ durchblicken, dass sie mit vielen Leuten im Gespräch sei.

Liedermacher und Autor Konstantin Wecker
"Nach reiflicher Überlegung" sagte Konstantin Wecker der Sammlungsbewegung Sahra Wagenknechts ab Bild: picture-alliance/dpa/G. Wendt

Es fielen Namen wie die des Liedermachers Konstantin Wecker und des Sozialpolitikers Rudolf Dreßler. Wecker (71) ließ Anfang August dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel" ausrichten, er stehe "nach reiflicher Überlegung" nicht zur Verfügung. Dreßler (78) hingegen appellierte in der "Neuen Presse" aus Chemnitz an seine von vielen Wahl-Niederlagen gebeutelten Sozialdemokraten, sich für die Sammlungsbewegung zu öffnen: Sie sei "die einzige Chance der SPD auf eine Machtperspektive".

"Wir wollen Druck auf die anderen Parteien ausüben"

Dabei soll "aufstehen" behilflich sein, obwohl aus dem Projekt angeblich gar keine Partei werden soll. Auf der Homepage heißt es: "Wir wollen Druck auf Parteien ausüben." Man wolle daher auch jene unterstützen, "die für unsere Ziele in den Parteien streiten". Zusammengefasst sind das: höhere Löhne, gute Renten und Pflege, gerechte Steuern, eine bessere Umweltpolitik, Abrüstung und Entspannungspolitik.

Alle diese Ziele finden sich auch in den Programmen von Linken, Grünen und Sozialdemokraten. Jener drei Parteien also, die es im letzten Jahrzehnt nicht geschafft hätten, "ein verlässliches Bündnis untereinander zu schmieden und mit einem politischen Gegenkonzept einen Machtwechsel in Deutschland herbeizuführen". Dieser Befund steht auf der "aufstehen"-Website. Von den anderen im Bundestag vertretenen Parteien grenzt sich die Sammlungsbewegung explizit ab.

Ein rot-rot-grünes Trio meldet sich zu Wort

Symbolbild Rot-Rot-Grüne Koalition
Bild: Imago/C. Ohde

Die Alternative für Deutschland (AfD) hetze gegen die Schwachen und wolle Löhne oder Renten kürzen. Und Angela Merkels Christdemokraten (CDU), deren bayrische Schwesterpartei CSU und die Freien Demokraten (FDP) "machen ohnehin Politik für Konzerne und Super-Reiche". Es fehle der überzeugende Wille, etwas zu verändern. Die Hoffnung, dass sich überhaupt noch etwas verändern lasse, sei die wichtigste Quelle linker Politik. "Auf diese Hoffnung zählen wir."     

Aber wer ist eigentlich "wir" – abgesehen von Sahra Wagenknecht? Ihr Ehemann, der frühere SPD-Politiker Oskar Lafontaine, gehört dazu. Im "Spiegel" gab sich zeitgleich mit dem Anfang August freigeschalteten Online-Auftritt ein rot-rot-grünes Trio zu erkennen: Die Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen (Linke) und Marco Bülow (SPD) sowie die frühere Grünen-Politikerin Antje Vollmer. Im Feuilleton der "Zeit" konnte man kurz darauf nachlesen, dass sich ein Kreis von Künstlern und Intellektuellen um Wagenknecht formiert habe, darunter der Schriftsteller Eugen Ruge und der Schauspieler Sebastian Schwarz.

Online gibt es ein "Mitmach-Formular"

Auf der Homepage finden sich Unterstützer aus allen Bevölkerungsschichten wie Karl-Heinz (Internetökonom) oder Nada (Journalistin), Barbara (Tierschützerin) oder Rene (DJ), Rolf (Rentner) oder Victoria (Schülerin). Fast 12.000 Follower haben sich bis Ende August beim Kurznachrichtendienst Twitter registriert. Außerdem kann man online ein "Mitmach-Formular" ausfüllen und dabei per Klick voreingestellte Interessen-Gebiete auswählen wie "Sichere Arbeitsplätze & höhere Löhne", "Echte Demokratie" oder "Globale Gerechtigkeit". Wer nichts Passendes findet, hat die Möglichkeit, es zu benennen.

Deutschland Tag der offenen Tür der Bundesregierung | Horst Seehofer
Sahra Wagenknecht hofft auf einen voll besetzten Saal in der Bundespressekonferenz; das schafft sonst nur Angela Merkel Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Und wie geht es danach weiter? Am 4. September wird Sahra Wagenknecht das Geheimnis lüften – nicht irgendwo, sondern im Haus der Bundespressekonferenz (BPK). Mitten im Berliner Regierungsviertel also, wo dreimal wöchentlich Angela Merkels Sprecher Fragen der sogenannten Hauptstadt-Journalisten beantwortet.  Die Wahl des Ortes hat natürlich eine hohe symbolische Bedeutung. Als Verstärkung bringt Wagenknecht drei Leute mit: die Oberbürgermeisterin der Stadt Flensburg, Simone Lange, den ehemaligen Grünen-Vorsitzenden Ludger Volmer und den Dramaturgen Bernd Stegemann.

"Wir wollen neue Talente entdecken"

Das Projekt "aufstehen" soll jetzt richtig in Fahrt kommen. "Wir wollen das Internet und die Straße erobern", heißt es auf der Website. "Wir wollen durch populäre Kampagnen die Politik aufrütteln." Man solle mit Nachbarn, Kolleginnen und Verwandten sprechen und mit "witzigen Ideen" die Forderungen der Sammlungsbewegung unterstützen.

Es zähle das, "was uns verbindet – egal ob in einer Partei oder nicht". Alte Spaltungen wolle man überwinden. Und: "Wir wollen neue Talente entdecken." Ein schon recht bekanntes Talent der deutschen Politik scheint für die linke Sammlungsbewegung schon vor ihrem offiziellen Start verloren zu sein: Kevin Kühnert, Vorsitzender der SPD-Nachwuchsorganisation, der mit viel Elan gegen eine Fortsetzung der großen Koalition kämpfte.

SPD-Hoffnungsträger Kevin Kühnert hat Zweifel…

Bundesvorsitzender der Jusos - Kevin Kühnert
Bei Juso-Chef Kevin Kühnert hat sich niemand von der Sammlungsbewegung gemeldetBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Er sei skeptisch, wenn Leute, die seit vielen Jahren in der Politik unterwegs seien, "auf einmal generalstabsmäßig eine Bewegung gründen wollen", sagte der 29-Jährige der "Zeit". Damit meinte er natürlich Sahra Wagenknecht und ihren Mann Oskar Lafontaine, der in den 1990er Jahren SPD-Vorsitzender war und nach seinem Wechsel zur Linken vorübergehend auch diese Partei führte. Das Ehepaar scheint aber kein Interesse an Jung-Star Kühnert zu haben. Zu ihm oder den Jusos sei nie Kontakt aufgenommen worden, "weder von Frau Wagenknecht noch von sonst jemand aus dem Kreis der Initiatoren".        

Sind es Berührungsängste? Konkurrenzdenken? Oder letztlich nur die Fortsetzung dessen, was sich im Verhältnis zwischen SPD, Linken, aber auch Grünen immer wieder beobachten lässt und was der Soziologe Dieter Rucht  so ausdrückt: "Statt miteinander für gemeinsame Ziele zu kämpfen, haben sie sich gegenseitig bekämpft." Der Protest- und Bewegungsforscher bezweifelt, dass "aufstehen" auf Dauer Bestand haben wird.

…und Protestforscher Dieter Rucht ebenfalls

Kurzfristig seien die Erfolgsaussichten gut, "weil viel darüber berichtet wird und weil die Plattform viele Unzufriedene bei sich sammeln kann". Aber langfristig werde sie untergehen oder anstreben, eine Partei zu werden. Spannend wird auch sein, wie sich Wagenknechts Projekt in zentralen Fragen von Rechtspopulisten abgrenzen will. Experte Rucht sieht eine Nähe "vor allem bei sozialen Fragen und bei der Einstellung zur Migration". In der Tat ist Wagenknecht gegen offene Grenzen für alle. Mit dieser Haltung hat sie es sich mit der Mehrheit in ihrer Partei verscherzt. Kein gutes Omen für "aufstehen".