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LiteraturDeutschland

Salman Rushdie: "Schriftsteller haben keine Armeen"

22. Oktober 2023

Salman Rushdie ist der Friedenspreisträger 2023. Bevor der indisch-britische Autor an diesem Sonntag den Preis entgegen nahm, traf ihn die DW auf der Frankfurter Buchmesse. Ein Gespräch über die Macht der Literatur.

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Friedenspreisträger Salman Rushdie bei der Frankfurter Buchmesse im im Congress Center der Messe
Salman Rushdie tritt bei der Frankfurter Buchmesse auf - nur 14 Monate nach dem brutalen Messerangriff bei einer öffentlichen LesungBild: Michael Schick/imago images

Es ist einer seiner seltenen öffentlichen Auftritte, nachdem er im August 2022 brutal angegriffen wurde und seitdem auf einem Auge blind ist. Salman Rushdie ist Autor des mit dem Booker-Preis ausgezeichneten Buches "Midnight's Children" (1981) und "Die Satanischen Verse" (1988) - des Werkes, das eine Fatwa des damaligen iranischen Ayatollahs nach sich zog. Er besucht die 75. Frankfurter Buchmesse, um auch über seinen neuesten Roman "Victory City" zu reden. Am 22. Oktober empfing er anlässlich der Buchmesse in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Schriftsteller Daniel Kehlmann sagte in seiner Laudatio, Rushdie sei "der vielleicht wichtigste Verteidiger der Freiheit von Kunst und Rede in unserer Zeit". Kehlmann erklärte: "Wie souverän Salman Rushdie mit einer Lage umging, die andere Menschen seelisch erdrückt hätte, das verschlägt einem schon den Atem."

Salman Rushdie erhält Friedenspreis

Die DW sprach auf der Buchmesse mit dem Autor über seine Genesung, sein Werk, den Einfluss der Literatur und den Krieg zwischen Israel und der Hamas.

DW: Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird nicht nur für künstlerische Leistungen verliehen, sondern auch für Völkerverständigung und in Ihrem Fall für Ihr Engagement für die Freiheit in der Welt. Welche Bedeutung hat dieser Preis für Sie?

Salman Rushdie: Er ist sehr wichtig. Ich denke, wir alle, die wir uns in der Welt der Bücher bewegen, kennen diesen Preis. Und eine bemerkenswerte Gruppe von Menschen hat ihn bereits bekommen. Ich bin also sehr erfreut, dass mein Name jetzt auch dazugehört.

Wie geht es Ihnen heute, nur 14 Monate nachdem Sie angegriffen und schwer verletzt wurden?

Salman Rushdie: Wie Sie sehen, fühle ich mich gut erholt. Klar, ich bin ein bisschen angeschlagen, aber es geht mir gut.

In einem Interview mit "The New Yorker" im Februar sagten Sie, dass Sie seit dem Anschlag unter einer Schreibblockade gelitten hätten. Doch vor wenigen Tagen hat Ihr Verleger angekündigt, dass Sie im nächsten Frühjahr ein neues Buch ("Knife") veröffentlichen werden, in dem Sie sich mit dem Anschlag und seinen Folgen für Sie auseinandersetzen. Wie haben Sie zum Schreiben zurückgefunden?

Es kam einfach zurück. Ich glaube, schon bald nach dem Gespräch mit "The New Yorker" und dem Interview habe ich gemerkt, dass es wieder zu fließen begann. Ich bin also froh, dass ich dieses Buch schreiben konnte, das im Frühjahr erscheinen wird.

Gab es etwas, das Ihnen geholfen hat?

Wissen Sie, das ist einfach Übung. Ich mache diesen Job schon sehr lange. Letztendlich ist es das, was einen wieder an die Arbeit bringt.

Lassen Sie uns über Ihr aktuelles Buch "Victory City" sprechen, das dieses Jahr erschienen ist. Es ist eine fiktive Erzählung über den Aufstieg und Fall der mittelalterlichen Stadt Bisnaga in Südindien, in der Männer und Frauen verschiedener Glaubensrichtungen gleichberechtigt sein sollten. Aber das Reich geht am Ende unter, weil es alle seine Ideale aufgibt. Ist das ein Kommentar zur heutigen Welt?

Nun, ich meine, wenn man über Geschichte schreibt, dann schreibt man bis zu einem gewissen Grad auch über die Gegenwart. Denn wenn wir in die Vergangenheit blicken, sehen wir, was uns interessiert: unsere eigenen Sorgen, die sich in früheren Zeiten widerspiegeln.

Aber eigentlich wollte ich eine eigene Welt schaffen. Es gibt viele Schriftsteller, die das auch getan haben, sei es William Faulkner mit seinem Yoknapatawpha, [Gabriel] García Márquez mit Macondo oder der indische Schriftsteller R. K. Narayan mit Malgudi. Ich wollte eine eigene kleine Welt - und diese Saga wurde zu dieser Welt.

Einige Kritiker haben gesagt, das Buch sei ein feministischer Roman. War das Ihre Absicht?

Nun, eines der Dinge, die mich bei den Recherchen für das Buch interessierten, war, dass es wirklich stimmt, dass in dieser sehr weit zurückliegenden Zeit - wir sprechen hier vom 14. und 15. Jahrhundert - die Stellung der Frau in der Gesellschaft in vielerlei Hinsicht sehr fortgeschritten war: Es wurde viel Wert auf die Bildung von Mädchen gelegt, und es gab fast so viele Schulen für Mädchen wie für Jungen. Frauen arbeiteten in allen Bereichen des Lebens: in der Armee, in juristischen Berufen, als Händlerinnen und so weiter.

Das ist wirklich so gewesen. Aber natürlich ist es in der Geschichte so, dass nichts dauerhaft bleibt und die ganze Zeit über zutreffend wäre: Das Leben meiner Figur Pampa Kampana, die in gewisser Weise die Geschichte erzählt, die ich nacherzähle, geht auf und ab. Es gibt Momente, da ist sie eine Königin - und es gibt Momente, da wird sie in den Dschungel verbannt.

Ich glaube, das trifft auch auf die Werte der Gesellschaft zu. Es gibt Momente, in denen sie liberal, tolerant und offen ist - und andere Momente, in denen sie engstirnig und intolerant wird. Ich denke, so ist das menschliche Leben.

Die Fatwa, die Ihnen vor über 34 Jahren auferlegt wurde, hätte Sie bei dem Anschlag im vergangenen Jahr fast das Leben gekostet. Warum haben Autokraten, Diktaturen und Mächtige solche Angst vor literarischen Geschichten?

Es war schon immer so, dass Diktatoren in vielen Teilen der Welt die Dichter fürchteten. Und das ist sehr seltsam, weil Schriftsteller keine Armeen haben.

Anhänger der religiösen Partei Jamiat Talba-e-Arabia mit einem Plakat, auf dem zu lesen ist: "Protest against the biggest evil (...) world satan Salman Rushdi on (...)! From Jamiat Jalaba Arabia Multan."
In Pakistan gab es 2007 als Reaktion auf den Ritterschlag Rushdies durch die englische Königin Proteste gegen ihnBild: Mk Chaudhry/epa/dpa/picture alliance

Was ist Ihre Erklärung?

Ich glaube, sie fürchten sich vor alternativen Versionen der Welt. Eines der Merkmale autoritärer Herrschaft ist ja, dass sie uns ihre Version der Welt aufzwingt - unter Ausschluss aller anderen. Aber natürlich haben alle Schriftsteller ihre eigene Version der Welt. Und manchmal sind die Machthaber damit nicht einverstanden - und so versuchen sie, sie zum Schweigen zu bringen.

Was kann die Literatur angesichts des aktuellen Krieges zwischen der Hamas und Israel tun, um zu helfen?

Sehr wenig. Wissen Sie, ich versuche immer, die Macht der Literatur nicht überzubewerten. Was Schriftsteller tun können - und was sie auch tun - ist der Versuch, den unglaublichen Schmerz, den viele Menschen im Moment empfinden, zu artikulieren und die Welt darauf aufmerksam zu machen. Ich glaube, das tun Schriftsteller überall, und das ist wahrscheinlich das Beste, was wir tun können: eine Ausdrucksform für das Wesen des Problems zu finden.

Wollen Sie damit sagen, dass Worte in dieser Situation ihre Macht verlieren?

Ich denke nur, dass es Dinge gibt, die Worte nicht tun können. Und was sie nicht tun können, ist Kriege zu beenden.

Eines der ersten Opfer eines Krieges ist in der Regel die Wahrheit. Denn die Menschen fangen an, ihre eigene Propagandaversion der Ereignisse zu präsentieren. Und das ist sehr schwierig, wenn man in einem Kriegsgebiet nicht zwischen Fakten und Fiktion unterscheiden kann.

Ich denke, das Problem, mit dem sich Reporter und Journalisten jetzt auseinandersetzen müssen, ist, wie man die Fakten feststellt. Und wenn der Journalismus das leisten kann, dann leistet er einen sehr wertvollen Dienst.

Das Interview führte Stefan Dege.

Adaption aus dem Englischen: Nikolas Fischer