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Sanktionen statt Kooperationen

Mathias Bölinger17. März 2015

Die russische Annexion der Krim hat Berlin kalt erwischt. Ein Jahr später zeichnet sich ab, dass die außenpolitische Rolle Deutschlands größer geworden ist - und sich die Beziehungen zu Moskau stark verändert haben.

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Angela Merkel und François Hollande bei den Friedensverhandlungen in Minsk (Bild: Reuters)
Bei den Verhandlungen in Minsk im Februar 2015Bild: Reuters

Man muss sehr weit in der Geschichte zurückgehen, um einen Moment zu finden, in dem es im politischen Klima zwischen Moskau und dem Westen ähnlich dramatische Temperaturstürze gab wie im März 2014. Die Annexion der Krim vor einem Jahr hat die Politiker in Berlin, Paris, Rom oder Washington kalt erwischt.

Innerhalb von knapp drei Wochen besetzte und annektierte Russland die ukrainische Halbinsel, und die Außenpolitiker in den westlichen Hauptstädten mussten sich einer Situation stellen, die vermutlich in keinem der zahlreichen Strategiepapiere von Ministerialabteilungen und Thinktanks jemals vorgekommen war. Russland hatte Gewalt gegen einen Nachbarn eingesetzt, grundlegende internationale Verträge und Konventionen verletzt und schien in der Lage, den weiteren Verlauf des Konflikts nahezu im Alleingang bestimmen zu können.

Schlüsselrolle für Deutschland

Deutschland kam in diesem Konflikt schnell eine Schlüsselrolle zu. Die traditionelle Partnerschaft mit Russland brachte Berlin in die Rolle als Vermittler. Der Status als bevölkerungsreichster EU-Staat machte es zu der Hauptstadt, die die unterschiedlichen Interessen in Europa bündeln musste - von Polen, das aus seiner Geschichte ein tiefes Misstrauen gegen Moskau mitbringt, bis nach Ungarn, dessen rechtskonservative Regierung gelegentlich mit dem antiliberalen Staatsverständnis von Russlands Präsidenten Wladimir Putin flirtet. Die Bundesregierung definierte schnell drei Punkte als Eckpfeiler ihrer Politik: Ausschluss von Gewalt, Diplomatie sowie wirtschaftlicher Druck. Und sie konnte die Unterstützung der europäischen Partner für diese Strategie gewinnen.

Gleichzeitig achtete Berlin darauf, Vermittlungsinitiativen stets gemeinsam mit dem traditionellen Partner Frankreich zu unternehmen und die anderen europäischen Staaten einzubinden. "Wir haben Putin überrascht", sagt der christdemokratische Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. "Er hätte nicht gedacht, dass der Westen so lange zusammenhält."

Russischer Präsident Wladimir Putin, Bundeskanzlerin Angela Merkel und ukrainischer Präsident Petro Poroschenko an einem Tisch (Foto: Reuters/K. Kudryavtsev)
Die Seiten sind klar verteilt - Putin auf der einen, Merkel und Poroschenko auf der anderenBild: Reuters/K. Kudryavtsev

Bis zur Ukraine-Krise hatte Deutschland die Beziehungen zu Putins Russland vor allem unter der Maßgabe diskutiert, wie viel Kritik an Menschenrechten sich Deutschland leisten kann, ohne die guten wirtschaftlichen Beziehungen zu gefährden - oder umgekehrt formuliert, wie eng kann die wirtschaftliche Zusammenarbeit sein, ohne dass Europa die eigenen Werte diskreditiert. Nun ging es plötzlich nicht mehr in erster Linie um Werte und Wirtschaft. "Unsere Außenpolitik war immer auf Kooperation ausgerichtet", sagt Franz Thönnes, Leiter des Gesprächkreises Russland/GUS in der SPD. "Plötzlich rückte die Frage der Sicherheit auf der Tagesordnung stärker nach oben."

Gerade die Sozialdemokraten mussten sich vor den Kopf gestoßen fühlen. Galt doch besonders unter SPD-Außenpolitikern die Devise "Wandel durch Annäherung", die aus der Zeit der Ost-Politik Willy Brandts in den 70er Jahren stammte, als die wichtigste Zutat einer erfolgreichen Außenpolitik. Konservative Politiker sprachen dagegen häufiger von einer "werteorientierten Außenpolitik", die zu undemokratischen Staaten eine kritische Distanz wahren sollte - eine Formel, die sie allerdings mindestens genauso stark gegen die Vertreter der Wirtschaftsverbände in den eigenen Reihen wie gegen die politischen Gegner verteidigen mussten.

Männer mit Russland-Fahnen an der Bucht von Sewastopol (Foto: picture alliance/dpa)
Seit einem Jahr ist die Krim ein Teil Russlands - der Westen erkennt die Annexion nicht anBild: picture-alliance/dpa

Gestiegene Bedeutung Berlins

Doch wer erwartet hat, dass die russische Aggression in der Ukraine diese Positionen nun frontal aufeinandertreffen lässt, hat sich getäuscht. Allenfalls in Nuancen unterschieden sich die Ansichten des sozialdemokratischen Außenministers Frank-Walter Steinmeier und der christdemokratischen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Grundsätzlich plädierten beide schnell für eine Doppelstrategie aus Verhandlungen und wirtschaftlichen Sanktionen. Auch die Grünen schlossen sich dem an.

Schrillere Töne waren dagegen zunächst aus der Linkspartei zu hören. Deren linker Flügel nannte den Sturz der Janukowitsch-Regierung in Kiew einen "faschistischen Putsch", der vom Westen geduldet oder gar initiiert worden sei, und beschimpfte die Bundesregierung wegen ihrer Sanktionspolitik als "Wirtschaftskrieger". Die Linke lehnt als einzige Partei im Bundestag die Sanktionen gegen Russland nach wie vor ab. Für die Diplomatie der Bundesregierung etwa beim Aushandeln des Waffenstillstandabkommens von Minsk im Februar kommt aber auch von Linken durchaus Lob. "Ich bin der Kanzlerin und dem Außenminister für die Ergebnisse von Minsk dankbar", sagt der Außenpolitiker Stefan Liebich, der zum gemäßigten Flügel der Partei gehört.

Die außenpolitische Bedeutung Deutschlands ist in der Krise wohl größer geworden. Dabei kann aber auch Lob für Berlins Krisenmanagement nicht darüber hinwegtäuschen, dass man von einer langfristigen Strategie gegenüber Russland noch meilenweit entfernt ist. "Wir wissen im Grunde immer noch nicht, was Moskau eigentlich genau will", sagt der sozialdemokratische Außenpolitiker Thönnes. Und für den Christdemokraten Kiesewetter steht nur eins fest: "Putin wird nicht wieder an die europäische Ordnung anknüpfen."