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PolitikNahost

Saudi-Arabien und die Taliban: Kühle Distanz

Cathrin Schaer
1. September 2021

Über Jahre förderte Saudi-Arabien die afghanischen Taliban. Doch nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ging das Königreich auf Distanz. Dabei dürfte es wohl bleiben, Riad hat inzwischen andere Prioritäten.

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Afghanistan Taliban
Taliban-Mitglieder an einem Checkpoint in Kabul, August 2021Bild: Khwaja Tawfiq Sediqi/AP Photo/picture alliance

Heute scheint die Entscheidung fast wie aus einer anderen Zeit: Als die Taliban zwischen 1996 und 2001 Afghanistan regierten, gehörte Saudi-Arabien neben Pakistan und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) zu jenen weltweit drei Ländern, die die Regierung der islamistischen Gruppe offiziell anerkannten.

Bereits seit Jahren hatte Saudi-Arabien damals intensive Beziehungen zu den Taliban gepflegt. Petrodollars von der Arabischen Halbinsel finanzierten etwa religiöse Schulen - so genannte Madrassen - in Pakistan, aus denen sich zahllose Anhänger der Taliban-Bewegung sowohl in Pakistan wie in Afghanistan rekrutierten. Zwar unterscheidet sich die in den Madrassen gelehrte Deutung des sunnitischen Islam - die sogenannte Deobandi-Schule - in Teilen von den Doktrinen der saudischen Staatsreligion, dem Wahhabismus. Gemeinsam ist beiden aber die ultrakonservative Auslegungen der islamischen Schriften.

In den 1980er Jahren - die Truppen der Sowjetunion waren gerade in Afghanistan einmarschiert - unterstützte Saudi-Arabien im Kampf gegen die UdSSR religiös motivierte afghanische Kämpfer, die so genannten Mudschaheddin. Dabei arbeitete das Königreich Hand in Hand mit den Vereinigten Staaten und Pakistan. Das Bündnis machte in den Augen aller Beteiligten Sinn: Während die Amerikaner erklärten, sie wollten in Afghanistan den Kommunismus bekämpfen, verkündeten die Saudis, sie verteidigten den Islam. Schätzungen zufolge investierten beide Länder jeweils rund vier Milliarden Dollar in die Gotteskämpfer.

Pakistan Große Faisal-Moschee in Islamabad
Glaubensexport: die Faisal-Moschee in Islambad, finanziert von Saudi-Arabien. Eine Zeitlang bestanden Pläne, einen vergleichbaren Bau auch in Afghanistan zu errichtenBild: Anjum Naveed/AP Photo/picture alliance

Nach dem Abzug der Sowjets und während des darauf folgenden Bürgerkriegs in den 1990er Jahren wurde Saudi-Arabien vor allem in finanzieller Hinsicht zu einem der wichtigsten Verbündeten der aus den Mudschaheddin hervorgegangenen Taliban. Die Vereinten Nationen verdächtigten das Königreich zudem, unter Umgehung eines internationalen Waffenembargos Waffen an die Taliban zu liefern.

Wendepunkt 11. September

Doch diese Zuwendungen endeten abrupt, nämlich am 11. September 2001. An jenem Tag attackierten Kämpfer der Terrororganisation Al-Kaida mehrere Ziele in den USA. Über 3000 Menschen kamen durch die Selbstmordattentate ums Leben. Der Druck aus den USA veranlasste die Staatsführung in Riad, ihre Verbindungen zu den Taliban zu kappen, da diese der Al-Kaida-Führung Unterschlupf gewährten. 

Unterhalb der Regierungsebene allerdings bestanden die Verbindungen zwischen staatlichen, religiösen und privaten Akteuren weiter. "Es wird vermutet, dass (saudische) Geldbeschaffer für die Taliban ... in großem Umfang Netzwerke nutzen und auf alte Mechanismen zurückgreifen, die aus der Zeit der saudischen Zusammenarbeit mit Mudschaheddin und Taliban-Funktionären stammen", heißt es in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) aus dem Jahr 2013.

Afghanistan | Mujahedin Kämpfer in den frühen 80er Jahren
Finanziert vor allem von Saudi-Arabien und den USA: afghanische Mudschaheddin - hier eine Aufnahme aus den frühen 1980er JahrenBild: AFP/Getty Images

Distanziertes Verhältnis

Heute pflegt Saudi-Arabien zu seinen ehemaligen Partnern ein distanziertes Verhältnis. Selbst die ehemalige Vermittlerrolle zwischen den Taliban und der abgesetzten afghanischen Regierung haben sie aufgegeben. Diese Rolle hat inzwischen überwiegend das Emirat Katar übernommen.

Nachdem die Taliban Mitte August die Kontrolle über die afghanische Hauptstadt Kabul übernahmen, veröffentlichte das saudische Außenministerium eine vorsichtige Stellungnahme: "Das Königreich steht zu den Entscheidungen, die das afghanische Volk ohne Einmischung trifft", heißt es darin. Saudi-Arabien, deutet dieser Satz an, wird sich anders als früher wohl nicht mehr in die innerafghanische Politik einmischen. Das heißt aber auch: Das Königreich dürfte künftig auch wenig gewillt sein, im Sinne westlicher Partnerländer auf die Taliban einzuwirken.

Tatsächlich spricht wenig dafür, dass der ehemalige Einfluss Saudi-Arabiens auf die Taliban in naher Zukunft wieder aufleben wird. Dagegen spricht etwa die weiterhin gewichtige Allianz zwischen Saudi-Arabien und den USA, die nach ihrem Rückzug aus Afghanistan zu den Taliban ein nur sehr distanziertes Verhältnis pflegen dürften.

Impulse für eine politische zurückhaltende Beziehung zu den Taliban finden sich jedoch auch in Saudi-Arabien selbst: So treibt Kronprinz Mohammed bin Salman die Modernisierung des Königreichs voran. Seine Idee eines zumindest vordergründig liberaleren und offeneren Saudi-Arabiens verträgt sich nicht mit dem Ansinnen, islamistische Extremisten in anderen Ländern zu unterstützen.

Flugzeugentführungen- Pentagon, Washington DC 9/11/2011
Der Tag, der alles änderte: 11. September 2001, hier ein Blick auf das attackierte PentagonBild: imago/StockTrek Images

Die Afghanistan-Krise sei für Saudi-Arabien vor allem eine innenpolitische Herausforderung, schreibt der Polit-Analyst Kabir Taneja von der in Indien ansässigen Denkfabrik Observer Research Foundation in einer kürzlich erschienenen Studie. "Um sein Image als aufstrebendes Mekka für Investitionen aufrechtzuerhalten, muss Riad sicherstellen, dass es nicht wieder zur Heimat von Kämpfern wird, die in Afghanistan ein- und ausfliegen." Auch könne das Land es sich nicht leisten, ein weiteres Mal eine "Drehscheibe zur Finanzierung extremistischer Aktivitäten" zu werden.

Regionale Rivalitäten

Näher als Saudi-Arabien steht den Taliban heute ein anderer Staat: der Iran. Ungeachtet der religiösen Differenzen - der Iran betrachtet sich als schiitischer Staat, während die Taliban eine sunnitische Bewegung sind - stehen beide Akteure längst im Austausch miteinander. Bereits im vergangenen Jahr wies der Politikwissenschaftler Vinay Kaura von der Denkfabrik The Middle East Institute in Washington auf taktische Absprachen zwischen Teheran und den Taliban hin . "Diese Entwicklung steht in scharfem Kontrast zur Ära des früheren Taliban-Regimes, das von Saudi-Arabien, dem Erzrivalen des Iran, unterstützt wurde."

Die Führung in Riad dürfte die Entwicklung Afghanistans auch mit Blick auf die saudisch-iranische Rivalität verfolgen, sagt der Politologe Kristian Coates Ulrichsen von der Rice University in Texas im DW-Interview. "Iranische und saudische Beamte dürften während der kommenden Tage und Wochen die Handlungen der jeweils anderen Seite genau beobachten."

Saudi-Arabien Fahrverbot für Frauen erhoben
Freie Fahrt in Richtung Zukunft: Im Zuge der Modernisierungspolitik dürfen nun auch die Bürgerinnen des saudischen Königreichs Auto fahrenBild: The Yomiuri Shimbun/AP Images/picture alliance

Informelle Kontakte

Zwar könnte es durch die in Saudi-Arabien ansässigen Geistlichen sowie durch religiöse Netzwerke weiterhin informelle Kontakte zwischen Saudi-Arabien und Afghanistan geben, sagt Ulrichsen. "Aber es ist unwahrscheinlich, dass es zu jener offiziellen Hilfe oder Anerkennung nach Art der Vergangenheit kommen wird."

"Es wäre ein erhebliches Reputationsrisiko für die Saudis, wenn sie versuchen sollten, Afghanistan finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen, die nicht völlig transparent und mit internationalen und multilateralen Partnern abgestimmt ist", begründet Coates Ulrichsen seine Annahme.

In anderthalb Wochen jährt sich der Jahrestag der Anschläge vom 11. September zum zwanzigsten Mal. "Die Saudis dürften sich auch rund um dieses Datum zurückhaltend zeigen", vermutet US-Experte Ulrichsen. 

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.