Saudischer Extremismus-Export
7. Juli 2017DW: Nach den blutigen Terror-AnschIägen in Großbritannien betreibt man dort vermehrt Ursachenforschung zum Thema Radikalisierung. Der britische Think Tank Henry Jackson Society hat einen Bericht zur ausländischen Finanzierung von extremistischen Spielarten des Islam in Großbritannien veröffentlicht. Darin wird ausdrücklich Saudi-Arabien als wichtigster Unterstützer genannt. In den letzten 50 Jahren soll Riad den Wahhabismus-Export mit mindestens 76 Milliarden Euro betrieben haben - wobei der Wahhabismus die ideologische Grundlage für extremistische und dschihadistische Bewegungen in aller Welt bildet. Überrascht Sie dieser Befund?
Susanne Schröter: Der Befund überrascht mich überhaupt nicht. Es ist seit langem bekannt, dass Saudi-Arabien seine wahhabitische Ideologie exportiert - die der Ideologie des sogenannten "Islamischen Staats" weitgehend gleicht. Da wird aber nicht nur Geld verschickt, sondern auch Propagandamaterial und organisatorisches Know-how. Es werden Leute beauftragt, Moscheen, Bildungseinrichtungen, Kulturzentren und Ähnliches zu bauen, in denen dann diese wahhabitische Theologie an den Mann und an die Frau gebracht werden soll - und das mit ganz großem Erfolg.
Wo macht sich dieser von Petrodollars befeuerte Extremismus denn am stärksten bemerkbar?
Der Wahhabismus-Export nahm vor allem nach der islamischen Revolution im Iran Fahrt auf. Diese Revolution hatte die Saudis schwer erschüttert. Und als der Iran anfing, seine schiitische Ideologie zu exportieren, fühlten die sich bedroht. Parallel haben im gleichen Jahr Hardliner die große Moschee von Mekka besetzt. Die Saudis sind dann in die Offensive gegangen und haben gesagt: Jetzt exportieren wir unsere Ideologie. Wir zeigen den Hardlinern im eigenen Land, dass wir da was können. Dann fing man an, über Verbindungsleute und Organisationen wie zum Beispiel die World Muslim League in unterschiedlichen Ländern in Asien, in Afrika und auch in Teilen Europas den Wahhabismus zu fördern. In Europa vor allem im ehemaligen Jugoslawien, wo diese Bürgerkriege zwischen Muslimen und Christen stattfanden. Man hat gesehen: Da gibt es ein Einfallstor, da wird Geld benötigt, da ist die muslimische Bevölkerung offen für eine neue, radikale Ideologie.
Das Ergebnis ist, dass in vielen Teilen der Welt eine radikale Form des Islam immer mehr die Oberhand gewinnt. Ich habe das hautnah in Südostasien erlebt: Südthailand, Philippinen, Indonesien, zum Teil auch Malaysia, wo man immer gesagt hat: Das ist so ein spezieller Islam, der ist viel offener, viel toleranter. Da hat sich in den letzten drei Jahrzehnten eine dramatische Entwicklung in Richtung Radikalität abgezeichnet. Es ist völlig klar nachvollziehbar, dass diese Entwicklung mit saudischem Geld vonstatten ging. Aber auch dadurch, dass man junge Intellektuelle abgeworben hat mit großzügigen Stipendien, um an saudischen Universitäten zu studieren. Und diese Rückkehrer von den saudischen Universitäten haben in all diesen Ländern plötzlich Missionsarbeit im Sinne des Wahhabismus gemacht.
Auch Pierre Vogel, der vielleicht bekannteste deutsche Salafistenprediger, hat mit einem saudischen Stipendium in Mekka studiert. Auch sonst soll Saudi-Arabien einen radikalisierenden Einfluss auf Muslime in Deutschland haben: Das behaupteten jedenfalls deutsche Medien im Dezember 2016 unter Berufung auf Geheimdienstquellen. Da hieß es: Religiöse Stiftungen aus den Golfstaaten und speziell aus Saudi-Arabien würden mit Billigung ihrer Regierungen die hiesige Salafistenszene unterstützen. Inwieweit deckt sich das mit den Ergebnissen Ihrer Forschungen?
Das deckt sich absolut. Teilweise waren staatliche saudische Einrichtungen massiv involviert. Es gab mal einen saudischen Attaché in Berlin, Mohammed Fakihi. Der hatte nachweislich Verbindungen zu der Hamburger Terrorzelle, die 2001 den Anschlag auf das World Trade Center in New York durchgeführt hat. Fakihi hatte im Übrigen auch gute Verbindungen zur Berliner Al-Nur-Moschee. Die sorgt immer wieder als Salafistentreffpunkt für Aufsehen. Dieser Attaché ist mittlerweile nicht mehr da. Aber damals fiel das zum ersten Mal so richtig auf.
Wir sehen, dass saudische Stiftungen überall operieren - so ein bisschen im Untergrund, zum Teil über Mittelsleute. Mittelsleute wie zum Beispiel Nadeem Elias. Der war bis 2006 Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Das ist einer der wichtigen großen muslimischen Verbände, die immer wieder auch in unheilvoller Verbindung mit saudischen Stiftungen stehen, auch mit der Muslim World League oder dem World Assembly of Muslim Youth. Da ist ein anderer hoher Funktionär im Zentralrat der Muslime: Ibrahim El-Zayat. Zayat war von 2002 bis 2010 Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Deutschlands. Das ist alles unter der Oberfläche. Und wenn man die Leute fragt, dann versuchen die einem immer wieder zu entwischen. Aber es ist klar: Auch in Deutschland gibt es Organisationen und Einzelpersonen, die diesen Auftrag der Wahhabisierung der deutschen Muslime ernst nehmen.
Wenn jetzt laut dem neuen Verfassungsschutzbericht die salafistische Szene in Deutschland mittlerweile auf über 10.000 Menschen angewachsen ist, hat das neben saudischer Unterstützung aber sicher noch andere Gründe, oder?
Selbstverständlich. Erstens sind es nicht nur die Saudis, die finanzieren. Jetzt ist auch Katar ins Gerede gekommen. Und das stimmt ja: Auch die Kataris finanzieren, auch Kuweit finanziert. Es gibt auch noch andere Player vom Golf, die radikale Tendenzen hier in Deutschland unterstützen - auch der Iran. Der Iran hat ein Institut in Berlin aufgebaut, wo er missionarisch tätig wird. Ich vermute, wenn man da mal nachschaut, wo Gelder hinfließen, wird man staunen. Deutschland ist generell ein Tätigkeitsfeld für ausländische extremistische Organisationen.
Österreich hat im Februar 2015 in einem drastischen Schritt sein über 100 Jahre altes "Islamgesetz" geändert und die Finanzierung muslimischer Vereine und Moscheen aus dem Ausland verboten. Welche Erfahrungen hat Österreich damit in den letzten beiden Jahren gemacht?
Der Erfolg, den man tatsächlich feststellen kann: Es ist nicht mehr so einfach, Gelder zu transferieren. Aber da muss man sich nichts vormachen: Über Stiftungen, über Mittelsmänner, über Tarnorganisationen wird nach wie vor ausländisches Geld in islamische Einrichtungen fließen. Es ist sehr schwer, so etwas aufzudecken, so etwas zu verhindern. Denn die Organisationen ändern immer wieder ihren Namen; sie lösen sich auf und erscheinen dann neu. Man muss wirklich genau schauen: Welche Akteure haben welche Verbindungen über welche Organisationen, die wieder mit Organisationen in ihren Mutterländern zusammenhängen? Da wird man auch fündig. Aber es erschließt sich der Öffentlichkeit nicht auf den ersten Blick.
Prof. Dr. Susanne Schröter ist Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI), Direktorin des Instituts für Ethnologie, Principal Investigator im Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen", Direktorin im Cornelia Goethe Centrum für Geschlechterforschung und Vorstandsmitglied des Deutschen Orient-Instituts.
Die Fragen stellte Matthias von Hein.