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SportGlobal

Russlands Dominanz im internationalen Schach

Anja Röbekamp
2. März 2023

Um den Sanktionen nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs zu entgehen, wechselt Russlands Schachverband von der Europäischen Schachunion zum asiatischen Verband. Russlands Dominanz in der internationalen Schachwelt ist groß.

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Schachfiguren auf Schachbrett
Wie geht es im internationalen Schach weiter? Behält Russland seine dominante Rolle?Bild: Photology2000/Shotshop(picture alliance

"Es ist ein Skandal, dass sie versuchen, nach Asien zu flüchten, um die Sanktionen zu umgehen, die die Europäische Schachunion zu Recht gegen den Russischen Schachverband verhängt hat", sagt Malcolm Pein, als er Ende Februar als Diskutant an einer Podiumsdiskussion teilnimmt, zu der der Berliner Schachverband eingeladen hat. Mit "sie" meint der Internationale Meister und FIDE-Delegierte des englischen Schachverbands den russischen Schachverband RCF, der die Europäische Schachunion ECU verlässt, um zum asiatischen Schachverband ACF zu wechseln. Zum 1. Mai 2023 soll der Wechsel erfolgen. Der Schritt sei allerdings logisch, meint Pein, schließlich suche Russlands Präsident Wladimir Putin im Osten nach Unterstützung. 

Seit dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine sind gegen russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler Sanktionen verhängt worden. Mit der "Flucht" unter das Dach des asiatischen Verbands dürften die bislang Gesperrten an Turnieren, die von der ACF veranstaltet werden, wieder teilnehmen. Die europäische Schachwelt ist düpiert, doch nicht nur dieser neueste russische Winkelzug wird auf dem internationalen Podium in Berlin diskutiert. Pein verweist darauf, dass das Schachspiel schon immer auch die Geopolitik widergespiegelt habe. Der Schach-Weltverband FIDE sei zu einer Organisation geworden, in der kaum eine Kommission wirklich Einfluss nehmen könne. Sie würde jetzt von einer sehr kleinen Anzahl von Leuten geführt - und die seien nicht unbedingt neutral.

Peter Heine Nielsen
Der Däne Peter Heine Nielsen wollte FIDE-Vizepräsident werden, um Dinge im Verband zu verändernBild: Claus Bech/Ritzau Scanpix/IMAGO

Peter Heine Nielsen sieht das auch so. Der Großmeister und Trainer des Schachweltmeisters Magnus Carlsen, hat im vergangenen Jahr als Vizepräsident der FIDE kandidiert. Nicht weil er unbedingt in dieses Amt wollte, sondern weil er dachte, es muss etwas anders werden: "Das ist kein Job, den ich besonders gerne hätte", sagt Nielsen. "Ich mache viel lieber das, was ich jetzt tue. Aber ich denke, es zeigt, wie falsch die Schachwelt im Moment meiner Meinung nach ist." Nielsen war aber klar, dass seine Chancen gering waren.

Wer Geld hat, nimmt Einfluss

Malcolm Pein verweist auf die Kosten, die eine erfolgversprechende Bewerbung benötigte: Rund zwei Millionen Euro müsse man dafür einplanen. Für die russischen Funktionäre sind solche Summen kein Problem: Es gibt genügend Sponsoren, die keine Kosten scheuen. Zur Not springt auch der russische Staat selbst ein.

Malcolm Pein erlebte das 2018 bei seiner eigenen Bewerbung um ein FIDE-Amt. Er wollte unter dem Griechen Georgios Makropoulos FIDE-Vizepräsident werden. In einer russischen Nachrichtenagentur hieß es damals‚ dass man mit großen Geschützen dagegen halten solle. Mit Arkady Dvorkovich, einem langjährigem Berater des russischen Präsidenten, sei genau das umgesetzt worden. "Er hatte ein Privatflugzeug zur Verfügung und einen riesigen Stab", erinnert sich Pein an Dvorkovichs Auftritt bei der Schach-Olympiade in Batumi in Georgien, in deren Rahmen die Präsidentenwahl stattfand. Der Russe gab in der Nacht vor der Wahl in einem Nachtclub eine Party für die Delegierten. "Niemand, der in Batumi war, wird diese berühmte Party vergessen", sagt Pein. "Ich durfte nicht rein, aber ich hörte, es gab 'Meerjungfrauen' am Pool." 

Malcolm Pein spielt in einer Bahnhofshalle mit riesigen Schachfiguren gegen ein Kind Schach
Der britische Schach-Funktionär sieht den Einfluss Russland im internationalen Schach mit SorgeBild: David Parry/empics/picture alliance

Im Kampf um die FIDE-Präsidentschaft setzte sich Dvorkovich am nächsten Tag gegen Makropoulos durch und wurde im vergangenen Jahr in seinem Amt als FIDE-Präsident bestätigt. Unter seiner Führung hat sich die FIDE zwar offiziell dem Druck aus Europa gefügt und sich seit Beginn des Krieges in der Ukraine von einigen wichtigen russischen Geldgebern getrennt. Einfluss nimmt Russland aber weiterhin auf die internationale Schachorganisation, wie zum Beispiel der Umgang der FIDE mit dem Iran nahelegt.

Schulterschluss Russlands mit dem Iran

Immer wieder verweigern iranische Sportlerinnen und Sportler den Wettkampf mit israelischen Athletinnen und Athleten. Längst hätte die FIDE einschreiten und den iranischen Schachverband sanktionieren müssen, aber der Weltverband handelt nicht. Der Iran ist ein wichtiger Verbündeter Russlands, nicht nur als Drohnenlieferant im Krieg gegen die Ukraine. Shohreh Bayat, FIDE-Meisterin und internationale Schiedsrichterin, kommt aus dem Iran. Nach einem Streit um ihren Hijab bei der Schach-Weltmeisterschaft der Frauen 2020 muss sie in ihrer Heimat um ihre Sicherheit und Freiheit fürchten. Sie lebt daher seit zwei Jahren in England, hat dort Asyl beantragt und arbeitet für den dortigen Schachverband.

Ein T-Shirt mit der Aufschrift "Women Life Freedom", das sie Anfang 2023 bei einem Einsatz als Schiedsrichterin trug, brachte sie nun auch in Konflikt mit der FIDE: Arkady Dvorkovich selbst forderte sie auf, das T-Shirt nicht zu tragen. Bayat trug daraufhin ein T-Shirt in den Nationalfarben der Ukraine. Danach wurde sie aus der Internationalen Schiedsrichter-Kommission der FIDE [FIDE Arbiters' Commission, Anm.d.Red.] ausgeschlossen. Gegen Vorschriften hat sie allerdings nicht verstoßen - schließlich gibt es für Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter im Schach keine Kleidungsvorschriften. "2022 hat mir die FIDE den Preis für die beste weibliche Schiedsrichterin Europas verliehen", sagt Bayat. "Es ist also eine ziemliche Ironie, dass sie mich als Mitglied der Schiedsrichter-Kommission abgesetzt haben."

Dvorkovich sagte zwar gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Bayat könne eingesetzt werden - aber sie wird es nicht. Ihr wurde angeboten, im Iran in der Frauen-Kommission des Schachverbands zu arbeiten, unter den Beamten, die sie dort bedrohen. Für Bayat ist das aber undenkbar. Sie erhebt ihre Stimme bewusst für die Menschenrechte, und sie sieht die Angebote der FIDE skeptisch: "Ich bin mir nicht sicher, ob ich wieder für die FIDE arbeiten würde, weil ich erst sicherstellen muss, dass es sich um eine anständige Organisation handelt", sagt sie.

Wie geht es weiter im internationalen Schach?

Es gibt einiges zu kritisieren im internationalen Schach - aber nur wenige Stimmen sind zu hören. Warum? "Es kommt auf die Qualität der Schachfunktionäre in jedem einzelnen Land an und darauf, welche Prioritäten sie setzen", vermutet Malcolm Pein. Er verweist darauf, dass in vielen Verbänden die meisten Mitarbeitenden ehrenamtlich tätig sind. "Wenn jemand einen Job macht und nicht bezahlt wird, ist es viel schwieriger, irgendeine Art von Kontrolle oder Kritik auszuüben", sagt er. 

Präsident des Weltschachverbandes Arkady Dvorkovich
Seit 2018 ist er Präsident der FIDE: Arkady DvorkovichBild: Ilya Pitalev/ITAR-TASS/imago images

Wer auch immer nach Arkady Dvorkovich der FIDE vorsitzen wird, es wird auch dann um Posten, Bezüge und sonstige Zuwendungen gehen, die auch in Europa ihre dankbaren Abnehmer finden: Denn alle sind mittlerweile daran gewöhnt. Malcolm Pein macht sich keine Illusionen: "Und all dies kann als - nennen wir es Anreize - verwendet werden, für eine bestimmte Person zu stimmen", sagt er. "Und das ist Politik."

Sport und Politik sind kaum zu trennen

Pein fordert aber eine klare Abgrenzung zwischen Sport und Politik. Und es müsse auch klar sein, wo diese Grenze liegt. Es brauche eine breite internationale Unterstützung, um die Verhältnisse im internationalen Schach irgendwann zu verbessern und den Einfluss Russlands zurückzudrängen - und das nicht nur im Schach. 

Man hofft zum Beispiel, dass auch die Olympischen Spiele 2024 in Paris eine Signalwirkung haben und der Russland-Bann dort bestehen bleibt, so lange der Krieg in der Ukraine andauert. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat sich explizit gegen eine Teilnahme russischer und belarussischer Athletinnen und Athleten ausgesprochen, solange Krieg herrscht. Damit steht sie in Konfrontation mit IOC-Präsident Thomas Bach, der sich in dieser Hinsicht anders positioniert. Und Bach ist - wie das Bespiel des asiatischen Schachverbands zeigt - nicht der einzige.