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WM sorgt für Schachboom im Internet

Holger Hank
25. November 2016

Bei der Schach-WM in New York geht es nicht nur um den Titel: Die Organisatoren versuchen, das altehrwürdige Schach als Internet-Sportart im 21. Jahrhundert zu etablieren. Mit einigem Erfolg.

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USA Schach Weltmeisterschaft in New York - Weltmeister Magnus Carlsen
Bild: picture-alliance/dpa/newscom

Wer interessiert sich schon dafür, dass zwei Männer stundenlang Spielfiguren auf einem karierten Brett herumschieben? Offenbar sehr viele. Seit der WM-Kampf zwischen Magnus Carlsen und Sergej Karjakin läuft, wächst Tag für Tag das Interesse an Schach - vor allem im Internet. Offizielle Zahlen liegen noch nicht vor, aber sicher ist, dass der exklusive Livestream aus dem Turniersaal im New Yorker Bankenviertel millionenfach abgerufen wird. Webseiten, die die Züge der beiden Kontrahenten übertragen, vermelden Rekord-Abrufzahlen. Parallel sorgt das Duell zwischen dem charismatischen Teilzeit-Model aus Norwegen und dem freundlichen, aber am Brett kompromisslosen Russen auf Facebook und Twitter für rege Diskussionen. Dabei hatte es zum Start vor zwei Wochen noch kräftig gehakt: zur großen Verärgerung der Fans ruckelte der Livestream, und die Webseite hatte mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen.

Erklärungen im Studio, Fragen bei Facebook

Inzwischen haben die Organisatoren beim Weltschachbund FIDE und die von ihm beauftragte Firma "Agon" die Technik im Griff. Für eine Gebühr von 15 Dollar wird dem Online-Zuschauer eine Live-TV-Übertragung mit drei Kameras geboten. Wer noch mehr zahlt, bekommt sogar eine 3D-Präsentation geboten. Noch wichtiger für die Schachfans im Internet ist die fachkundige Begleitung des Matches im TV-Studio: Eine Schlüsselrolle kommt dabei Judit Polgar zu, der besten Schachspielerin aller Zeiten, die als Expertin das Match kommentiert. Die Ungarin erläutert gekonnt, was die beiden Großmeister auf dem Schachbrett gerade treiben und greift dabei Fragen und Anmerkungen aus Twitter und Facebook auf: Das Zusammenspiel zwischen TV und Sozialen Medien funktioniert. Auch für Nicht-Profis ist ein WM-Kampf gut zu verfolgen, zumal der Zuschauer auch immer die Computerbewertung im Blick hat: Die Internetfans wissen faktisch mehr über die Stellungen als die Großmeister am Brett.

Um die Live-Übertragung des WM-Kampfs hatte es im Vorfeld in der Schachszene großen Streit geben. Denn die Veranstalter hatten versucht, die gesamte Live-Berichterstattung unter ihre Kontrolle zu bringen. Dabei ging es nicht nur um die Videoübertragung, sondern auch um die Übermittlung der einzelnen Züge (z.B. "1. e2-e4") auf anderen Webseiten überall auf der Welt. Auch diese Züge, so argumentierte die Firma "Agon", dürften live nicht frei im Internet gezeigt werden, sondern nur exklusiv von "Agon". Die Gerichte wurden bemüht, aber sowohl in Moskau als auch in New York entschieden vorerst die Richter für die freie Übertragung. Hintergrund des Streits ist die Frage, ob es gelingt, mit Live-Schach im Internet Geld zu verdienen und damit dem Schachsport neue Geldquellen zu erschließen.

Der Computer prägt die Spielweise der Profis

Für den amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen ist dies ein wichtiges Thema. Der Schach-Superstar aus Norwegen ist zwar als Werbeträger weltweit gefragt, aber insgesamt lässt sich als Top-Schachspieler bisher deutlich weniger verdienen als in anderen Sportarten. Deshalb vertreibt Carlsen jetzt eine eigene App ("Play Magnus") und hofft auf eine Fortsetzung des Schachbooms im Internet. Für die Spieler sind Internet und Computerunterstützung dabei längst ein wichtiger Aspekt des Spiels und prägen ihre Spielweise. Dank der Rechenkraft der Schachcomputer wissen die Profis z.B., dass auch ungewöhnliche Züge, die menschliche Spieler eher nicht in Erwägung ziehen, manchmal sehr gut funktionieren. Gerade in der Defensiv-Taktik spielt das eine große Rolle - es ist kein Zufall, dass Herausforderer Sergej Karjakins Spezialität das erfolgreiche Verteidigen von auf den ersten Blick schlechten Stellungen ist.

Der Einfluss von Computern zeigt sich auch bei den Eröffnungszügen. Inzwischen sind die Spielweisen zu Beginn der Partie derart ausanalysiert und in Datenbanken dokumentiert, dass Überraschungen immer seltener sind. Magnus Carlsen hat darauf reagiert, indem er zu Beginn seiner Partien immer wieder auf Seitenpfade ausweicht, um Vorbereitungen zu umgehen. Eine große Rolle bei der Digitalisierung der Schach-Szene spielt übrigens die Hamburger Firma "Chessbase", die u.a. Partie-Datenbanken und die dazu gehörige Software entwickelt. Über acht Millionen Partien sind in diesen Datenbanken verzeichnet.

E-Doping: Betrug im Schach?

Doch mit den allwissenden Computern hat sich die Schachwelt auch ein Problem eingehandelt. Bevor Carlsen und Karjakin sich in New York ans Brett setzen, werden sie nach unerlaubter Elektronik durchleuchtet. Da ein handelsübliches Computerprogramm auf einem Smartphone heutzutage stärker spielt als ein Weltmeister, soll so der elektronische Betrug ausgeschlossen werden. In den vergangenen Jahren hatte es eine Reihe von Betrugsskandalen gegeben, die Sorge um "E-Doping" machte im Schachsport die Runde. Inzwischen haben Wissenschaftler aber statistische Methoden ersonnen, um Betrüger zu entlarven. Das Motto: Wer zu perfekt spielt, kann nicht selbst nachgedacht haben. Dazu passt, dass bei dem Tauziehen zwischen Magnus Carlsen und Sergej Karjakin gerade die Fehlzüge für die Dramatik sorgen. Wahrscheinlich ist das auch der Grund für das große Interesse an der Schach-WM im Internet: Mögen die Computer noch so perfekt spielen, viel faszinierender ist es, zwei hochbegabten Menschen beim Fehler machen zuzuschauen.