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Türkei in der Kritik

7. Mai 2016

Haftstrafen für einen Pressebericht - das kennt man aus Diktaturen. Doch diesmal geht es um ein NATO-Mitglied, mit dem die EU Beitrittsgespräche führt. Einer der verurteilten Redakteure fordert mehr Engagement Berlins.

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Die verurteilten Journalisten Gül (l.) und Dünbar (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/O. Orsal

Die Verurteilung der regierungskritischen Journalisten Erdem Gül (Artikelbild rechts) und Can Dündar (rechts) in der Türkei zu mehrjährigen Haftstrafen hat in Berlin und Washington sowie bei Vertretern der Medien Empörung ausgelöst.

Bundesregierung besorgt

"Das Verfahren gegen die beiden Journalisten ist ein Lackmustest für die Unabhängigkeit der Justiz und die Presse- und Meinungsfreiheit. Deshalb haben wir die Nachricht über die Urteilsverkündung mit erheblicher Sorge aufgenommen", erklärte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts in Berlin.

Die Bundesregierung habe sich immer mit Nachdruck für Rechtsstaatlichkeit und Presse- und Meinungsfreiheit eingesetzt. "Wir werden die weitere Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit verfolgen. Es ist bedauerlich, dass die Beobachtung des Prozesses nach dem ersten Prozesstag nicht mehr möglich war", so die Sprecherin von Außenminister Frank-Walter Steinmeier weiter.

US-Appell an Ankara

Das US-Außenministerium forderte die türkische Regierung auf, das Konzept der "unabhängigen und ungehinderten Medien" zu respektieren. Das sei unerlässlich in demokratischen und offenen Gesellschaften. Als "Freund und NATO-Allierter" drängten die USA die Türkei zur Einhaltung der demokratischen Grundprinzipien, hieß es weiter.

Der Chefredakteur der Tageszeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, und der Leiter des Büros des Blattes in der Hauptstadt Ankara, Erdem Gül, waren am Freitag in Istanbul in einem international umstrittenen Prozess zu fünf Jahren und zehn Monaten beziehungsweise zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Sie wurden für schuldig befunden, geheime Dokumente veröffentlicht zu haben, die türkische Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien 2015 belegen sollen.

Von Erdogan angezeigt

Präsident Recep Tayyip Erdogan persönlich hatte die beiden Journalisten angezeigt und erklärt, Dündar und Gül würden "teuer dafür bezahlen". Ihnen droht noch ein weiterer Prozess wegen angeblicher Unterstützung einer Terrororganisation.

Gül forderte von der Bundesregierung ein stärkeres Eintreten für die Pressefreiheit. "Wir erleben einen exorbitanten Abbau der europäischen Rechte", sagte der Journalist im Gespräch mit der Zeitung "Die Welt". Gül kritisierte: "Einerseits arbeitet insbesondere die deutsche Regierung beim Flüchtlingsthema mit der Türkei eng zusammen. Andererseits erhebt sie nur sehr leise ihre Stimme, wenn es um europäische Werte wie Meinungs- und Pressefreiheit geht."

Keine Flucht

Ob er und Dündar ins Gefängnis müssten, werde sich nach dem Berufungsverfahren zeigen, sagte Gül weiter. Eine Flucht ins Ausland schloss der Redakteur aus, obwohl das Gericht eine Ausreisesperre gegen ihn und Dündar gleichzeitig mit dem Urteil aufgehoben hatte. "Daran habe ich nicht eine Sekunde gedacht. Wir tragen dafür Verantwortung, wie es mit Freiheit und Demokratie in diesem Land weitergeht", betonte Gül.

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Überall, sagte zu der Gerichtsentscheidung: "Das sind Willkürurteile eines autokratischen Regimes." Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" sprach von einem "skandalösen Urteil", mit dem "die türkische Justiz ihre völlige Geringschätzung für die Pressefreiheit unmissverständlich klargemacht" habe. Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" erklärte, die Urteile in dem politischen Verfahren zeigten, "wie Gerichte in der Türkei Präsident Erdogans Kampagne der Rache gegen Kritiker folgen".

wl/ust /(dpa, afp, epd)