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Schauspielerisches Urgestein

16. März 2010

Kauzige alte Männer - die spielt Michael Gwisdek am liebsten. Doch das ist nicht alles, was er zu bieten hat. Derzeit brilliert er in "Boxhagener Platz". Ein Film, an den Gwisdek mal ganz anders rangegangen ist ...

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Michael Gwisdekauf dem rotem Teppich (Foto: Siebbi)
Bild: AP

Man erkennt ihn schon allein an der Stimme. So schön wie Michael Gwisdek können nur wenige berlinern. Er begann seine Karriere auf den Bühnen der DDR und vor den Filmkameras der DEFA. Nach der Wende schaffte er fast mühelos den Sprung in den nun gesamtdeutschen Film. In dem Film "Boxhagener Platz" spielt er einen alten, idealistischen Kommunisten - fernab jeder SED-Staatsideologie. "Boxhagener Platz" spielt in der DDR im Jahre 1968.

DW-WORLD: Herr Gwisdek, Sie können auf eine lange Karriere zurückblicken, was haben Sie denn noch so vor in der Zukunft?

Michael Gwisdek: Na ja, ich mache es noch eine Weile. Ich mache es so lange, bis ich sterbe. Ich denke nicht daran mich zur Ruhe zu setzen. Ich zieh das Ding jetzt durch ...

Das "Ding"?

Das Ding heißt: die alten, skurrilen Männer spielen, auf Lacher gehen und zwischendurch ernsthafte Filme machen. Wo man dann staunt, dass ich auch - ohne Faxen zu machen - eine ernsthafte Figur spielen kann. Bei der Premiere von "Boxhagener Platz" haben die Leute gestaunt, weil ich ja sozusagen der Klassenclown des deutschen Films bin. Nach der Premiere haben alle gesagt: "Der kann ja auch mit wenig und mit gar nichts spielen und ganz ruhig sein, da ist er ja auch gut." Das finde ich gut. Da freut sich meine Schauspielereitelkeit.

Als Schauspieldozent wäre ich eine Fehlbesetzung

Michael Gwisdek im Gespräch mit Jochen Kürten (J. Kürten)
Im Gespräch: Michael GwisdekBild: DW / Jochen Kürten

Der große britische Darsteller Sir Ralph Richardson wurde an seinem 80. Geburtstag gefragt, was er denn noch machen möchte. Da hat er gesagt, er wolle noch ein kleines bisschen mehr über das Schauspielern lernen …

Da schließ ich mich sofort an. Ich finde, das ist ein Beruf, wo man nie auslernt, wo man immer wieder frisch rangeht. Darum eigne ich mich auch nicht als Dozent an einer Schule. Man hat es mir schon oft angeboten, ob ich nicht einmal etwas an einer Schule machen will. Da sage ich immer: Das kann ich nicht. Wenn ich heute den Studenten erkläre, wie das ist mit der Filmschauspielerei, dann käme ich nach drei Tagen angerannt, wäre völlig aufgeregt und würde sagen: "Kinder, tut mir einen Gefallen und vergesst mal, was ich euch gesagt habe. Das ist alles ganz anders."

Ich erfinde das jeden Tag neu. Und da ich weiß, wie es geht, ist es bei jedem Film neu und anders und aufregend. Das ist eben das Schöne, es gibt keine Regeln. Der eine macht es so und der andere so. Entweder es ist ein guter Film oder ein schlechter Film. Aber eine Spielregel, wie man einen guten Film macht, die kennt - Gott sei Dank - keiner auf der Welt.

Ich rede nie vorher über die Rollen

Das heißt, Sie haben keine festen Grundsätze, wie Sie an eine Rolle herangehen?

Ich habe schon Regeln. Normalerweise bin ich ja einer, der so eine Rolle auch auslotet. Wenn ich auf eine Pointe hinspiele, oder auf skurril, oder auf liebenswert, dann bekomme ich das hin. Da baue ich mir meine Figuren sympathisch auf. Aber ich rede nicht darüber. Ich bin kein Schauspieler, der vorher diskutiert. Es gibt nämlich ein paar Grundregeln. Zum Beispiel: Wenn ich vorher über eine Szene rede, wie ich sie spiele, dann kann ich sie nicht mehr spielen. Das ist für mich eine Grundregel. Ich muss mein Geheimnis behalten und muss es im Kopf behalten.

Michael Gwisdek beim Fototermin während der Berlinale (Tim Brakemeier dpa)
Immer zu Scherzen aufgelegt: Michael Gwisdek bei der Premiere von "Boxhagener Platz"Bild: picture alliance / dpa

Ich muss gut zuhören, was mir der Regisseur sagt. Muss abnicken und dann muss ich spielen. Wenn ich jetzt aber sage, ich würde es lieber so machen oder so machen, dann sagt der Regisseur irgendwann mal: Spiel mir das mal vor. Dann muss ich ihm das vorspielen, das bekomme ich dann nicht ganz hin. Und dann geht mein Geheimnis weg. Ich entblöße mich. Ich nicke also nur stumm ab, was er sagt. Spiele dann, was ich denke, wie ich ihn verstanden habe. Aber meine Version!

Wie ist das denn mit ihrer Rolle in "Boxhagener Platz" gewesen?

Beim "Boxhagener Platz" habe ich es anders gemacht, weil der Regisseur Matti Geschonneck am Anfang zu kämpfen hatte und gesagt hat, dass er keinen komischen Film wolle. Der hat mich zurückgenommen. Da habe ich gesagt: "Pass auf Matti, Du sagst an und ich spiele einfach hundert Prozent, was du mir sagst, ohne nachzudenken." Dann habe ich völlig verblödet an diesem Film gearbeitet. Es war herrlich, ich hatte keine Verantwortung, gar nichts. Matti macht seinen Film. Er sagt mir an. Ich verfüge über das Handwerk dieses umzusetzen und schaue mir dann den Film an, wie er geworden ist. Das habe ich ihm zu verdanken, dass er es geschafft hat, dass ich so viel Vertrauen zu ihm habe, dass ich mich voll auf ihn verlassen habe.

Das Gespräch führte Jochen Kürten

Redaktion: Petra Lambeck