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"Peinliche Ausfälle"

Ralf Bosen8. März 2013

Nach zehn Jahren und im Streit scheidet der tschechische Präsident Vaclav Klaus aus dem Amt aus. Im DW-Interview beschreibt ihn die Tschechien-Expertin Jennifer Schevardo als EU-kritischen Charakterpräsidenten.

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Dr. Jennifer Schevardo ist bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) für die Tschechische und Slowakische Republik sowie für die deutsch-tschechischen Beziehungen zuständig. Quelle: Dirk Enters/DGAP
Dr. Jennifer SchevardoBild: Dirk Enters/DGAP

Immer wieder warnte Vaclav Klaus vor dem Einfluss der Europäischen Union (EU), äußerte Zweifel am Klimawandel und polarisierte, wo er nur konnte. Am Freitag (08.03.2013) räumt der streitbare Politiker sein stattliches Büro auf der Prager Burg, denn seine Zeit als Präsident der Tschechischen Republik ist zuende.

Es ist kein guter Abschied. Der Senat stimmte für eine Klage wegen Hochverrats gegen den 71-Jährigen. Dabei geht es um eine umstrittene Gefangenen-Amnestie, mit der auch zahlreiche Verfahren gegen Wirtschaftsstraftäter gestoppt wurden. Außerdem wird ihm zur Last gelegt, er habe die tschechische Unterschrift unter den EU-Vertrag von Lissabon lange Zeit sabotiert und seinem Land dadurch geschadet. Mit einem Urteil des Verfassungsgerichts ist frühestens Ende März zu rechnen. Allerdings gilt ein Erfolg der Klage als unwahrscheinlich. Auch dieses juristische Nachspiel zeigt nach Meinung der Tschechien-Expertin Jennifer Schevardo, wie zwiespältig Klaus als Staatspräsident war.

Deutsche Welle: Frau Schevardo, zwei fünfjährige Amtszeiten lang war Klaus Präsident. Wie schneidet er in Ihrer Bilanz ab?

Jennifer Schevardo: Vaclav Klaus war sicherlich ein Charakterpräsident. Er hat es geschafft, dem Amt die notwendige Würde zu verleihen und es maximal auszufüllen. Das Amt des tschechischen Präsidenten ist ähnlich wie in Deutschland eher repräsentativ. Dennoch hat er gezeigt, wie viel Raum dieses Amt einer starken Persönlichkeit bieten kann. Ich glaube, dass es einen sehr starken Unterschied gibt, wie Vaclav Klaus im Ausland wahrgenommen und wie er in seiner Heimat gesehen wird - vor allem in Deutschland und im Zusammenhang mit seiner kritischen Haltung zur EU.

In seiner Heimat war man inhaltlich nicht immer mit ihm im Einklang. Sein Auftreten war vielen Tschechen ein bisschen peinlich. Gerade gegen Ende seiner zweiten Amtszeit haben seine Ausfälle die Grenzen des guten Geschmacks überschritten. Aktuell wird über seinen Amnestie-Erlass für Häftlinge diskutiert, der ihm sehr übel genommen wird.

Eine deutsche Zeitung bezeichnete Klaus mal als den Mann, der die EU torpediert. Der Präsident hat kaum eine Gelegenheit ausgelassen, sich mit Brüssel zu streiten. Besonders in Erinnerung bleibt seine Rede vor dem Europäischen Parlament im Februar 2009. Damals stellte er die Rolle der europäischen Volksvertreter in Frage, woraufhin viele Abgeordnete wütend den Saal verließen. Worauf gründet sich seine Abneigung gegen die Europäische Union?

Vaclav Klaus ist jemand, der relativ wenig gegen die wirtschaftliche Integration hat, aber viel gegen die politische. Das hat damit zu tun, dass er befürchtet, sein Land gebe Souveränitätsrechte auf. Dagegen hat er sich immer zur Wehr gesetzt. Das hat natürlich viel mit der Entwicklung von Transformationsstaaten allgemein zu tun, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahre 1989 begannen, sich national neu zu definieren und ihre nationalen Rechte eigenständig auszuüben.

Vaclav Klaus und Joachim Gauck begruessen sich mit Handschlag (Foto: dapd)
Vaclav Klaus und Bundespräsident Joachim Gauck in BerlinBild: dapd

Es hat aber auch mit einer ganz persönlichen Vorstellung von Machtausübung zu tun. Klaus, der lange in der Regierung und danach Präsident war, betrachtet es als Schwächung der eigenen Position, wenn die tschechische Republik als Mitglied der EU bestimmte Rechte an die übernationalen Institutionen übergibt.

Hat er durch sein Verhalten Tschechien ein Stück weit in die europäische Isolation getrieben?

Ich glaube, dass sich die Rolle, die Vaclav Klaus gespielt hat, vor allem international sehr nachteilig für die Tschechische Republik ausgewirkt hat. Er hat niemals einen Hehl aus seiner skeptischen Haltung gegenüber der EU gemacht. Das hat sich in den letzten Jahren noch einmal ordentlich zugespitzt. Auch undiplomatische Worte hat er niemals gescheut. Damit verpasste er seinem Land nach außen ein Image, durch das die Tschechen europaweit als Euroskeptiker angesehen werden. Das hat dem Land sehr geschadet.

Paradoxerweise wird das im Inland sehr zwiespältig betrachtet. Einerseits ist es vielen Tschechen peinlich wie sie im Ausland durch das von Klaus geprägte Bild der Euroskeptiker dastehen. Andererseits gibt es in weiten Teilen der Bevölkerung einen gewissen Anarchismus, bei dem die Leute eine diebische Freude daran haben, aus der Rolle zu fallen, sich nicht anzupassen, sondern Lärm zu machen. Es gibt auch einen gewissen Stolz in weiten Teilen der Bevölkerung, dass Vaclav Klaus kein Angepasster ist, der niemandem nach dem Mund redet. Das spielt eine Rolle bei der ambivalenten Bilanz seiner Amtszeit.

Klaus' Nachfolger wird der dritte Präsident Tschechiens seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1993 sein. Erster Staatschef war der über die Landesgrenzen hinaus geschätzte Antikommunist Vaclav Havel, der das Amt in den Jahren 1993 bis 2003 innehatte. Wenn Havel als Versöhner galt, was zeichnete Klaus aus? Ist er der politische Gegenentwurf zu Havel gewesen?

Porträtaufnahme von Vaclav Havel (Foto: AP)
Der verstorbene Präsident Vaclav HavelBild: AP

Bezüglich Havel muss man feststellen, dass auch da die Wahrnehmung des Auslandes eine andere ist, als die im Land. Natürlich wird Havel inzwischen in der Tschechischen Republik sehr verehrt. Teilweise stärker, als es seiner Rolle als Präsident eigentlich gerecht wird. Aber es gibt auch eine gewisse Überschätztheit. Er wurde zu seiner Zeit als Präsident durchaus auch kritisch gesehen. Er war ja kein Politiker, und er hat dieses Amt bis zum Schluss auch nicht als Politiker geführt, sondern als Mensch mit allen Stärken und Schwächen, wofür er auch kritisiert worden ist.

Klaus dagegen ist kein Versöhner. Er ist auch nicht der Mensch, den man liebt, so wie er dieses Amt ausgeführt hat. An ihm scheiden sich die Geister. Was er bewirkt hat, ist, dass er sehr klare Worte für viele Dinge gefunden hat. Selbst wenn er nicht immer Recht hatte, löste er Diskussionen aus. Und ich glaube, das ist etwas Wichtiges. Er hat dem Amt dadurch eine eigene Prägung verliehen, die seinem Nachfolger nutzen wird, wenn er versteht, für sich den Raum zu füllen. Nämlich, dass das Präsidentenamt politisch Einfluss nehmen kann und dass es wichtig ist, was der Präsident sagt. Und sei es nur, dass man ordentlich widersprechen muss. Es birgt aber sicherlich auch eine Gefahr, weil Klaus sehr weit gegangen ist. In den letzten Jahren hat er in die Regierungsgeschäfte reinregiert und es wäre problematisch, wenn das fortgeführt würde.

Vaclav Klaus' Nachfolger ist der linksgerichtete Milos Zeman. Für welche Europapolitik steht er?

Milos Zeman gehört zur sozialdemokratischen Partei, die sich programmatisch darauf festgelegt hat, für die europäische Integration zu sein. Er wird jemand sein, der der EU positiv gegenüber steht.

Dr. Jennifer Schevardo ist bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) für die Tschechische und Slowakische Republik sowie für die deutsch-tschechischen Beziehungen zuständig. Außerdem untersucht sie die Transformationsprozesse in Tschechien, der Slowakei und Polen.

Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin ist das nationale Netzwerk für Außenpolitik. Als unabhängiger, überparteilicher und gemeinnütziger Verein fördert die DGAP seit mehr als 50 Jahren die außenpolitische Meinungsbildung in Deutschland.

Das Interview führte Ralf Bosen