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Politik

"So ein Massaker hat es hier noch nie gegeben"

Roman Goncharenko
21. September 2021

Was ist an der Universität Perm passiert? Augenzeugen berichten von einer enormen Brutalität des Angreifers, von Toten und Verletzten. Die Studierenden, so Dozenten, dürften jetzt nicht allein gelassen werden.

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Russland  Schießerei an Universität in Perm
Bild: Anatoliy Romanov/dpa/picture alliance

Alexej Trapesnikow verließ gerade die Staatliche Nationale Forschungsuniversität in Perm und wollte ins Auto steigen, doch dazu kam er nicht. "Die Wachen am Eingang sagten mir, ich solle zurückkommen. Ich sah einen blutüberströmten Mann auf das Gebäude zulaufen. Offenbar hatte er eine Schussverletzung im Unterleib. Er stürzte. Es war eine chaotische Schießerei zu hören", so der Korrespondent der "Rossijskaja Gaseta" in Perm zur DW.

An diesem Montag, dem 20. September, hielt sich Trapesnikow zu einer Präsentation an der Uni auf. Als er auf den Rat der Wachen hin zum Campus zurückgekehrt war, begann er aus dem Fenster eines der Gebäude das Geschehen rund um den Amoklauf an der Universität in Perm zu filmen. Den mutmaßlichen Täter sah er allerdings nicht. Nachdem dieser festgenommen worden war, begann der Journalist, sich ein Bild von den Spuren zu machen, die der Mann hinterlassen hatte.

Trapesnikow beschreibt das Gesehene mit ruhiger Stimme. Doch der Schock sitzt tief: "Ich ging den Flur entlang und sah eine Leiche. Eine ältere Frau vom Universitätspersonal schrie. Das war ein unwirkliches und alptraumhaftes Bild." Mindestens sechs Menschen hat der Angreifer getötet, Dutzende verletzt.

"So schießt man nur auf Bären oder Elche"

Trapesnikow sah Leichen ermordeter Studenten, machte aber keine Aufnahmen von ihnen: "Es gibt Momente, die darf man nicht filmen." Ihm zufolge muss der Täter "ein sehr großes Kaliber" verwendet haben. "Es sind riesige Einschusslöcher. So schießt man nur auf Bären oder Elche. Das hinterlässt schreckliche Wunden am Körper", sagt der Journalist.

Russland | Schießerei an der Universität von Perm
Eine Hülse der Patrone, die der Täter verwendeteBild: Anatoliy Romanov/Sputnik/dpa/picture alliance

Er hatte die Gelegenheit, eine Videoaufnahme zu sehen, auf der der Täter einen Wachmann erst verwundet, ihn dann ins Gebäude zerrt und "vor aller Augen mit einem Kopfschuss tötet". Die Menschen seien weggelaufen und der Täter habe begonnen, auf alle zu schießen, denen er begegnet sei. "Das war ein sehr brutaler Angriff", betont der Journalist. Seiner Ansicht nach hatten die zivilen Wachen keine Chance gegen den Mann.

"So ein Massaker hat es in Perm noch nie gegeben, unsere Stadt ist eher ruhig", sagt Trapesnikow. Zwar habe es entsprechende Sicherheitsübungen an der Uni gegeben, doch niemand habe gedacht, dass so etwas passieren könnte. Manch einer habe, so Trapesnikow, während des Angriffs gedacht, dass es sich um eine weitere Übung handele.

Der Journalist findet, dass der Amoklauf von Perm einem Angriff in Kasan sehr ähnlich ist, bei dem im Mai 2021 in einer Turnhalle neun Menschen getötet wurden: "Es ist, als ob sich die Täter kennen würden, oder der eine sich den anderen zum Vorbild genommen hätte."

"Zuerst dachte ich an ein Feuer"

Iwan Petschischtschew, Dozent am Institut für Journalismus der Universität Perm, war an jenem Vormittag gerade auf dem Weg zu seinen Studierenden. Seine Vorlesung sollte um 11.30 Uhr beginnen, doch er war etwas spät dran. Als er am Gebäude 8 der Universität vorbeikam, sah er plötzlich, wie Studierende aus den Fenstern im zweiten Stock sprangen. "Es waren Schreie zu hören, es herrschte Panik, alle rannten weg. Zuerst dachte ich an ein Feuer. Doch die Studenten sagten, es würden Schüsse fallen. Kurz darauf hörte ich auch schon das Knallen. Es war schrecklich und wir liefen aus dem Gebäude", so Petschischtschew.

Russland  Schießerei an Universität in Perm
Um sich zu retten, sprangen Studierende aus den FensternBild: Alexey Romanov/dpa/picture alliance

Sein erster Gedanke galt seinen Studierenden. "Mir war klar, dass sie auf mich warteten, da ich zu spät war. Ich dachte, dass sie vielleicht nichts von dem Geschehen wissen und aus Sorge - Gott bewahre - das Gebäude verlassen könnten. Also versuchte ich, so schnell wie möglich zu ihnen zu gelangen", so der Dozent.

Als er über Umwege und im Schutz von abgestellten Autos endlich am Gebäude 2 ankam, wo seine Vorlesung stattfinden sollte, stellte er fest, dass es blockiert war. "Der Sicherheitsdienst hatte alle Eingänge gesperrt, alles war zu. Ich bin nur mit großer Mühe hineingekommen, erst nachdem ich meinen Dienstausweis vorgezeigt habe", erinnert sich Petschischtschew.

"Alle hatten große Angst"

Zu diesem Zeitpunkt hatten seine Schüler allerdings schon aus sozialen Netzwerken erfahren, was passierte. Alle hatten große Angst, einige Mädchen weinten. "Wir saßen in einem abgeriegelten Gebäude und in einem verschlossenen Hörsaal fest. Von Zeit zu Zeit wurde uns über die Sprechanlage mitgeteilt, dass wir den Raum auf keinen Fall verlassen dürften", sagt Petschischtschew. Nach etwa eineinhalb Stunden sei dann die Erlaubnis erteilt worden, den Saal zu verlassen. "Wir wurden organisiert aus dem Gebäude geführt", so der Dozent. Danach seien alle nach Hause geschickt und der Unterricht abgesagt worden. An der Uni trafen unterdessen erste Krankenwagen und Ermittler ein.

Russland | Schießerei an der Universität von Perm
Rettungsdienste auf dem Campus in PermBild: Anatoliy Romanov/Sputnik/dpa/picture alliance

Die Einwohner der Stadt, so Petschischtschew, sind schockiert über die Tragödie an der Universität: "Während ich die Straße entlang nach Hause ging, traf ich eine Nachbarin, eine Kollegin und eine Studentin. Sie alle wissen, dass ich an der Uni arbeite und sie fragten, ob alles in Ordnung sei. Für Perm ist dies ein Schock." Auch an mehreren anderen Bildungseinrichtungen wurde der Unterricht abgesagt.

Studierende werden Hilfe brauchen

Iwan Petschischtschew ist sich sicher, dass viele Studierende nach dieser Tragödie Hilfe von Psychologen brauchen werden: "Als ich das Gebäude verließ, traf ich auf Kollegen vom Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie. Ich habe mit ihnen darüber gesprochen. Sie meinen ebenfalls, dass die Studierenden professionelle Hilfe brauchen werden."

Von der Idee, auf Fernunterricht umzustellen, hält er nichts. "Das bedeutet, dass die Studierenden mit ihren Gedanken, mit dem erlebten Stress allein gelassen werden. Ich habe nur Studierende aus meiner Gruppe gesehen, die - Gott sei Dank - nicht betroffen waren. Aber andere waren mitten in diesem Albtraum. Deswegen werden viele psychologische Hilfe brauchen, und an der Uni gibt es Personal, das dies leisten kann", so der Dozent.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk