Die Euro-Baustellen
31. Januar 2011Die EU-Kommission drängt zur Eile, die Bundesregierung in Berlin bremst. Kanzlerin Angela Merkel will ein Gesamtkonzept zur Reform der Gemeinschaftswährung Euro, das beim EU-Gipfel im März 2011 verabschiedet werden soll. Auf welchen Baustellen die Mitgliedsstaaten der Euro-Zone, die Kommission, die Europäische Zentralbank und das Europäische Parlament derzeit mal miteinander und mal gegeneinander arbeiten, zeigt diese Übersicht:
Baustelle 1: Rettungsschirm
750 Milliarden Euro haben Europäische Union und der Internationale Währungsfonds im Mai 2010 zusammengetragen, um den Finanzmärkten zu signalisieren: Wir pauken jedes bankrotte Euro-Mitgliedsland mit Notkrediten raus, falls es wirklich nötig wird. Tatsächlich könnte der Rettungsschirm nur rund die Hälfte des zugesagten Geldes auch verleihen, weil er erhebliche Reserven einbehalten muss, damit er selbst preiswert Geld beschaffen kann. Die EU-Kommission fordert deshalb zusammen mit einigen Mitgliedsstaaten, den Rettungsschirm zu verdoppeln, damit die auszahlbare Summe wirklich 750 Milliarden Euro erreicht. Der Bundesregierung geht das zu schnell. Denn egal, wie man es konstruiert: Auf die deutschen Steuerzahler kämen höhere Kosten zu. Ein größerer Rettungsschirm und damit größere Bürgschaften der Bundesrepublik würden dazu führen, dass Deutschland für eigene Staatsanleihen mehr Zinsen an Anleger zahlen müsste. Dieses Zugeständnis will Angela Merkel nur machen, wenn sie im Gegenzug dafür auf anderen Baustellen etwas gewinnt.
Baustelle 2: Gemeinsame Staatsanleihen
Der Chef der Eurozone, der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker, ist ein Vorkämpfer für gemeinschaftliche Staatsanleihen aller 17 Euro-Staaten. Das brächte für klamme Staaten wie Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Belgien niedrigere Zinslasten. Solidere Staaten wie Deutschland, Österreich, Finnland und die Niederlande müssten aber mehr Zinsen auszahlen. Das Riskio würde vergemeinschaftet, der Wettbewerb um beste Ratings der Staaten untereinander würde wegfallen. Für die Bundesregierung kommt das nicht in Frage, weil der Anreiz zum Sparen für die Schuldenmacher stark abnehmen würde. Deutschland bliebe, wie andere Länder mit exzellenter Bonität, auf hohen Kosten sitzen. Gemeinschaftliche Staatsanleihen sind deshalb sehr unwahrscheinlich. Diese Baustelle ruht.
Baustelle 3: Umschuldung
Viele Ökonomen gehen davon aus, dass langfristig an einer Umschuldung Griechenlands und vielleicht auch anderer Staaten kein Weg vorbeiführen wird. Offiziell gibt es diese Baustelle für die Euro-Staaten gar nicht, obwohl es im vergangenen Jahr auch die Forderung von Bundesfinanzminister Schäuble nach einem geordneten Insolvenzverfahren für Staaten gab - eine Umschuldung, oder ein Haircut, ist nichts anderes. Private und staatliche Gläubiger müssten auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten und die Schuldentitel würden neu bewertet. Eine solche Regelung müsste sicherlich auch Bestandteil eines permanenten Krisenmechanismus sein, den Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Zeit nach 2013 anstrebt. Nachdem sie dies im vergangenen Herbst angedeutet hatte, reagierten die Finanzmärkte mit höheren Zinsen für die bedrängten Staaten. Griechenland warf Merkel vor, die Krise mit ihren Äußerungen noch zu verschärfen. Vorarbeiterin Merkel schweigt seither zu diesem Thema. Doch irgendein Umschuldungsinstrument wird gebraucht, da die überschuldeten Staaten aus eigener Kraft aus dem Schuldental nur sehr, sehr langsam und mühsam herauskämen.
Baustelle 4: Permanenter Krisenmechanismus
Das ist so etwas ähnliches wie ein dauerhafter Rettungsschirm. Im Prinzip haben die EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember 2010 beschlossen, nach dem Sommer 2013, wenn der Rettungsschirm aus dem vergangenen Jahr ausläuft, einen dauerhaften Mechanismus zu schaffen. Auch dieser soll aus Kreditzusagen für marode Staaten bestehen, sollten deren Schulden die Existenz der gesamten Euro-Zone bedrohen. Um diese Baustelle winterfest zu machen, hat Deutschland die Änderung des Lissabonner EU-Vertrages durchgesetzt. Diese Änderung muss von allen 27 Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Das kann zwei Jahre dauern. Deshalb drängt an dieser Baustelle die Zeit. Unklar ist, ob und wie Irland die Vertragsänderung ratifizieren würde. Zunächst wird es in Irland Neuwahlen geben. Eventuell ist zur Änderung des EU-Vertrages eine Volksabstimmung notwendig. Die Zustimmung zum Lissabon-Vertrag konnte 2009 in Irland erst im zweiten Anlauf und mit jahrelanger Verzögerung erreicht werden.
Baustelle 5: Verstärkte Haushalts- und Defizitkontrolle
Im Prinzip hatten sich die Finanzminister der Europäischen Union im Oktober 2010 auf verschärfte Regeln für die Defizitverfahren nach dem Europäischen Stablitäts- und Wachstumspakt geeinigt. Die Verhandlungen für Verfahrensschritte und Strafen laufen in Brüssel zurzeit aber äußerst zäh. Ob automatische Defizitverfahren und Sanktionen durchgesetzt werden können, ist fraglich. Die Mitgliedsstaaten müssen der EU-Kommission früher als bislang ihre Haushaltentwürfe und Haushaltsdaten übermitteln. Das eigentliche Haushaltsrecht bleibt aber bei den nationalen Parlamenten. Bei der Ausgestaltung des Stabilitätspaktes, der Teil des Lissaboner EU-Vertrages ist, hat das Europäische Parlament auch noch gewichtige Worte mitzureden. Hier könnte ebenfalls eine langwierige Änderung des Vertrages notwendig werden. Ende März 2011, beim nächsten EU-Gipfel, soll der verschärfte Stabilitätspakt vorliegen.
Baustelle 6: Wirtschaftsregierung
Auf dieser Baustelle gibt es erste skizzenhafte Pläne, aber noch keine Grundsteinlegung. Die EU-Mitgliedsstaaten sind sich nicht einig, was eine Wirtschaftsregierung leisten sollte und welche Kompetenzen sie haben müsste. Frankreich hat immer für eine starke Wirtschaftsregierung plädiert, die auch die Europäische Zentralbank steuern soll. Deutschland war stets dagegen und hat die Unabhängigkeit der Zentralbank hochgehalten. In den vergangenen Monaten ist die Bundeskanzlerin zumindest verbal auf die Linie Frankreichs eingeschwenkt. Auch sie fordert jetzt im Verein mit der EU-Kommission eine stärkere Verzahnung der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Steuerrecht, Sozialpolitik, Lohnentwicklung im Öffentlichen Dienst und die Rentenpolitik - all diese Felder, für die bislang die Nationalstaaten zuständig waren, sollen europäischer Koordination unterworfen werden, heißt es von der Bundesregierung in Berlin. Die EU-Staaten sollten sich eine Schuldenbremse nach dem deutschem Vorbild in ihre Verfassungen schreiben, forderte unlängst Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Nimmt man diese Forderungen ernst, würde ein weiterer Schritt der europäischen Integration und Vergemeinschaftung fällig. Es entstünde ein Europa der vereinigten Wirtschaftsstaaten, so Jean-Claude Trichet, der Chef der Europäischen Zentralbank. Ohne eine gemeinschaftliche Wirtschafts- und Finanzpolitik sei eine gemeinschaftliche Währung auf Dauer nicht lebensfähig, meint Trichet im Verein mit vielen anderen Wirtschaftsexperten.
Wer diese Wirtschaftsregierung bilden soll, ist allerdings umstritten. Bundeskanzlerin Merkel sieht die Runde der 27 EU-Staats- und Regierungchefs schon jetzt als Wirtschaftsregierung. Die EU-Kommission möchte diese Rolle in Brüssel zentral selbst übernehmen. Der französischen Finanzministerin Christine Lagarde schwebt eine neue EU-Behörde, natürlich mit Sitz in Frankreich, vor. Auf dieser Baustelle wartet noch viel Arbeit, die voraussichtlich nicht bis zum Gipfeltreffen beendet werden kann.
Baustelle 6: Europäische Zentralbank
Die Zentralbank mit Sitz in Frankfurt am Main soll die Inflationsrate in der Eurozone niedrig halten und legt die finanzpolitisch wichtigen Leitzinssätze fest. Seit Mai 2010 kauft sie Staatsanleihen schwacher Euro-Staaten. Dies stellt einen Kursschwenk um 180 Grad dar, denn das Aufkaufen dieser Anleihen, die teilweise nur "Ramsch-Status" haben, vergleichen viele Wirtschaftswissenschaftler mit dem Anwerfen der Gelddruckmaschinen. Gelddrucken heizt aber die Inflation an, die die EZB ja eigentlich niedrig halten soll. Mittelfristig möchte sich die EZB also vom Ankaufen der Staatsanleihen wieder zurückziehen. Der heutige Bundesbankchef, Axel Weber, hält das Aufkaufen der Staatsanleihen, das der französische EZB-Chef Jean-Claude Trichet durchgesetzt hat, für einen Fehler. Weber galt lange als Favorit für die Nachfolge Trichets, der Ende Oktober 2011 den Präsidentenposten bei der EZB verlassen wird. Im Hintergrund suchen die Staats- und Regierungschefs bereits einen Nachfolger für diesen wichtigen Posten. Auch Italien hat einen Kandidaten ins Rennen geschickt. Axel Weber gilt vielen Euro-Mitgliedern als "Hardliner" und Vertreter der deutschen Stabilitätslehre.
Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Julia Kuckelkorn