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Schlechte Stimmung unter den Türken

Kay-Alexander Scholz19. August 2012

Meinungsforscher haben untersucht, wie zufrieden türkischstämmige Bürger mit ihrer Lebenssituation in Deutschland sind. Ergebnis: Viele wollen am liebsten in die Türkei gehen oder flüchten sich in Religiösität.

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Islamischer Gottestdienst Deutschland (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

"Die Ergebnisse haben uns überrascht", sagte Holger Liljeberg vom Meinungsforschungsinstitut INFO GmbH. Bei der repräsentativen Umfrage seines Instituts zur Lebenszufriedenheit der Türken in Deutschland ist herausgekommen, dass immer mehr Türken die Absicht haben, Deutschland zu verlassen und in ihr Herkunftsland zu gehen. Dazu wurden rund 1000 in Deutschland lebende Türken befragt. Erstaunlich sei, dass die meisten von ihnen - nämlich jeder Zweite - unter den 30- bis 49-Jährigen zu finden seien, so Holger Liljeberg. Sie haben offenbar das Gefühl, in Deutschland nicht gut zurecht zu kommen und dass die Türkei ihre eigentliche Heimat sei. Eine Antwort, die die Forscher - im Gegensatz zu früheren Studien - in jüngerer Zeit immer häufiger bekommen.

In der jüngsten Altersgruppe bei den Befragten zwischen 15 und 24 Jahren gab jeder Fünfte an, in der Türkei arbeiten zu wollen. "Es droht ein Brain-Drain gut ausgebildeter Türken", warnt Liljeberg, und die Motive seien nachvollziehbar. Auf der einen Seite werde der Druck auf die türkische Community in Deutschland größer. Andererseits habe "der Kraftprotz am Bosporus", wie die seit Jahren wirtschaftlich prosperierende Türkei in deutschen Medien auch genannt wird, eine hohe Anziehungskraft entwickelt. "Wenn sie gut ausgebildet sind, dann können sie in Istanbul 10.000 Euro netto und mehr verdienen."

53 Prozent aller Befragten gaben an, inzwischen bessere Jobmöglichkeiten in der Türkei zu sehen. Für die deutsche Wirtschaft, die schon jetzt mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen hat, ist dies sicherlich keine gute Entwicklung. Doch dürften die Ergebnisse nicht überbewertet werden, sagt Barbara John, langjährige Ausländerbeauftragte Berlins. Würden junge Deutsche befragt werden, sei der Anteil derer, die ins Ausland gehen wollen, sicherlich ähnlich hoch.

Barbara John (Foto: dpa)
Barbara John: "Studienergebnisse nicht überbewerten"Bild: picture-alliance/dpa

Radikalere Ansichten unter Jugendlichen

Auch bei einem anderen Thema der Studie ging die Interpretation der Ergebnisse weit auseinander. Der Anteil der jungen Menschen, die sich selbst als "streng religiös" oder "eher religiös" bezeichnen, ist seit der letzten Studie im Jahr 2010 auf zwei Drittel gestiegen. Zwar bedeute das nicht, dass mehr gebetet wird, sagt Holger Liljeberg. "Aber der Islam dient zunehmend als Identifikationsmittel bei Jugendlichen, die sich zwischen den Welten fühlen." Diese schwierige Position ergebe sich dadurch, dass die in Deutschland geborenen Jugendlichen hierzulande als Türken, in der Türkei aber längst als Deutsche wahrgenommen würden.

"Es besteht die Gefahr, dass die jungen Menschen religiös politisiert werden", fasst der Meinungsforscher die Umfrageergebnisse zusammen. Einen ersten Hinweis darauf gebe die Studie bereits. Denn gefragt wurde auch nach der Einstellung zur umstrittenen, kostenfreien Koran-Verteilung in Fußgängerzonen in Deutschland. Bei den Jüngeren stößt die Aktion "Lies!" der als extrem islamistisch geltenden Salafisten auf hohe Zustimmung: 63 Prozent der 15- bis 29-jährigen Befragten finden die Aktion gut. Zum Vergleich: Die über 50-Jährigen sprechen sich mit großer Mehrheit dagegen aus.

Ein Mitglied einer salafistischen Gemeinschaft hält den Koran in der Hand (Foto: dapd)
Von vielen junge Türken befürwortet: Koran-VerteilungBild: dapd

Drohende Politisierung?

Barbara John sagt, dass sei kein Beleg für den Weg in die Radikalisierung, sondern Teil einer typisch jugendlichen Identitätssuche. "Abgrenzung von der Mehrheit ist ganz normal und eine Hinwendung zum streng Religiösen ist die stärkste Abgrenzung, die möglich scheint." Doch Holger Liljeberg sieht darin ein "Einfallstor für eine Politisierung, die zu Gruppenbildungen führen könne". Immerhin 36 Prozent der Jugendlichen seien schließlich bereit, die Salafisten-Aktion "Lies!" auch finanziell durch Spenden zu unterstützen. Hier werde die Grenze eines bloßen Lippenbekenntnisses bereits überschritten.

Die Studie ergab darüber hinaus, dass der Trend unter türkischstämmigen Bürgern zunimmt, sich von der deutschen Gesellschaft abzusondern. So sagten aktuell 62 Prozent der Türken, dass sie am liebsten nur mit Türken zusammen sind - 2010 waren es nur 40 Prozent. Nahezu die Hälfte wünscht sich, dass in Deutschland irgendwann mehr Muslime als Christen wohnen. Vor knapp zwei Jahren war das lediglich jeder Dritte. Bedenklich sind zudem tendenziell zunehmende religiöse Ressentiments, vor allem gegenüber Atheisten und Juden.

Eine Jugendliche mit Kopftuch (Foto: dapd)
Junge Deutschtürken sind überdurchschnittlich religiösBild: dapd

"Islam als normal anerkennen"

Barbara John meinte dazu, das seien normale Ergebnisse. In Deutschland würde keine Gegenkultur entstehen, sondern eine pluralistische Gesellschaft. Es könne nicht erwartet werden, dass sich türkische Einwanderer nach ein paar Jahrzehnten vollständig assimiliert hätten. Wichtig aber sei, dass Deutschland endlich den Islam anerkenne. "Dann würden sich viele Türken auch nicht mehr in die Ecke gedrängt fühlen, wenn also ihre Religion als normal angesehen würde." Hamburg hat vor einigen Tagen als erstes Bundesland in Deutschland eine entsprechende Initiative angekündigt und will ein Abkommen mit islamischen Religionsgemeinschaften schließen.

Dass Integration eine ständige Aufgabe ist, zeigt auch ein anderes Ergebnis der Studie. Es gibt noch immer neben den Wegzügen viele Zuzüge nach Deutschland - allerdings weniger aus wirtschaftlichen Gründen wie noch in den Jahrzehnten zuvor. 56 Prozent der Frauen kommen inzwischen nach Deutschland, weil sie hierhin geheiratet haben. "Die Türken in Deutschland" sind kein homogener Block, als die sie aber häufig wahrgenommen werden.

Bei anderen Themen hat die Studie Fortschritte festgestellt, die wohl auch auf die Integrationspolitik der vergangenen Jahre zurückgeführt werden kann, bei der Spracherwerb und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben im Mittelpunkt standen. 91 Prozent der Befragten sind inzwischen der Meinung, dass Kinder von klein auf Deutsch lernen müssen. Auch die Rolle der Frau wird inzwischen moderater bewertet.