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Kosten sparen bei Flüchtlingsheimen

Sabrina Pabst / Anja Fähnle29. September 2014

Sicherheitskräfte sollen Bewohner eines Flüchtlingsheims gequält haben. Betrieben wird das Heim von einem privaten Unternehmen. Die schleichende Privatisierung im Sicherheitsbereich sehen Experten kritisch.

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Drei Flüchtlinge stehen außerhalb der Siegerland-Kaserne in Burbach. (Foto: REUTERS/Wolfgang Rattay)
Bild: Reuters/Wolfgang Rattay

Ein Mann sitzt neben Erbrochenem auf einer Matratze. Unter Androhung von Schlägen wird er gezwungen, sich hineinzulegen. Die Szene des Handy-Videos dauert zehn bis 15 Sekunden.

Ein anderer Mann liegt am Boden. Seine Hände sind auf dem Rücken gefesselt. Zwei uniformierte Sicherheitskräfte stehen neben ihm, einer stellt seinen Fuß in den Nacken des Opfers.

Der Mann auf dem Boden soll ein 20 Jahre alter Algerier sein. Das Foto und das Video wurden in einer Notunterkunft für Flüchtlinge im nordrhein-westfälischen Burbach aufgenommen. Insgesamt vier Wachmänner sollen dort Flüchtlinge misshandelt und gedemütigt haben. Bei zwei von ihnen sollen Ermittler verbotene Waffen wie Schlagstöcke gefunden haben.

Ermittlungen bei privaten Betreibern von Flüchtlingsheimen

Zwei Wachmänner drücken einen gefessleten Mann auf den Boden. Einer von ihnen hat seinen Fuß im Nacken des Opfers. (Foto: Polizei NRW/dpa)
Flüchtlingsheim Burchbach: Erniedrigende SzenenBild: Polizei NRW/dpa

Auch in Essen sollen Sicherheitskräfte Berichten des Westdeutschen Rundfunks zufolge zwei Wochen lang Schutzsuchende erniedrigt und misshandelt haben. Drei Anzeigen wegen einfacher Körperverletzung seien dort erstattet worden. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln seit dem Wochenende gegen vier Tatverdächtige und forschen nach weiteren Vorfällen in Flüchtlingsheimen - auch in anderen Städten.

Wie konnte es dazu kommen? Neben freien Wohlfahrtsorganisationen wie Caritas und Malteser betreiben auch private Unternehmen Flüchtlingsheime in Nordrhein-Westfalen, die von den Kommunen finanziell unterstützt werden. Im Fall Burbach ist es die Firma European Homecare. Nach WDR-Angaben betreibt das Unternehmen sechs von 17 Landeseinrichtungen.

Da die Kommunen aber den Trägern der Heime nicht die vollen Kosten rückerstatten, versuchen diese, ihre Unterkünfte möglichst billig zu betreiben. Dafür beauftragen sie wiederum Subunternehmen, die zum Beispiel für den Schutz der Flüchtlinge sorgen sollen. Das sind oft private Sicherheitsdienste.

"Es trifft die eigentlich Schutzsuchenden"

Der stellvertretende Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamte, Sebastian Fiedler, beobachtet diese Entwicklung in NRW schon seit längerem mit Sorge. Im Bereich der inneren Sicherheit nehme die Privatisierung schleichend und unbemerkt immer weiter zu. Nicht die Qualität des Personals stünde im Vordergrund, meint Fiedler im DW-Interview, sondern deren Lohn. Ungelernte Fachkräfte sind deutlich preiswerter als qualifiziertes Personal. "Das Problem ist, dass in Einzelfällen nicht genau kontrolliert wird, welche Qualifikationen das Personal hat und welchen Hintergrund sie mitbringen - im Burbacher Fall war es sogar offenkundig ein strafrechtlich relevanter Hintergrund."

Sebastian Fiedler ist stellvertretender Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (Foto: Sebastian Fiedler)
Fiedler: "Hier ist der Staat nicht in der Lage, Sicherheit zu gewähren"Bild: Sebastian Fiedler

Zwei der vier Tatverdächtigen sind nach WDR-Angaben polizeilich bekannt, unter anderem wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und Körperverletzung. Sebastian Fiedler übt daher scharfe Kritik an den verantwortlichen Behörden: "Das Skandalöse ist, dass es ausgerechnet diejenigen trifft, die schon eine lange Leidensgeschichte hinter sich haben. Sie sind nach Deutschland gekommen, um hier Schutz zu suchen und um Asyl zu bitten. Ausgerechnet hier ist der deutsche Staat nicht in der Lage, die Sicherheit zu gewährleisten. Stattdessen spart er an allen Ecken und Kanten und achtet nicht darauf, wen er anstellt."

Sicherheitsfirmen sind ein boomendes Geschäft

Zuständig für die Sicherheit der Flüchtlinge sind eigentlich die Kommunen. Doch wegen Geldmangels könnten sie nicht ausreichend Personal einstellen und müssten dann auf private, kostengünstige Sicherheitsfirmen zurückgreifen, kritisiert der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. Die Folgen könne man jetzt in Burbach und Essen sehen:

"Wenn man solche Aufgaben in unkontrollierte private Hände gibt, dann findet genau das statt: Subunternehmer werden beschäftigt zu Billiglöhnen." Dann könne man das Personal und seine Zuverlässigkeit nicht mehr kontrollieren, mahnt Wendt im DW-Interview. "Willkommen im privatisierten schlanken Staat", sagt er verbittert. Der Chef der Polizeigewerkschaft plädiert dafür, dass Kommunen mehr Geld bekommen, um auch kurzfristig Beschäftigte in den Flüchtlingsheimen einsetzen zu können.

"Willkommen im privatisierten schlanken Staat"

Festgelegte Standards wurden unterlaufen

Nach Angaben von WDR-Reportern expandiere "European Homecare" so rasch, weil das Unternehmen an Fachkräften spare. Dadurch, dass der private Betreiber nur ungelerntes Personal beschäftige, würden hohe finanzielle Gewinne erwirtschaftet. Die Reporter hätten während ihrer Recherchen kein Fachpersonal wie Psychologen oder Sozialarbeiter angetroffen. Dies sei aber eine der Rahmenbedingungen zum Betreiben von Flüchtlingsheimen, die mit dem Land NRW vereinbart wurden.

"European Homecare" äußert sich in einer Stellungnahme, dass aufgrund der ansteigenden Flüchtlingszahlen die hohen Standards nicht eingehalten werden könnten. Eine Sprecherin betonte im ZDF, dass neue Standards verabschiedet worden seien, um solche Vorfälle künftig zu vermeiden. Die Bezirksregierung Arnsberg, die für das Flüchtlingsheim in Burbach zuständig ist, hat nun zur Auflage gemacht, dass nur noch geprüftes Sicherheitspersonal mit Führungszeugnis die Flüchtlinge schützen darf. Außerdem ist ein Mindestlohn zu zahlen.