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Literarische Wiederentdeckung

Jochen Kürten24. Juni 2014

Diesen Roman kannten nur Spezialisten. Auch den Autor kennt kaum jemand. "Schlump" von Hans Herbert Grimm erzählt von der Kriegsbegeisterung eines jungen Deutschen. Jetzt wurde er wiederveröffentlicht.

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Erster Weltkrieg 1914-1918: Kriegsbegeisterte Soldaten (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Auch Bücher haben ihre Geschichte. Die allermeisten werden geschrieben, veröffentlicht - und vergessen. Ein paar werden berühmt, halten sich in der Erinnerung der Leser. Und dann gibt es noch die, die nach vielen Jahren, auf verschlungenen Wegen, zu den Lesern finden. "Schlump" ist so ein Buch. Es erschien erstmals im Jahre 1928, stand aber im mächtigen Schatten des Welterfolgs "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque.

"Jeder deutsche Mann sollte es gelesen haben"

Lediglich ein paar 1000 Exemplare wurden damals verkauft. Es erschien unter dem Titel "Schlump - Geschichten und Abenteuer aus dem Leben des unbekannten Musketiers Emil Schulz, genannt 'Schlump'. Vom ihm selbst erzählt". Wer dieser Schlump war, das wussten nur wenige. Hans Herbert Grimm hieß der Autor, ein Lehrer aus Thüringen, er war Teilnehmer des 1. Weltkriegs. Das Buch erschien im Verlag "Kurt Wolff", wurde dort stark beworben: "Haben Sie Schlump schon gelesen?" fragten die Werbetexter die potentiellen Leser damals und rieten, es möglichst schnell zu tun: "Es ist ein Buch, das jeder deutsche Mann gelesen haben muss." Vom Autor war da freilich keine Rede. Grimm wollte anonym bleiben, seine bürgerliche Identität in der thüringischen Kleinstadt nicht in Gefahr bringen.

Erster Weltkrieg 1914-1918: Kriegsbegeisterte Soldaten (Foto: imago/United Archives)
Zunächst zogen tausende junge Männer begeistert in den Krieg - das Erwachen folgte späterBild: imago/United Archives

Grimm ahnte wohl, dass sein "Schlump" Sprengstoff war Ende der 1920er Jahre. Von einem klassischen Anti-Kriegsbuch zu sprechen, wäre falsch. Aber es war ein Roman, der Heldentum und Krieg in Frage stellte, der Franzosen als sympathisch schilderte und Deutsche auch als grob und kriegsbesessen. Grimm erzählte in seinem Roman vom 17-jährigen Emil Schulz, der nach einem harmlosen Streich von einem Polizisten "Schlump" gerufen wird - das erinnert an Lump, uns so wird Emil fortan nur noch Schlump genannt. Wie so viele in seinem Alter zieht der heranwachsende Emil in den Krieg, ist zunächst begeistert, auch weil er nicht ahnt, was da auf ihn zukommt.

Ein charmanter Held im Krieg

Was folgt, ist eine Mischung aus Schelmenroman und literarischer Burleske, unkonventionellem Anti-Kriegsbuch und poetischem Märchen. Eine ganz eigentümliche Mischung, witzig und grausam, lebensnah und realistisch, aber auch versponnen und surreal. Und unterhaltsam, leicht zu lesen: Grimm schrieb seine Geschichte vom jugendlichen Charmeur Schlump in kurzen, einfachen Sätzen auf.

Der junge Mann, der fließend Französisch spricht, kommt in der Erzählung zunächst in einen kleinen Ort in Nordfrankreich, soll sich dort um die Verwaltung kümmern. Es ist ein Leben abseits des Krieges, der Schlachtenlärm ist weit entfernt. Die Franzosen mögen den jungen Deutschen, und der zeigt sich nett und hilfsbereit. Schlump mag die Franzosen, besonders die Frauen - und die mögen ihn. So verbringt der junge Mann die ersten Monate in friedlicher Eintracht zwischen Langeweile, Verwaltungsroutine und amourösen Abenteuern.

Hans Herbert Grimm (Foto: Verlag)
Hans Herbert GrimmBild: picture-alliance/Kiepenheuer & Witsch

Doch dann erwischt es auch ihn. Schlump wird eingezogen. Und plötzlich bricht die ganze Grausamkeit des Krieges über den jungen Helden ein. Grimm spart nicht mit realistischen Details. Zerfetzte Leiber und herausquellende Organe, sterbende junge Menschen, all das erlebt Schlump aus allernächster Nähe und in größter Intensität. Zweimal wird er selbst lebensgefährlich verletzt, zweimal darf er dem Morden für kurze Zeit den Rücken kehren. Doch immer wieder muss er an die Front, das Schlachten geht weiter.

Wie Hans Herbert Grimm das erzählt, ist abseits jeglicher Kriegsromantik, aber eben auch abseits nüchterner Aufzählung von Tod und Sterben. Grimm verharmlost nicht, aber er beschreibt die Erlebnisse seines literarischen Helden auch poetisch und fantastisch, voller Zuneigung und mit Liebe zum Detail. Schlump wächst dem Leser ans Herz.

Wiederentdeckung eines vergessenen Romans

Dass man sich jetzt in Deutschland wieder an dieses denkwürdige Buch erinnert, hat man in erster Linie Volker Weidermann zu danken. Der für Literatur zuständige Redakteur der "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" recherchierte vor ein paar Jahren für sein "Buch der verbrannten Bücher", in dem er sich auf die Spur all jener Bücher machte, die verschwanden und aus dem Gedächtnis der Deutschen getilgt wurden, als die Nazis 1933 die Bücher-Scheiterhaufen anzündeten.

Auch "Schlump", der damals fast schon fast vergessen war, landete im Feuer. Vom Autor wusste man nicht viel. So war es auch möglich, dass Grimm seinen Beruf weiter ausüben konnte. Grimm trat in jenen Jahren aus Opportunität der Hitler-Partei NSDAP bei, doch seinen Schülern riet er im Unterricht weiter Bücher von Bertolt Brecht und den Mann-Brüdern zu lesen, von Stefan Zweig und anderen kritischen deutschen Autoren.

Hans Herbert Grimm - Cover "Schlump" (Foto: Verlag)
Wiederveröffentlicht mit dem Motiv des alten SchutzumschlagsBild: Kiepenheuer & Witsch

Grimms eigenes Buch blieb auch nach dem Krieg vergessen. Sein Autor mauerte es ein in die Wand seines Hauses in Altenburg. Er wollte kein Aufsehen erregen, wollte weiter in Ruhe als Lehrer arbeiten. Doch Grimm hatte kein Glück. Aufgrund seiner Parteimitgliedschaft wurde er aus dem Lehrerberuf entfernt, er konnte kurz als Dramaturg am Theater arbeiten, doch auch dort verlor er seine Stellung. Dann wurde er von den Behörden der gerade gegründeten DDR zum Verhör gerufen. Man weiß heute nicht mehr, was genau man von ihm wollte oder was man ihm androhte. Grimm ging nach Hause, zwei Tage später brachte er sich um. Das war 1950.

Auch eine literarische Entdeckung

Christa Grimm, seine Schwiegertochter, die erst nach dem Tod des verhinderten Schriftstellers in die Familie gekommen war, meldete sich nach Lektüre von Weidermanns Buch bei dem Journalisten und lüftete das Geheimnis um den Autor des "Schlump". Nun wollten plötzlich alle die Rechte an dem Buch haben, das schon einmal vor vielen Jahren veröffentlicht worden war. Der Kölner Verlag "Kiepenheuer & Witsch" machte das Rennen. Wiederzuentdecken ist so jetzt ein Roman, der einmalig ist unter all den Veröffentlichungen zum 1. Weltkrieg. Ein literarisches Ereignis.

Hans Herbert Grimm: Schlump, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, Roman, 348 Seiten, mit einem Nachwort von Volker Weidermann, ISBN 978-3-462-04609-0.