Gentherapie rettet Jungen das Leben
8. November 2017Deutschen und italienischen Ärzten ist es erstmals gelungen, einem an der lebensbedrohlichen Schmetterlingskrankheit leidenden Kind, gesunde Haut auf fast die gesamte Körperoberfläche zu transplantieren.
Die Zellen, aus denen sie im Labor die Ersatzhaut gezüchtet hatten, stammten von dem Jungen selbst. Sie wurden jedoch vor der Vermehrung im Labor genetisch repariert, sodass die nachgewachsene Haut den Gendefekt nicht mehr hat. Die Arbeit wurde am 8. November im Fachblatt "Nature" publiziert.
Der kleine Hassan litt an einer Form der Erbkrankheit Epidermolysis bullosa. Dabei ist die obere Hautschicht, die Epidermis, nur unzureichend in der darunterliegenden Hautschicht, der Dermis, verankert. Schon kleinste mechanische Belastungen führen zu Blasenbildung und zur Ablösung der Haut. Massive chronische Wunden sind die Folge. Betroffene erleiden häufig lebensgefährliche Infektionen oder erkranken an Hautkrebs.
Für die Verankerung ist ein Eiweiß namens Laminin-332 verantwortlich. Fehlerhafte Gene führen dazu, dass das Eiweiß nicht ausreichend gebildet wird. Eine Heilung war bisher nicht möglich.
Gesunde Haut aus reparierten Stammzellen
Hassan kam 2015 mit sieben Jahren ins Brandverletztenzentrum der Bochumer Kinderklinik. 60 Prozent seiner Hautoberfläche waren bereits durch eine Infektion zerstört. Die üblichen Behandlungen schlugen nicht an, sodass im Grunde nur noch eine palliativmedizinische Behandlung infrage kam.
Auf Wunsch der Eltern suchten die Ärzte nach experimentellen Therapiemöglichkeiten und stießen auf Arbeiten von Michele De Luca, der am Center for Regenerative Medicine der Universität Modena eine Gentherapie für diese Erkrankung an zwei Patienten getestet hatte, allerdings nur an kleineren Hautbereichen.
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Daraufhin schickten die Bochumer Ärzte einige Hautzellen des Jungen an die italienischen Experten. Die isolierten daraus die epidermalen Stammzellen, schleusten ein gesundes Gen mithilfe eines Virus ins Erbgut hinein und vermehrten die Zellen. In Deutschland transplantierten die Wissenschaftler dann das nachgezüchtete Gewebe. Insgesamt ersetzten sie 80 Prozent der Haut des Patienten.
Wieder Kind sein
"Zu Beginn der Behandlung lag der Junge wie eine Mumie in seinem Bett, er war von Kopf bis Fuß in Verbände gewickelt", erinnert sich der Arzt Tobias Rothoeft von der Kinderklinik in Bochum, der Hassan während seines etwa achtmonatigen Klinikaufenthaltes mitbetreut hat. "Nach der zweiten Operation besserte sich sein Zustand enorm. Heute ist seine Haut stabil, er geht zur Schule, spielt Fußball und kann ein weitgehend normales Leben führen." Verletzungen an der neuen Haut heilen heute bei ihm wie bei jedem anderen Kind. Die neue Haut enthält etwa so viel Laminin-322 wie gesunde Haut.
"Es ist der erste Mensch, der so behandelt wurde", sagt Tobias Hirsch vom Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil. Er hat den Jungen operiert. Für ihn als plastischen Chirurgen sei es "ein Wunder und ein Segen", dass es dem Jungen so gut gehe. In Europa gibt es etwa 35.000 Kinder, die an der Schmetterlingskrankheit leiden.
Hoffnung für weitere Betroffene
Die Freiburger Dermatologin Leena Bruckner-Tuderman, die nicht an der Studie beteiligt war, bewertete gegenüber der Nachrichtenagentur dpa die Arbeit der Kollegen als sehr gut. Sie hätten wesentliche Fortschritte in der stammzellbiologischen Grundlagenforschung erzielt. In Zukunft seien die Risiken von derartigen Gentherapien wahrscheinlich beherrschbar.
Grundsätzlich besteht bei Gentherapien wie der vorgestellten das Risiko, dass sich das neue Gen an einer ungünstigen Stelle im Erbgut integriert. Dadurch können Regulationsprozesse in der Zelle gestört werden, Krebserkrankungen können die Folge sein.
Untersuchungen des Erbguts der neuen Haut zeigten allerdings, dass sich das Gen in den meisten Zellen nicht in DNA-Bereiche integrierte, die für die Bildung von Eiweißen zuständig sind oder mit einer Krebsentstehung in Verbindung stehen. Bisher fanden die Forscher bei dem Jungen auch keinen Tumor. Auch bei zwei anderen Patienten, die vor mittlerweile zwölf Jahren an kleineren Hautregionen mit einer gleichartigen Transplantation behandelt worden waren, gebe es keine derartigen Probleme, schreiben die Forscher in ihrem Fachartikel.
fs/hf (dpa)