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Schmutzige Luft in EU-Städten: Die Gefahr wird vertuscht

11. Oktober 2024

Luftverschmutzung durch Stickoxide ist verantwortlich für hunderttausende Todesfälle. Doch einige EU-Staaten melden viel weniger Luftverschmutzung als tatsächlich vorhanden. Dafür wird an unbelasteten Stellen gemessen.

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 Viele Autos im Smog im Morgenverkehr auf einer Strasse in Sofia, Passanten an einer Kreuzung
Dieselfahrzeuge mit zu schlechter Abgasreinigung verpesten die Luft in vielen Städte wie hier in Sofia Bild: NIKOLAY DOYCHINOV/AFP/Getty Images

Von den Gipfeln des Witoscha-Gebirge aus nach Norden hat man einen schönen Blick auf die bulgarische Hauptstadt Sofia, die in einer weiten Ebene zu Füßen der Berge liegt. Jedenfalls theoretisch. Tatsächlich verschwindet Sofia oft unter einer dichten Dunstglocke. Verantwortlich dafür sind vor allem abertausende alte Dieselfahrzeuge, die Unmengen schmutziger und giftiger Abgase ausstoßen

Hinzu kommt im Winter der Qualm von Heizungsöfen, in denen Kohle und mitunter auch Müll verbrannt wird. All das macht Sofia zu einer der europäischen Städte mit der schlimmsten Luftverschmutzung. 

Offiziell jedoch existiert das Problem nicht. Die amtlichen Messwerte für giftige Stickoxide (NOx) liegen meistens unter dem EU-Grenzwert von maximal 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Damit ist die Luftverschmutzung in Sofia auf dem Papier relativ gering. 

Nun zeigt ein Bericht der bulgarischen Umweltorganisation Za Zemiata vom 8.10.2024, dass die Behörden das Ausmaß der Luftverschmutzung bewusst vertuschen. Denn die Luftqualität wird in Sofia an Orten gemessen, an denen das wahre Ausmaß der Verschmutzung nicht erfasst wird.  

Eine offizielle Messstation liegt beispielsweise in einem Park hinter Bäumen, 65 Meter von einer Hauptverkehrsstraße entfernt. "Diese Messstationen liefern seit Jahren Daten, die sicherstellen, dass Sofia die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxide angeblich einhält", sagt Ivaylo Hlebarov von Za Zemiata. Messungen der Organisation an befahrenen Straßen und Kreuzungen der Stadt kamen auf fast doppelt so hohe Werte wie offiziell angegeben.  

Die Verschleierung der Luftverschmutzung durch die Behörden "grenzt an ein Verbrechen im Bereich der öffentlichen Gesundheit", so die Organisation.   

Luftaufnahme in Bulgarien Sofia: Man sieht einen weißen Kasten in der Größe eines Lieferwagens in einer Parklandschaft. Es handelt sich laut Recherchen der  Umweltorganisation Za Zemiata um die ofizielle Messstation AIS Mladost. Sie ist laut virtueller Messung ca. 69,5 Meter von der Straße entfernt. In der EU müssen die Messungen jedoch direkt am Straßenrand erfolgen wie in dem roten Kästchen auf dem Bild.
Täuschung und Vertuschung: Messstellen müssen in der EU direkt am Straßenrand sein wie im roten Kasten. Hier in Sofia ist eine offizielle Messtelle (weiß, am Ende des Strichs) jedoch fast 70 Meter von der Straße entfernt Bild: Petar S. Stoyanov/Za Zemiata

Kein Einzelfall: Echte Verschmutzung teils doppelt so hoch wie offizielle Messwerte

Sofia ist kein Einzelfall. Das Ausmaß der Luftverschmutzung wird in zahlreichen europäischen Ländern systematisch verschleiert, neben Bulgarien auch in Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Kosovo und Rumänien. Das belegten die Messergebnisse von sieben Umweltverbänden, die von 2022 bis 2024 an 64 zusätzlichen Standorten durchgeführt wurden. Die Messungen dort ergaben deutlich höhere NO2-Belastung als von den Behörden angegeben. An 55 Stellen wurden NO2-Konzentrationen gemessen, die deutlich über dem verbindlichen, seit über 14 Jahren geltenden EU-Jahresmittelgrenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter liegen. 

In Pristina (Kosovo) beispielsweise waren die offiziellen Messwerte nicht einmal mal halb so hoch im Vergleich zu denen der Umweltorganisationen. In Sofia (Bulgarien) lagen sie um 47 Prozent niedriger, in Budapest (Ungarn) um 43 Prozent , in Bratislava (Slowakei) um 27 Prozent und in Bukarest (Rumänien) um 24 Prozent niedriger als die Messergebnisse der Umweltverbände. 

Besonders hohe Belastungen in Mittel- und Südosteuropa 

Die Stickoxid-Abgase stammen vor allem aus Diesel-PKW mit unzureichender Abgasreinigung. Autohersteller hatten jahrelang massiv getrickst - bekannt wurde das ab 2015 durch den Dieselskandal, zunächst bei VW, später auch bei anderen Autoherstellern. Tatsächlich halten die bis 2020 als Neuwagen verkauften Dieselfahrzeuge die vorgeschrieben Grenzwerte auf Europas Straßen nicht ein und wurden von den Herstellern auch nicht nachgerüstet.  

Ältere Diesel-PKW stoßen im Schnitt rund fünf Mal mehr Stickoxide aus als die von der EU vorgegeben Grenzwerte zulassen. Betroffen davon sind vor allem Bürger in Mittel- und Südosteuropa, da dort besonders viele ältere Dieselfahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind. 

Beispiel Pristina, Hauptstadt des Kosovo: "Die Luftqualität in Pristina leidet unter dem starken Einsatz von Dieselfahrzeugen, was zu NO₂-Werten führt, die die WHO- und EU-Grenzwerte überschreiten", sagt Arben Lila von der Gesundheits- und Umweltorganisation Kosovo Advocacy & Development Centre. 

Staaten sind verpflichtet, die Gesundheit der Bürger zu schützen

Stickoxid ist ein giftiges Reizgas. Es kann die Lungenzellen und andere Organe schädigen, entzündliche Prozesse im Körper und Diabetes auslösen und die Gefahr von Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkt erhöhen. In der EU sterben nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur jährlich rund 140.000 Menschen an den Folgen von Luftverschmutzung durch Stickoxid. 

Zum Schutz der Bevölkerung werden daher Grenzwerte für Stickoxid in der Luft festgesetzt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt seit 2021 einen Grenzwert von zehn Mikrogramm NO₂ pro Kubikmeter Luft. Zuvor lag der WHO-Grenzwert bei 40 Mikrogramm NO₂ pro Kubikmeter Luft. Dieser soll laut Gesetz in der EU seit 2010 auch verpflichtend eingehalten werden. 

Alle EU-Staaten müssen die Einhaltung der Luftqualität dort kontrollieren, wo die Verschmutzung besonders hoch ist und diese Daten den EU-Behörden melden. Bei einer Überschreitung des Grenzwertes von 40 Mikrogramm NO₂ sind die Länder zudem verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um den Ausstoß zu senken und ihre Bürger zu schützen. 

Ab 2030 soll laut Beschluss des EU-Parlaments der Grenzwert auf 20 Mikrogramm NO₂ pro Kubikmeter Luft in der EU gesenkt werden.  

Der renommierte Umweltexperte Dr. Axel Friedrich hält mit seiner Hand den Monitor des Messgerätes ins Bild. Die Spitzenwerte von Stickstoffdioxid in der Hauptstadt erreichen teilweise extrem hohe Werte und sind im Vergleich zur offiziellen Messtation um ein vielfaches höher. Im Hintergrund eine Straße, zwei weitere Umweltexperten und eine Kamera
NO2-Messungen in Sofia von Umweltexperten am 5.3.2024. Im Vergleich zu den Angaben der Behörden ist die NO2-Belastung um ein Vielfaches höher Bild: Petar S. Stoyanov/Za Zemiata

"Behörden denken, sie hätten immer recht" 

Auf Anfrage der DW erklärte die Pressestelle der EU-Kommission, ihr sei bekannt, dass Umweltorganisationen in einigen Ländern höhere NO₂-Konzentrationen in der Luft fanden als offiziell gemeldet. 

Die EU-Kommission sowie die Europäische Umweltagentur bemühten sich "im Dialog mit den nationalen Behörden" um die vorgeschriebene Aufstellung der offiziellen Messgeräte an Orten mit der "höchsten Konzentrationen von Luftschadstoffen",  und auch um die Aufklärung der "Gründe für Diskrepanzen". 

Zuständig für korrekte Messergebnisse sind jedoch allein die EU-Mitgliedsstaaten. "Sie verfügen über die geeigneten Mittel, um das Problem anzugehen, wenn sich die Bedenken als berechtigt erweisen", so die Kommissionssprecherin.  

In Bulgarien, sagt Ivaylo Hlebarov von Za Zemiata, hätten Behörden öffentlich bisher nicht auf die Enthüllungen seiner Organisation reagiert. "In einigen Fällen, in denen wir sie mit unseren Messungen konfrontiert haben, hieß es, unsere Messungen seien als Bezugswerte nicht geeignet", so Hlebarov.

"Die Behörden scheinen zu denken, dass sie immer Recht haben. Aber das ist oft nicht der Fall. Sie müssten offener sein. Wenn es aber den politischen Willen dafür nicht gibt, dann ist das das Einzige, was wir tun können, den Druck zu erhöhen." 

Auspuff von einem PKW im Vordergrund und das VW-Werk in Wolfsburg im Hintergrund
Die Nachrüsten von Dieselautos mit unzureichender Abgasreinigung kostet und Autokonzerne wollen dieses Geld sparenBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Prozesse gegen Autokonzerne für Nachrüstung von Dieselfahrzeugen 

In Deutschland laufen derzeit Gerichtsverfahren für die schnelle Nachrüstung von Dieselfahrzeugen zur Verringerung des Ausstoßes von Schadstoffen.

"Schmutzige, manipulierte Diesel-Pkw müssen auf Kosten der Hersteller nachgerüstet werden und dürfen nichts ins Ausland abgeschoben werden", sagt Jürgen Resch, Geschäftsführer von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die DUH setzt sich seit Jahren für die Luftreinhaltung in Europa ein und war auch an der aktuellen Studie beteiligt.  

Die NGO hat bereits mehrere Klagen eingereicht, um die Nachrüstung von Diesel PKW zu erwirken. Bei einem Musterprozeß bekam sie dabei Anfang 2024 vor dem Verwaltungsgericht der Stadt Schleswig recht. Das Gericht erklärte den Weiterbetrieb von 62 Dieselmodellen von VW, Audi und Seat auf den Straßen wegen ungenügender Abgasreinigung für unzulässig.  

Gegen das Urteil sind jedoch der VW-Konzern sowie die für die Genehmigung der Fahrzeuge zuständige deutsche Aufsichtsbehörde, das Kraftfahrzeugbundesamt, in Berufung gegangen. Der Prozess, der die mögliche Nachrüstung von Millionen Dieselfahrzeuge auch anderer Hersteller in der EU betreffen würde, wird voraussichtlich noch länger dauern.  

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Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion
Porträt eines lächelnden Mannes mit Brille und blonden Locken
Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter