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Schreiben - so aufregend wie Extremsport

Ronny Arnold27. Mai 2006

Juli Zeh gehört zu den erfolgreichsten deutschen Schriftstellerinnen der jüngeren Generation. Mit 27 errang sie mit ihrem Debüt internationalen Erfolg. Manche bezeichneten sie als "Fräuleinwunder". Ist sie das?

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Juli ZehBild: dpa

"Ein bleiches Mädchen schaute traurig durch einen vertikalen Spalt ihrer schwarzen Frisur. Neben ihr kauerte ein Mann undefinierbaren Alters und einer Ligusterhecke aus Haaren. Ein langer, dünner Mensch, dem die Beine brechen mussten, falls er einmal aufstehen sollte, verlass ein Gedicht."

Diese Zeilen stammen aus dem Jahr 1996. Die damals 22-jährige Juli Zeh betritt zum ersten Mal die Räume des Leipziger Literaturinstituts. Sie ist ziemlich aufgeregt. "Ich fühlte mich so nervös und fehl am Platz, dass ich nicht ein Wort des Seminarinhalts begriff." Vage erinnere sie sich an ein Gespräch über einzeln herabsinkende Schneeflocken.

Eine Form von Abenteuerreise

Zehn Jahre später sitzt sie wieder in den Räumen des Literaturinstituts - von Nervosität keine Spur mehr. Wie damals fliegen am Fenster einzelne Schneeflocken vorbei. Juli Zeh zieht entspannt an einer Zigarette und erzählt von ihren ersten Schreibversuchen. Sieben Jahre alt war sie damals. Sie habe das Schreiben immer als eine Form von Abenteuerreise empfunden, die man durchleben kann, ohne sich aus dem Zimmer raus bewegen zu müssen. "Und das war für mich eine extrem aufregende, spannende Beschäftigung. Also das Spiel mit der eigenen Fantasie ist für mich etwas unheimlich Aufregendes. So wie für andere Leute vielleicht Extremsport", sagt die Schriftstellerin.

Der Wendepunkt

1993, nach dem Abitur, verlässt sie ihre Heimatstadt Bonn und beginnt im bayerischen Passau ein eher bodenständiges Studium: Jura. Zwei Jahre später wechselt sie nach Sachsen. Hier bewirbt sie sich, parallel zu ihrem Jurastudium, am Leipziger Literaturinstitut - und wird erst einmal abgelehnt.

Doch ein Jahr später klappt es. Für Juli Zeh ist dieser Moment ein Wendepunkt in ihrem Leben. Das sei wie das Eindringen in eine völlig neue Welt gewesen, sagt Zeh. "Wir sitzen hier einfach mit 5 bis 15 Leuten in einem Raum, sprechen sehr intensiv und persönlich, auch mit einem persönlichen Kontakt zu den Dozenten, über Texte. Und diese erhöhte Intensität im Umgang mit Themen war für mich regelrecht eine Revolution. Das hat meine Art, überhaupt mich mit Dingen auseinander zu setzen, beeinflusst."

Buchcover: Juli Zeh - Adler und Engel

Zwei Jahre lang studiert sie neben der Literatur weiter Jura, dann schließt sie 1998 ihr erstes Staatsexamen ab - als Beste im Freistaat Sachsen. Es folgen ein Praktikum bei der UNO in New York und ein Aufbaustudium zum europäischen Recht. Gleichzeitig studiert Zeh weiter am Literaturinstitut und erhält im Jahr 2000 ihr Diplom.

Ein Jahr später erscheint ihr erster Roman "Adler und Engel", der direkt mit dem Deutschen Bücherpreis für das erfolgreichste Debüt ausgezeichnet wird. Die Kritiker überschlagen sich: großartig, perfekt, spannend. "Adler und Engel" wird in 27 Sprachen übersetzt. Seither gilt Juli Zeh als eine der wichtigsten Vertreterinnen einer neuen, jungen Schriftstellergeneration. Besonderes Merkmal: weiblich. Für die Autorin selbst ist das allerdings nichts Außergewöhnliches. Es habe immer in der Geschichte Frauen gegeben, die geschrieben haben. "Die Frage ist nur, wie sehr das gesellschaftlich toleriert ist", meint Zeh.

Vollblutschriftstellerin mit ungewöhnlichem Hobby

Nach "Adler und Engel" folgt "Die Stille ist ein Geräusch" - ein Reisebericht über den Alltag der Menschen im vom Bürgerkrieg geschundenen Bosnien. Ganz nebenbei legt sie ihr zweites juristisches Staatsexamen ab. Fortan sieht sie sich als Vollblutschriftstellerin mit einem ungewöhnlichen Hobby: Jura.

Ihr zweiter Roman "Spieltrieb" erscheint 2004 - eine erschreckende Gegenwartsgeschichte, in der das Spiel langsam die Rolle von Recht und Moral verdrängt. Das neueste Werk der erst 31-Jährigen - die Essay-Sammlung "Alles auf dem Rasen" - ist im März auf den Markt gekommen. In diesem Buch, das ausdrücklich nichts mit Fußball zu tun hat, schreibt Juli Zeh unter anderem über den modernen Kapitalismus, über den Generationenvertrag und den "permanenten Zweifelsfall der Liebe".

Juli Zeh hat für ihre Arbeiten mittlerweile mehrere renommierte Preise bekommen und ist auch als Essay-Schreiberin gefragt. Ihre Beiträge erscheinen in fast allen großen deutschen Zeitungen und Magazinen. Sie ist erfolgreich, und mittlerweile auch ganz offiziell wieder ans Leipziger Literaturinstitut zurückgekehrt. Seit einem halben Jahr lehrt sie in ihrem Seminar "Blut, Schweiß und Tränen" die verschiedenen Arbeits- und Erzählweisen des Romanschreibens.

Sie ist beliebt am Institut, erzählt Benjamin Lauterbach. "Sie ist extrem entspannt, humorvoll, selbstironisch, herzlich, menschlich. Hat ganz viele, tolle Qualitäten, die sich eigentlich mit den ganzen Erfolgen gar nicht zusammen bringen lassen." Er habe Zeh mal gefragt, ob sie überhaupt schlafe - bei all den Dingen, die sie macht. "Sie hat mir gesagt, was sie obendrein noch macht, nämlich Schach spielen. Was ja nun auch eine Menge Zeit frisst. Und danach konnte ich es mir noch weniger vorstellen."